Experten diskutieren Hybrid Cloud

Der neue Cloud-Pragmatismus

17.08.2023
Von 
Florian Stocker ist Inhaber der Kommunikationsagentur "Medienstürmer".
Skalierbarkeit, Flexibilität und Freiheit sind die traditionellen Versprechen der Public Cloud - die längst nicht immer gehalt werden. Auch deswegen hat sich die Hybrid Cloud als Szenario verfestigt – mit Vor- aber auch Nachteilen.
"Selbst ist der Entscheider" lautet das Motto bei den Anwendern angesichts der Unsicherheiten durch Data Privacy Framework oder Gaia-X.
"Selbst ist der Entscheider" lautet das Motto bei den Anwendern angesichts der Unsicherheiten durch Data Privacy Framework oder Gaia-X.
Foto: thodonal88 - shutterstock.com

Diskussionen über die Cloud waren schon mal emotionaler. Insbesondere im Umfeld der Gaia-X-Initiative war die Frage "Wie hältst du es mit der Cloud?" stets auch mit der digitalen Souveränität verbunden. Mittlerweile verlaufen die Gespräche deutlich unaufgeregter - nicht etwa, weil sich die Rahmenbedingungen groß geändert hätten, sondern weil das Bewusstsein eingesetzt hat, dass sich auf absehbare Zeit nichts grundlegend ändern wird.

Vor allem die rechtliche Unsicherheit scheint weiter anzuhalten: Der transatlantische Datenaustausch steht auch mit dem neuen "Data Privacy Framework" vermutlich nicht auf einer sicheren Basis und wird wohl wieder vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) landen - erneutes Scheitern nicht ausgeschlossen. Und auch die eigene "europäische Cloud" Gaia-X kommt nicht aus dem Konzeptstadium heraus. Zusammengefasst tut sich sowohl auf der politischen Ebene als auch bei den Hyperscalern seit Jahren wenig Fundamentales - auch, weil jede Seite darauf wartet, dass sich die andere bewegt.

Die Situation hätte das Potenzial, auf Anwenderseite einige Unruhe auslösen - hat aber in den vergangenen Jahren sogar zum Gegenteil geführt. Statt über das große Ganze reden die Unternehmen jetzt eher über pragmatische Lösungen und haben sich mit der Unsicherheit auf ihre Weise arrangiert. Sie warten nicht mehr auf große Reformen, sondern sorgen in Hybrid- und Multi-Cloud-Szenarien selbst dafür, Datenschutz- und Sicherheit mit Flexibilität zu verbinden.

Im Gespräch mit Experten im Rahmen des Foundry-Roundtables zum Thema dominiert ebenfalls dieser Eindruck eines "neuen Pragmatismus". Die Verbindung von On-premises- und Cloud-Lösungen gehört längst zum unternehmerischen Alltag. Das jeweilige Cloud-Modell ist dabei im Grunde gesetzt, wie Martin Zeitler von Palo Alto Networks bemerkt: "Man kann die Cloud-Anwender in zwei Kategorien einteilen: Die Legacy-Anwender und die Natives. Wer über eine Legacy aus Data Center und lokal gehosteten Applikationen verfügt, der wird wahrscheinlich nie 'komplett' in die Cloud gehen. Ein Legacy-Anteil wird aus verschiedenen Gründen immer bleiben. Ganz anders die Cloud Natives: Das sind vor allem jüngere Unternehmen, bei denen man 'Infrastruktur' mit 'Kreditkarte' gleichsetzen kann. Bei denen geht es nur noch darum, Services einzukaufen und zu orchestrieren."

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'Hybrid Cloud 2023'

Blech ist kein Ballast mehr

Wer über eine selbst gehostete Legacy-Architektur verfügt, dem wird sie zumindest in Teilen erhalten bleiben. Dieses Verständnis ist relativ neu: Das "Blech im Keller" galt bis vor Kurzem noch als Ballast, den es loszuwerden galt. Eine Sichtweise, die durch das "Anything-Goes-Versprechen" der Hyperscaler ausgelöst wurde - und die jetzt einer gewissen Ernüchterung gewichen ist. Statt voller Flexibilität und Kostenkontrolle stehen viele Anwender heute vor einer Situation, in der (auch getriggert durch die starren Lizenzmodelle) die Kosten explodieren können und die Unabhängigkeit dem Vendor-Lock-In gewichen ist.

"Viele Unternehmen, die Anwendungen 1:1 in die Cloud übertragen haben, haben gemerkt, dass ihre Welt nicht besser geworden ist", stellt auch Bernhard Kube von Lufthansa Industry Solutions fest. Seiner Meinung nach liegt das aber nicht ausschließlich an den Hyperscalern. Kube sieht eine Verantwortung für den Erfolg auch auf Anwenderseite: "Alle positiven Aspekte wie Kosteneinsparungen, Skalierbarkeit oder Nachhaltigkeit kommen nur zum Tragen, wenn die Architektur sinnvoll aufgebaut ist."

