Die Deutsche Börse und Google wollen ihre Zusammenarbeit ausbauen und vertiefen. Google erhält für die kommenden zehn Jahre den Status eines bevorzugten Partners in Sachen Cloud-Einsatz. Laut einer offiziellen Mitteilung geht es den Verantwortlichen der Deutschen Börse darum, ihren Cloud-Einsatz zu verbessern, zu vereinheitlichen und zu fokussieren.
Im Wesentlichen soll sich die Kooperation um folgende drei Aspekte drehen:
die digitale Wertpapierplattform D7 weiterentwickeln,
die operativen Aktivitäten auf dem Markt für digitale Vermögenswerte mit Innovationen vorantreiben und
die Datendistribution und -nutzung in der Cloud verbessern.
Bei der Wertpapierplattform D7 geht es um eine "ganzheitliche Verarbeitung von digitalen Wertpapieren". Dafür müssen der Deutschen Börse zufolge bestehende Systeme miteinander verbunden sowie die Interoperabilität mit neuen Systemen gewährleistet werden, die beispielsweise auf der Distributed-Ledger-Technologie (DLT) basieren.
Dafür soll die D7-Plattform um Daten-Features und Infrastrukturdienste der Google Cloud verstärkt werden, hieß es. Geplant ist beispielsweise ein intelligentes Datenanalyse-System, das auf dem BigQuery- und Analytics-Hub von Google Cloud aufsetzen soll. Auf Basis der weiterentwickelten D7-Plattform will die Deutsche Börse ihren Kunden und der angeschlossenen Finanzindustrie neue Anwendungen, Produkte und digitale Wertpapierdienstleistungen anbieten.
Deutsche Börse hofft auf Innovation
Auch im Geschäft für digitale Vermögenswerte erhofft sich der Finanzdienstleister weitere Innovationen. Über die Partnerschaft soll eine Digital Assets Business Platform mit Cloud-Native-Marktinfrastruktur für institutionelle Anleger entstehen. Auf dieser Plattform sollen die zentrale und dezentrale Finanzinfrastruktur verbunden sowie Krypto-Spot- und -Derivateprodukte unterstützt werden. Es sei geplant, diese Funktionen mit der Zeit auf weitere Anlageklassen auszuweiten.
Außerdem wollen die Partner in dezentrales Datennetz, ein sogenanntes Data Mesh, in der Google Cloud aufbauen. Es soll künftig die Basis für verschiedenste Datenanwendungen der Deutsche Börse bilden. Über die Daten- und Konnektivitäts-Features in der Google-Cloud sollen die neuen Plattformen miteinander verknüpft werden.
Die Erwartungen auf Seiten der Börse sind hoch. Es gehe darum, Cloud-Einsatz und -Effizienz insgesamt zu verbessern. "Innovation und technologischer Fortschritt bilden den Kern der DNA der Gruppe Deutsche Börse", sagte der Vorstandsvorsitzende Theodor Weimer. Man wolle ein Wegbereiter in einem sich wandelnden Marktumfeld sein und Kundenbedürfnisse nicht nur erfüllen, sondern antizipieren. "Deshalb ist es unerlässlich, unsere Expertise als Finanzdienstleister mit der technologischen Kompetenz eines Schwergewichts der Branche zu verbinden."
Google Cloud stärkt Standbein im Finanzsektor
Google festigt mit dem Deal sein Standbein im Finanzsektor. "Börsen sitzen im Zentrum der Finanzmärkte und spielen eine immer wichtigere Rolle, um Marktinnovation und -effizienz voranzutreiben," sagte Thomas Kurian, CEO von Google Cloud. Zu den weiteren Cloud-Kunden in diesem Sektor zählt die Deutsche Bank, mit der Google ebenfalls eine strategische Partnerschaft unterhält.
Schon im Spätsommer 2019 hatten die deutsche Börse und Google eine umfangreiche Cloud-Kooperation angekündigt. Man wolle interne Prozesse digitalisieren und neue Angebote für Kunden entwickeln, sagte damals der bei der Deutschen Börse für IT zuständige Vorstand Christoph Böhm. Google werde die Börse darin unterstützen, die Weiterentwicklung neuer Technologien wie Big Data und Analytics, Automation, KI und Machine Learning sowie Digital-Ledger-Technologie beziehungsweise Blockchain zu beschleunigen. Wenige Monate zuvor hatte der Ende 2018 von SAP gekommene Manager auch schon ein Cloud-Bündnis mit Microsoft eingefädelt.
