IDG-Studie Verwaltungsdigitalisierung

Der lange Weg der Digitalisierung

18.01.2022
Von 

Gerhard Holzwart begann 1990 als Redakteur der COMPUTERWOCHE und leitete dort ab 1996 das Ressort Unternehmen & Märkte.  Ab 2005 verantwortete er den Bereich Kongresse und Fachveranstaltungen der IDG Business Media GmbH und baute „IDG Events“ mit jährlich rund 80 Konferenzen zu einem der führenden Anbieter von ITK-Fachveranstaltungen in Deutschland aus. Seit 2010 ist Gerhard Holzwart geschäftsführender Gesellschafter der h&g Editors GmbH und ist in dieser Funktion als Event Producer, Direktmarketingspezialist und ITK-Fachredakteur tätig.        

Prägt noch immer das Fax-Gerät den Arbeitsalltag in den Amtsstuben oder sind die IT-Verantwortlichen dort inzwischen erfolgreich bei der Transformation? Eine aktuelle IDG-Studie gibt Anlass zur Hoffnung.
Der Weg zur digitalisierten öffentlichen Verwaltung ist noch weit.
Der Weg zur digitalisierten öffentlichen Verwaltung ist noch weit.
Foto: Rawpixel.com - shutterstock.com

Fast zwei Jahre Pandemie haben die öffentlichen Einrichtungen in Bund, Ländern und Kommunen einem bis dato ungeahnten Stresstest ausgesetzt. Mit einem auf den ersten Blick frappierenden Ergebnis. Denn in der Wahrnehmung vieler Bürger:innen ist E-Government immer noch Vision statt Realität. "Fax statt App" gilt nach wie vor als geflügeltes Wort für die unzureichende Digitalisierung essenzieller Verwaltungsvorgänge und Abläufe. Doch Schwarz-Weiß-Malerei erscheint bei näherer Betrachtung unangebracht.

Wie steht es nun wirklich um die Transformation deutscher Behörden? Die aktuelle Studie "Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung" von IDG Research Services, COMPUTERWOCHE und CIO-Magazin in Kooperation mit ServiceNow liefert hier durchaus aufschlussreiche Antworten. Zum Beispiel dergestalt, dass immerhin ein Viertel der befragten IT-Chef:innen und Behördenleiter:innen sich derzeit mit konkreten Digitalisierungsvorhaben beschäftigt, ein weiteres Drittel der Studienteilnehmer:innen entsprechende Projekte noch im Jahr 2021 abschließen möchte.

Öffentliche Hand hat im Branchenvergleich noch Rückstand

Die digitale Transformation ist also auch bei der öffentlichen Hand längst angekommen. Umgekehrt plant aber ein Viertel der Befragten aktuell keine Digitalisierungsprojekte oder weiß noch nicht, ob oder wann eine Digitalisierungs-Roadmap gestartet werden soll. Diese Ergebnisse zeigen, dass "Public" bei der Digitalisierung im Vergleich zu nahezu allen wichtigen Industrie- und Wirtschaftszweigen noch deutlich im Hintertreffen ist.

Es gibt also noch viel zu tun. Und es ist vor allen Dingen Tempo angesagt. Denn, wie viele Experten zu Recht feststellen, gibt es ohne Zweifel auch bei dem einen oder anderen Industrieunternehmen in Sachen digitalem Wandel Defizite oder Rückschläge - aber die Auswirkungen sind dort häufig nicht so öffentlichkeitswirksam. Rund 80 Millionen Bürger:innen erleben indes tagtäglich, wie es um die Customer Experience der öffentlichen Einrichtungen in Bund, Ländern und Kommunen bestellt ist. Festzuhalten bleibt: Was die Umsetzungsgeschwindigkeit digitaler Projekte angeht, liefert die Untersuchung durchaus positive Ergebnisse. Ein Viertel der Befragten weiß hier von einer Realisierungszeit von ein bis zwei Jahren zu berichten, weitere 19 Prozent benötigen demnach nicht länger als drei Jahre.