Unternehmen haben es also zu einem gewissen Maß selbst in der Hand, wie sehr sie von der Cloud profitieren können. Doch hierin liegt auch die Krux: Wer nicht über ausreichend internes Know-How verfügt, dem bleibt oft nur der reine Lift-and-Shift, bei dem neben den sinnvollen Applikationen dann auch die Ineffizienzen in die Cloud migriert werden, wie Thomas Strigel von Spirit/21 bemerkt: "Unternehmen machen oft den Fehler, Applikationen in die Cloud zu heben, ohne an der Infrastruktur oder anderen Stellen zu optimieren - und schon stecken sie in der Kostenfalle. Sie sehen sich dann mit 'klassischen' Hosting-Kostenmodellen konfrontiert und das kann eigentlich nicht Sinn der Sache sein. Die Cloud hat ihre eigenen Mechanismen und man sollte auch dazu passende Bereitstellungs- und Abrechnungsmodelle nutzen."

Es gehört also zum Konzept, auch Teile der Infrastruktur auf dem eigenen Server zu belassen. Auch "Demigrationen" von der Cloud in die On-premises-Umgebung zurück sind nicht ausgeschlossen, wenn die Feststellung folgt, dass der heimische Server für eine bestimmte Applikation effizienter ist. Außerdem gibt es genug Szenarien - zum Beispiel beim Edge Computing in der Fertigung - in denen die Cloud auch in Zukunft keine Option ist.

"Public und Private haben jeweils ihre Vor- und Nachteile, auf die die meisten Unternehmen mit Legacy nicht verzichten wollen oder können", sagt auch Stephan Schulz von F5. "Darum steht am Ende der Reise in den meisten Fällen eine hybride Infrastruktur. Die Herausforderung wird daher in Zukunft sein, diese vergrößerte Infrastruktur zu überblicken und abzusichern."

Komplexität oder Kreditkarte

Hybrid Cloud ist also auch ein Luxus, den sich vor allem größere Unternehmen leisten können, während alle anderen diese fehlende Flexibilität mit ihrer Kreditkarte kompensieren müssen. Diese Unternehmen können ihre Kosten besonders dann gering halten, wenn sie sich von Anfang an der Logik des Plattformbetreibers fügen und Cloud-Native-Szenarien realisieren - eine Vorgehensweise, die auch unbestreitbare Vorteile mit sich bringt und in der Diskussion ihre Anhänger hat.

"Meine unpopuläre These lautet: Hybrid Cloud ist Mist", sagt zum Beispiel Ingo Vorreiter von BTC. "So ein Setup auf Anwendungsebene führt dazu, dass ich zwei Infrastrukturen mit separaten SLAs betreiben muss. Außerdem habe ich damit einen Data Traffic, der Kosten und Aufwand verursacht. Wer vollständig auf die Cloud setzt und vor allem die eingebauten Mehrwerte nutzt - insbesondere die mitgelieferte Data Platform - der hat einen riesigen Vorteil gegenüber den Legacy-Anwendern, die ihre Applikationen verteilt zwischen Cloud und On-Premises hosten."

Studie "Hybrid Cloud 2023": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema Hybrid Cloud führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Verantwortlichen durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Regina Hermann (regina.hermann@foundryco.com, Telefon: 089 36086 161) und Manuela Rädler (manuela.raedler@foundryco.com, Telefon: 089 36086 271) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

Bühne frei für den Enterprise-Architekten

Um die richtige Cloud-Strategie zu finden, ist es wichtig, die Abhängigkeiten und Wechselwirkungen von Organisation, Prozessen, Technologien und IT-Systemen zu erfassen und mit kurz- und langfristigen Entwicklungen am Markt zusammenzubringen. Um das zu erreichen, setzen viele Unternehmen eigene "Enterprise-Architekten" ein, die die Prozessebene und die IT gleichermaßen überblicken können, um diese Wechselwirkungen zu erkennen und zu managen. Nötig ist allerdings auch dafür eine gewisse Unabhängigkeit und eine Emanzipation vom "Legacy-Denken", wie Max Körbächer von Reply bemerkt:

"Der schlimmste Enterprise-Architekt ist derjenige mit Erfahrung. Wenn dieser sich zum Beispiel mit Firewalls besonders auskennt, wird dieser auch immer pro Firewall argumentieren. Die Cloud braucht aber eine offene, agnostische und cloud-native Herangehensweise."

Festzustellen bleibt am Ende, dass die Wege heute - anders als früher - im Grunde vorgezeichnet sind. Die Hybrid Cloud wird bei vielen Unternehmen zur logischen Konsequenz, wenn sie eine Legacy betreiben. Gleichzeitig will und soll niemand auf die Vorteile von Public Clouds verzichten. Alle Szenarien eines Data Driven Enterprise sind zwangsläufig auf Funktionen angewiesen, die außerhalb der Cloud nur mit großem Aufwand zu konfigurieren sind.

Auf der anderen Seite sollten - auch das ist eine zentrale Forderung der Diskussionsrunde - auch die Provider verinnerlichen, dass die Anwender ihrerseits auf fehlende Flexibilität reagieren, indem sie mehr Arbeit in den Aufbau der Architektur investieren, statt einfach weitere Kapazitäten zu buchen. Alle Seiten haben es ein Stück weit in der Hand, wie viel Cloud in Zukunft möglich ist - und ob die großen Versprechen am Ende doch noch in Erfüllung gehen.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'Hybrid Cloud 2023'