Manager selten Vorbilder

Deutsche Unternehmen sind familienfeindlich

18.05.2014
Von 
Bettina Dobe war Autorin für cio.de.
Auch wenn viele Unternehmen von sich behaupten, dass sie Mitarbeiter mit Familie fördern - eine A.T. Kearney- Studie beweist das Gegenteil. Rühmliche Ausnahmen gibt es dennoch.

Familie und Beruf sind auch im Jahr 2014 in Deutschland nicht zu vereinbaren. Das beweist nicht nur die Tatsache, dass ausgerechnet Kristina Schröder, die die "Herdprämie" durchboxte, sich nun ausschließlich ihrem Kind widmet. Wie es tatsächlich um die Familienfreundlichkeit in deutschen Firmen bestellt ist, zeigt eine aktuelle Studie der Managementberatung A.T. Kearney, an der 1771 Beschäftigte teilnahmen.

Die Studie im Rahmen der Initiative "361°- Die Welt unserer Kinder", die mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und dem Institut für angewandte Sozialwissenschaft (infas) schon zum zweiten Mal durchgeführt wurde, zeigt: Nur etwa 38 Prozent aller Unternehmen in Deutschland sind familienfreundlich. Der Mehrheit der Firmen scheint es egal zu sein, ob ihre Mitarbeiter Beruf und Familie unter einen Hut bekommen. Fortschritt gibt es kaum: Im Vergleich zum Vorjahr haben nur acht Prozent der Befragten bemerkt, dass sich die Familienfreundlichkeit in ihrem Unternehmen verbessert hat.

Wenn Familie und Beruf vereinbart werden müssen,bedeutet das für viele Arbeitnehmer vor allem eines: Stress.
Wenn Familie und Beruf vereinbart werden müssen,bedeutet das für viele Arbeitnehmer vor allem eines: Stress.
Foto: Ursula Deja - Fotolia.com

Zugegeben, die Arbeitnehmer wünschen sich ein Angebot, das oft nur große Firmen leisten können. Das spiegelt die Studie wider. Nur zwölf Prozent der deutschen Unternehmen schaffen es, alle Leistungen anzubieten, die Arbeitnehmer mit Familie gern hätten. So wünschten sich 51 Prozent der befragten Frauen eine Notfallbetreuung für die Kinder, fast ebenso viele (45 Prozent) eine Kinderferienbetreuung und ein Drittel hätte gern Sonderurlaubsregelungen. Männer vermissen Spezialangebote für Väter (43 Prozent).

Väter gehen nur selten in Teilzeit

Sind die Angebote vorhanden, werden sie dankbar angenommen, wie die Untersuchung ebenfalls zeigt: Drei Viertel aller befragten Mütter gab an, sie genutzt zu haben - allerdings nur 48 Prozent der befragten Väter. Kinderbetreuung ist laut Befragung noch immer Frauensache: Denn knapp zwei Drittel der Mütter haben schon in Teilzeit gearbeitet, während es bei Vätern nur sieben Prozent waren. Arbeitszeitreduzierung leisten vor allem kleinere Firmen, wie die Kearney-Studie ergab.

Väter scheuen sich noch immer, sich Zeit für den Nachwuchs zu nehmen, weil sie Angst vor dem Karriereknick haben: Männer zwischen 25 und 40 Jahren fürchten, dass ihre Leistungen schlechter beurteilt würden (40 Prozent) und dass es Probleme mit den Kollegen geben könnte (29 Prozent), wenn sie Teilzeit oder andere familienfreundliche Angebote in Anspruch nehmen.

Sich im Home Office um Kinder und Arbeit parallel zu kümmern, darauf setzen im Schnitt nur 15 Prozent der Eltern. "Dies ist die Folge der häufig vorherrschenden Präsenzkultur: mehr als sieben von zehn Arbeitnehmer/-innen geben an, dass ihr Arbeitgeber sehr hohen Wert auf die persönliche Anwesenheit der Mitarbeiter lege", heißt es in der Studie. Zwar gibt es Jobs, die eine unbedingte Anwesenheit verlangen. Aber geht man von den Büroarbeitern aus, muss man feststellen: Firmen vertrauen offenbar ihren Mitarbeitern noch nicht genug, um ihnen Freiheiten wie Home Office zu gewähren.