Ein unbestritten wichtiger Indikator für den Digitalisierungsgrad der Behörden ist auch das vom Bund initiierte und verabschiedete Online-Zugangsgesetz (OZG). Dies ist vor allen Dingen in seinem sogenannten Reifegradmodell eindeutig. So muss ein Online-Service, der diesen Namen auch verdient, vollständig digital abgewickelt und der betreffende Bescheid digital zugestellt werden können. Dann hat der betreffende Dienst laut OZG den Reifegrad 3 erreicht.

OZG-Reifegrad 3 ist kein Problem mehr

Vor diesem Hintergrund sind die Studienergebnisse erfreulich. Ein Drittel der Befragten ist demnach in der Lage, bereits zwischen 20 und 50 Prozent ihrer Dienstleistungen auf diesem Level anzubieten. Weitere knapp 20 Prozent erbringen bereits mehr als 50 Prozent ihrer Services auf diesem Level. Auch der Trend, den die Untersuchung hier ausweist, ist positiv.

Ein Drittel der Unternehmen ist in der Lage bereits zwischen 20 und 50 Prozent ihrer Dienstleistungen auf der Reifegradstufe 3 anzubieten
Ein Drittel der Unternehmen ist in der Lage bereits zwischen 20 und 50 Prozent ihrer Dienstleistungen auf der Reifegradstufe 3 anzubieten

Fast 30 Prozent der Studienteilnehmer:innen wollen bis Ende kommenden Jahres mindestens 75 Prozent ihrer digitalen Dienstleistungen auf Basis des OZG-Reifegrads 4 erbringen. Knapp sieben Prozent setzen sich in diesem Zeitraum sogar das Ziel, mehr als 90 Prozent ihrer bürgernahen Verwaltungsvorgänge auf diesem Niveau zu digitalisieren. Doch es gibt auch einen Wermutstropfen: Mit Blick auf das "Once-Only-Prinzip", also das Ermöglichen einer antraglosen, automatisierten und individualisierten Leistungserbringung, nennen mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer:innen kein konkretes Datum für die Realisierung und damit das Erreichen des OZG-Reifegrads 4.

EFA-Prinzip bleibt umstritten

Mit dem OZG hat die Politik versucht, für eine Beschleunigung und - soweit dies in föderalen Strukturen möglich ist - auch für standardisierte Normen sowie ein einheitliches Vorgehen bei der Beschaffung oder der Neuentwicklung von Anwendungen zu sorgen. Auch das häufig in diesem Kontext erwähnte "Einer-für-alle"-Prinzip (EFA) schwingt hier mit. Doch der in der Theorie gut gemeinte Ansatz, dass sich eine neu entwickelte Lösung für die Verwaltungsdienstleistungen von einer Behörde zu einer anderen ohne Weiteres eins zu eins übertragen lässt, stößt in der Praxis erkennbar an seine Grenzen.

Dieselbe Behörde ist eben in vielen Fällen nicht mehr dieselbe Behörde, wenn die Grenze von einem Bundesland zu einem anderen überschritten wird. Es entstehen in der Folge enorme Anpassungsaufwände und damit verstärkt die Neigung, doch auf der grünen Wiese jeweils alles neu zu machen. Der Tenor der Studienteilnehmer:innen ist hier entsprechend uneinheitlich: Rund die Hälfte kann sich weitgehend mit dem EFA-Prinzip anfreunden, beim Rest der Befragten hält sich die Begeisterung sehr stark in Grenzen.

Das EFA-Beispiel zeigt deutlich das Dilemma auf, in dem sich die Verwaltungsdigitalisierung befindet. Make or Buy ist eine der zentralen Fragen, die sich dort dem IT-Management stellt. Die entsprechenden Verantwortlichen befinden sich hier aber in bester Gesellschaft mit ihren Kollegen:innen in der freien Wirtschaft. Und sie haben mit weiteren, sehr ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen: IT-Fachkräftemangel, Modernisierung alter Legacy-Applikationen, Aufbrechen alter Silos sowie der Entwicklung neuer cloudbasierter Anwendungen.