Multi-Cloud mit AWS, Google und Microsoft
Das Finanzinstitut verfolgt seit Jahren eine Multi-Cloud-Strategie und kombiniert dabei Cloud-Dienste verschiedener Anbieter. Es gehe darum, das jeweils beste aus den verschiedenen Cloud-Welten herauszuholen, die Risiken zu streuen und Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern zu vermeiden, erklärte Böhm.
Die deutsche Börse nutzt Microsofts Office und Collaboration-Services aus deren Azure-Cloud, und baut vor allem bei Daten- und Analytics-Services auf Google. Dabei gehe es um Vorhersagemodelle und die Analyse von großen Datenmengen, hieß es im Spätsommer 2019. Damals war Google in diesem Umfeld allerdings noch nicht gesetzt, die Frankfurter arbeiteten hier mit AWS zusammen.
Im Jahr 2020 stellt die Börse dann mit A7 eine Analytics-Plattform vor, über die Kunden Zugang zu Daten von den Marktplätzen Eurex und Xetra erhalten. Die Kunden würden nun nanosekundengenaue Marktdaten bekommen, ohne dass sie ein eigenes Data Warehouse betreiben müssten, hieß es von Seiten der Deutschen Börse. Alexandra Hachmeister, Head of Market Data + Services der Deutschen Börse, erklärte damals: "A7 gewährt Zugang zu maßgeschneiderten Kennzahlen, die auf voller Orderbuchtiefe, Marktdatennachrichten, Referenzdaten und anderen individuellen Quellen basieren." Finanzmarktteilnehmer könnten Marktsituationen somit schnell erfassen, Einblicke in die Mikrostruktur des Marktes gewinnen und ihre eigenen Handelsstrategien entsprechend anpassen.
Die historischen Marktdaten mit einem Volumen von 60 TB waren bereits auf Amazon S3 gespeichert, hieß es im vergangenen Jahr in einer Case Study des Cloud-Anbieters. Für die Anwendungsinfrastruktur verwendet der A7-Service den Amazon Elastic Kubernetes Service (Amazon EKS), um die Daten zu berechnen, umzuwandeln und in das richtige Format für die Analyse zu konvertieren. Für die Metadaten kommt Amazon RDS zum Einsatz und für die Sicherheit und Authentifizierung von Benutzern Amazon Cognito.
Noch keine Entscheidung über Migrationsprojekte
Wie sich die Ankündigung, künftig Google als bevorzugten Cloud-Anbieter zu behandeln, auf die AWS-Kooperation auswirkt, ist noch unklar. "Im Rahmen der angekündigten Partnerschaft mit Google Cloud planen wir, Workloads stärker auf Google Cloud zu konzentrieren", hieß es bei der deutschen Börse auf eine Anfrage der COMPUTERWOCHE. Zu konkreten Migrationsprojekten sei noch keine Entscheidung gefallen.
Mit der Entscheidung für Google könnte die Zeit des Experimentierens und Abwartens in Sachen Cloud-Nutzung bei der Deutschen Börse vorbei sein. Für die Verantwortlichen des Finanzhauses dürfte es auch darum gegangen sein, lang gehegte Pläne endlich in die Realität umzusetzen. Auf eine souveräne europäische oder deutsche Cloud-Infrastruktur scheint man bei der Deutschen Börse nicht warten zu wollen.
"Wir würden es begrüßen, wenn es im Wettbewerb der Cloud-Anbieter eine starke europäische Alternative gäbe", hatte Böhm vor Jahren dem Handelsblatt gegenüber geäußert. "Da wir schwerpunktmäßig in Europa tätig sind und europäischer Aufsicht unterliegen, brauchen wir natürlich Angebote, die auf Europa zugeschnitten sind und bei denen Daten in europäischen Rechenzentren gespeichert werden."