Chefs haben Vorbildfunktion

Ein Unternehmen anders und besser für Mütter und Väter zu gestalten ist - eigentlich - einfach: Der Entscheider muss das Konzept vorleben. "Ohne familienfreundliche Führungskräfte scheint keine familienfreundliche Kultur möglich", heißt es in der Studie. Das Verhalten der Führungskraft steht in direktem Verhältnis zum Empfinden der Mitarbeiter: Vereinbart der Chef Beruf und Familie, glauben fast zwei Drittel der Arbeitnehmer, dass das Unternehmen eine familienfreundliche Kultur habe. Lebt der Vorgesetzte das nicht vor, so fällt die Zahl auf acht Prozent.

Eine derartige Vorbildfunktion erfüllen immerhin drei von zehn Vorgesetzten. "Führungskräfte sind der Schlüssel zu einer familienfreundlichen Kultur", meint Martin Sonnenschein, Managing Director Central Europe und Partner bei A.T. Kearney. Und er kommt zu dem Schluss: "Das Ergebnis von Familienfreundlichkeit sind motivierte, loyale Mitarbeiter, die das Unternehmen weiterempfehlen", sagt Sonnenschein.

Das kann die Firma Projektron bestätigen. Die Berliner sind auf webbasierte Projekt-Management-Software spezialisiert und beschäftigen 75 Mitarbeiter an sechs Standorten. Mit seinem Konzept belegte Projektron 2014 den ersten Platz als "Great Place to Work" in Berlin-Brandenburg in der Größenklasse der Unternehmen mit 51 bis 100 Mitarbeitern. Der Grund: die ausgesprochene Familienfreundlichkeit. "Wir weisen schon im Bewerbungsgespräch auf die Möglichkeit hin, in Teilzeit zu arbeiten", sagt Patricia Rezic, die Leiterin Controlling und Personal bei Projektron. "Gerade die Frauen bekommen ganz große Augen, wenn sie hören, was für Angebote wir unseren Mitarbeitern machen." Sie findet die Geschichten von BewerberInnen erschreckend. "Dass Frauen ihre Kinder im Lebenslauf verheimlichen oder gar nicht erst zum Bewerbungsgespräch eingeladen werden, das ist schon heftig."

Meetings bei Projektron nur vormittags

Teilzeit ist, anders als bei den meisten deutschen Unternehmen, bei der Berliner Firma fast die Regel. 49 Prozent arbeiteten mit reduzierter Stundenzahl, und das in sehr flexiblen Modellen: Von sechs-Stunden-Tagen bis zur vier-Tage-Woche ist alles dabei. "Nicht nur Eltern", betont Rezic. "Das kann auch für eine Weiterbildung, ein Studium oder ein Hobby genutzt werden." So sind von den Teilzeitarbeitern knapp die Hälfte Männer. Meetings werden daher nur vormittags abgehalten, nur in Ausnahmefällen nachmittags. Es funktioniert. Dass das Angebot so gut angenommen wird, liegt auch daran, weil die Chefs es vorleben. "Wir haben elf Führungskräfte, davon sind sechs Frauen. Und von denen arbeiten vier in Teilzeit. Das ist bei uns ganz normal", erzählt Rezic. Dass die Männer nicht in Teilzeit arbeiten, liege nur an der Altersstruktur: Noch seien keine Kinder unterwegs oder sie seien schon erwachsen.