Cloud-Skepsis bleibt auf hohem Niveau

Apropos Cloud: Die Skepsis gegenüber IT-Bezugsmodellen aus der Cloud ist laut Studie bei den öffentlichen Verwaltungen nach wie vor groß - aber sie bröckelt. Immerhin 17 Prozent der Befragten bekennen sich inzwischen zur Nutzung der Private Cloud, 13 Prozent haben sogar Workloads in die Public Cloud migriert. Weitere 18 Prozent der Studienteilnehmer:innen sind mittlerweile sogar mit der Nutzung beider Cloud-Spielarten vertraut. Dies sind höhere Zustimmungswerte als in vergleichbaren Untersuchungen vergangener Jahre - aber man bewegt sich hier immer noch auf sehr niedrigem Niveau. Zum Vergleich: Mehr als 32 Prozent geben nach wie vor zu Protokoll, dass sie die Cloud nicht nutzen.

Mehr als 32 Prozent der Befragten geben an keine Cloud zu nutzen
Mehr als 32 Prozent der Befragten geben an keine Cloud zu nutzen

Viele Mitarbeiter:innen und Entscheidungsträger:innen sind laut Studie grundsätzlich motiviert, fühlen sich aber massiv ausgebremst. In vielen begleitenden Kommentaren ist die Rede von unklaren Zuständigkeiten und wenig Bereitschaft zu Veränderungen, von fehlenden Schnittstellen und unterschiedlichen Softwarelösungen, die nicht verknüpfbar sind, von völlig unflexiblen Verwaltungsvorschriften, von zu viel Papier und zu viel analoger Arbeit. Auch die zu hohen Auflagen beim Schutz personenbezogener Daten werden als hemmender Faktor genannt. Die beiden größten "Show Stopper" bei der Digitalisierung sind aber nach Ansicht der Befragten unzureichende IT-Budgets sowie der Zuständigkeitswirrwarr im föderalen System der Bundesrepublik. Es ist also ungemein viel Druck im Kessel, aber auch zunehmend Resignation.

Dennoch: Immerhin ein Viertel der Entscheidungsträger:innen in den Bundesbehörden geben sich mit Blick auf eine zeitgemäße Customer Experience gute Noten. In den kommunalen Einrichtungen sind es sogar mehr als 40 Prozent der Befragten. Sie alle eint die Überzeugung, in den kommenden Jahren noch einmal deutlich in puncto Digitalisierungsgrad und -qualität zulegen zu können.

Summa summarum zeigt die aktuelle Studie: Man ist bei der Digitalisierung auf dem richtigen Weg, aber bestenfalls auf halber Strecke stehen geblieben. Branchenkenner:innen raten deshalb den Entscheidungsträger:innen in den Behörden vermehrt dazu, sich noch stärker als bisher an der freien Wirtschaft zu orientieren. Erfolgreiche Digitalisierungsvorhaben zeigten dort, worauf es vor allem ankommt: auf eine funktionierende Plattform-Organisation, mit der IT- und Fachexperten bereichsübergreifend auf Basis eines entsprechenden digitalen Mindsets und mithilfe technischer Werkzeuge Transformations-Projekte umsetzen können.

Die Studie "Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung" in Zusammenarbeit mit ServiceNow
Die Studie "Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung" in Zusammenarbeit mit ServiceNow

Studiensteckbrief

Herausgeber: COMPUTERWOCHE und CIO

Exklusiver Studienpartner: ServiceNow GmbH

Grundgesamtheit: (IT-) Verantwortliche in der öffentlichen Verwaltung der D-A-CH-Region (Bund, Länder / Kantone, Kommunen)

Teilnehmergenerierung: Stichprobenziehung in der IT-Entscheider-Datenbank von IDG sowie zur Erfüllung von Quotenvorgaben über externe Online-Access-Panels; persönliche E-Mail-Einladungen zur Umfrage

Gesamtstichprobe: 262 abgeschlossene und qualifizierte Interviews

Untersuchungszeitraum: 30. August bis 22. September 2021

Methode: Online-Umfrage (CAWI)

Fragebogenentwicklung: IDG Research Services in Abstimmung mit ServiceNow

Durchführung: IDG Research Services