Führung funktioniert in Teilzeit, weil jede Position doppelt besetzt ist. "Ich bin nicht nur fürs Controlling zuständig, sondern auch für das Personalmanagement und Produktmanagement", sagt Rezic. Fällt dann eine Führungskraft oder ein Mitarbeiter kurzfristig aus - etwa weil das Kind krank ist -, kann über das Ticketsystem der firmeneigenen Software der neueste Stand abgerufen werden. "Alle Prozesse und Workflows sind bei uns im Intranet beschrieben", fügt Rezic hinzu.

"Wir weisen schon im Bewerbungsgespräch auf die Möglichkeit hin, in Teilzeit zu arbeiten", sagt Patricia Rezic (li.), Leiterin Controlling und Personal bei Projektron. "Gerade die Frauen bekommen dann ganz große Augen."
"Wir weisen schon im Bewerbungsgespräch auf die Möglichkeit hin, in Teilzeit zu arbeiten", sagt Patricia Rezic (li.), Leiterin Controlling und Personal bei Projektron. "Gerade die Frauen bekommen dann ganz große Augen."
Foto: Projektron

Gleiches gilt für Elternzeit: Der Ausfall kann wegen der doppelten Besetzung besser kompensiert werden. Schrittweise werden die Eltern wieder eingebunden - zu den Festen sind sie ohnehin immer eingeladen. "Wir holen die Eltern schneller wieder aus der Elternzeit zurück, aber dann zum Beispiel mit zwei Stunden in der Woche oder einem Tag", erklärt Rezic. So verliert keiner den Anschluss - und die Firma muss keine teure Aushilfe einarbeiten. "Wir wollen, dass sie zurückkommen. Sie sind schließlich Teil des Teams und mit unseren Prozessen vertraut."

Spontan ins Home Office

Die in der Studie gewünschte Notfallbetreuung muss man bei Projektron gar nicht einführen. "Mein Kind hatte kürzlich Windpocken", erzählt Rezic. "Also habe ich in der Firma Bescheid gesagt, war mit dem Kleinen beim Arzt und habe ihn betreut. Aber ich bin keinen einzigen Tag ausgefallen - ich habe einfach gearbeitet, wenn der Kleine geschlafen hat." Aber auch wenn sie nicht zu Hause gearbeitet hätte, wäre das kein Problem gewesen: "Bei uns muss ich kein schlechtes Gewissen haben. Ich hab ja schon Sorgen ums Kind. Das reicht. Und ich weiß, dass das anderen auch mal passieren kann", sagt Rezic. Ein Vorteil in diesem Zusammenhang sind die sommerlichen Grillfeiern, zu denen auch die Kinder eingeladen werden. "Wenn die Kollegen das Kind kennen, das krank geworden ist, dann ist es noch weniger ein Problem, zuhause zu bleiben."

Weil das Unternehmen so hinter seinen Mitarbeitern steht, steigt auch die Motivation, mehr zu tun. "Ich weiß, dass andere auch für mich da sind", sagt Rezic. Die Kollegin, die zwischen den Jahren als einzige arbeitete, sagte nur: "Ich habe noch keine Kinder. Wenn ich mal welche habe, dann ist eben jemand anderes dran." Die starke Bindung ans Unternehmen hat noch einen weiteren Effekt: "Unser Krankenstand ist sehr niedrig."

So bindet man Mitarbeiter

Auf diese Weise wirbt Projektron auch für sich: "Als Mittelständler hat man es gar nicht so leicht, Arbeitnehmer zu finden. Für uns lohnt es sich gleich mehrfach, diese Angebote zu machen", sagt Rezic. "Ich glaube nicht, dass unser System teurer ist", meint sie. Weil man sich Einarbeitungszeiten spare, ist es möglicherweise sogar billiger.

Eigentlich ist es gar nicht so schwer, ein familienfreundliches Unternehmen zu werden: "Es hilft schon mal, Frauen einzustellen", sagt Rezic trocken. Die Controllerin ist überzeugt: "Unser ausgewogenes Geschlechterverhältnis, die Kommunikation und eine offene Vorschlagskultur sind einfach sehr wichtig." Dann regle sich die Familienfreundlichkeit von ganz allein.