"Hybrid IT ist kein Zukunfts-, sondern ein Realitätsthema". Mit dieser und weiteren ähnlichen Äußerungen zeichnete der jüngste - coronabedingt virtuelle - IDG-Roundtable zum Thema "Hybrid IT Management" ein im Vergleich zu anderen Themenschwerpunkten doch recht einhelliges Meinungsbild. Laut den via Zoom anwesenden Branchen-Insidern seien zwar durchaus Geschwindigkeitsunterschiede vor allem zwischen Mittelstands- und Enterprise-Level zu verzeichnen, doch an der Wichtigkeit einer Cloud-Strategie scheint auf Entscheiderebene kaum mehr jemand zu zweifeln.
Undefinierbare Hybrid-Zukunft
"Entscheider in kleinen und mittelständischen Unternehmen sind bereit, den Weg in Richtung Hybrid IT zu gehen, weil sie den konkreten Nutzen in der Vereinfachung und Flexibilität sehen", sagt Niels Kallies von Dell und beschreibt damit die aktuelle Situation.
Hybrit IT ist demnach die Verbindung zweier Tugenden: der Einfachheit von Public Clouds beziehungsweise Platform-as-a-Service (PaaS)-Lösungen mit der Unabhängigkeit, die ein Betrieb in lokalen Rechenzentren gewährleistet. In der Theorie sind beide Tugenden für Unternehmen jeder Branche und Größe essenziell, wenn sie von den Chancen der Digitalisierung profitieren wollen, ohne ihre digitale Souveränität einzubüßen. Und aus diesem Grund gibt es kaum Unternehmen, die auf eine wirklich vollständige Auslagerung ihrer IT setzen.
Die Frage ist an dieser Stelle nur: Welches Verhältnis zwischen Public Cloud und lokalem Betrieb ist das richtige? Und lässt sich "Hybrid IT" überhaupt jemals trennscharf definieren? Die knappe Antwortet lautet: Nein! Dafür existieren in jedem Unternehmen zu viele Variablen, die Einfluss auf die Cloud-Strategie nehmen.
Dazu gehören natürlich bestehende geschäftskritische Anwendungen, Datenschutzbestimmungen oder ähnliche Faktoren, die dazu führen, dass Unternehmen zumindest einen Teil der Prozesse in lokalen Rechenzentren belassen müssen und nicht vollständig auf Cloud-basierte IT umsteigen können. In anderen Fällen sorgt beispielsweise eine hohe Komplexität in der Legacy-Architektur dafür, dass die tatsächlichen Kosten für den Betrieb von Anwendungen in der Cloud höhere Kosten verursachen würden als ein lokales Setup.
- Niels Kallies, Dell
"In den vergangenen Jahren konnten wir im Mittelstand vor allem beim Thema Automatisierung wichtige Fortschritte erzielen. Diese stellt den wichtigsten Faktor bei Deployment, Operation und auch beim Lifecycle-Management dar." - Dirk Pfefferle, DXC
"Die erhöhte Orientierung an der tatsächlichen Wertschöpfung einer Cloud-Infrastruktur verlangt auch nach neuen Konsummodellen. Diese zu erschließen ist Aufgabe der Beratungsfirmen. Sie sind es, die die Technologie mit dem Geschäftsnutzen zusammenbringen müssen." - Benjamin Bachmann, Exxeta
"Das Thema Sicherheit ist in vielen Unternehmen mit Blick auf die Modernisierung der IT-Infrastruktur immer noch unterrepräsentiert. Es fehlen vielfach einfach die richtigen Leute, die die Security frühzeitig auf die Agenda bringen." - Oliver Ehrmann, Microfocus
"Gerade in einer hybriden Welt ist es umso wichtiger, Applikationen und Business-Services End-to-End zu betrachten und nicht nur einzelne Insellösungen aufzubauen, die isoliert voneinander betrieben werden." - Thomas Huber, Nutanix
",Die Cloud‘ verliert gerade ihren abstrakten Charakter, und das ist auch gut so. Es geht nicht mehr nur darum, Daten in einem Amsterdamer Rechenzentrum zu hosten, sondern um die positive Beantwortung der Frage, welches Betriebsmodell ich abbilden will. Hier gibt es je nach Ziel unzählige Möglichkeiten, und die Cloud ist ein Teilaspekt bei der Erreichung dieser Ziele." - Thomas Sandner, Veeam
"Ein begleitendes Change-Management ist mit Blick auf die personellen Ressourcen extrem wichtig. Mitarbeiter, die jahrzehntelang eine bestimmte Aufgabe hatten, können sich nicht von heute auf morgen „transformieren“."
Auf Lift & Shift folgt Ernüchterung
Die richtige Strategie und vor allem eine konsistente Umsetzung sind daher durch nichts zu ersetzen. Schließlich gibt es genug Beispiele, in denen ein zu ambitionierter oder pragmatischer Wechsel in die Cloud erstmal zu einer Verschlechterung führen kann, wie Thomas Sandner vom Softwareentwickler Veeam anmerkt: "Mit Blick auf das Kostenoptimierungspotenzial stellt sich bei vielen Unternehmen gerade die erste Ernüchterung ein, denn auf die erste Lift-and-Shift-Euphorie folgt die Erkenntnis, dass diese gar nicht die erhoffte Einsparung ad hoc bringt."
Seiner Erfahrung nach hat der kompromisslose Wechsel in die Public Cloud immer einen Preis. Dieser zeigt sich entweder monetär oder in Form einer erhöhten Abhängigkeit vom Provider: "Durch eine strategische Integration, die den sinnvollen Einsatz von PaaS-Diensten vorsieht, lassen sich sehr wohl deutliche Kosteneinsparungen erzielen - diese gehen aber oftmals mit einer stärkeren Abhängigkeit vom Cloud-Anbieter einher."
Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'Hybrid IT Management'
Neben dem Sicherheits- oder Datenschutzargument ist es vor allem das der Unabhängigkeit, das im Rahmen der Roundtable-Diskussion immer wieder zu hören ist. Der lokale Betrieb stelle demnach für viele Firmen ein Faustpfand dar, das nicht nur die Datensouveränität eines Unternehmens erhält, sondern indirekt auch dafür sorgt, dass der Public-Cloud-Markt selbst flexibler wird. Denn wer sich als Anbieter einer Kundenstruktur gegenübersieht, die sich durch strategisch sinnvolle Hybrid-Cloud-Architekturen ihre eigene Unabhängigkeit bewahrt, kann seine Plattform nur etablieren, wenn er diese Flexibilität auch in den eigenen Leistungskatalog integriert. Das geschieht zum Beispiel dadurch, dass er eine bedarfsgerechte Migration - und vor allem Re-Migration - von Daten ermöglicht. Auf diese Weise führt Hybrid IT Management auch zu einer Harmonisierung des Provider-Marktes und damit zu einer Verbesserung des Angebots von Public-Cloud-Diensten. Weniger Vendor-Lock-In, mehr Wettbewerb - auch das ist eine Prognose, die die Diskussion hervorbringt.
Es ist also - unabhängig von Branche und Größe - für jedes Unternehmen wichtig, das Heft in der Hand zu behalten. Dabei raten die Roundtable-Experten zu Besonnenheit, strukturiertem Vorgehen und vor allem zu der nötigen Ruhe, eine Infrastruktur Schritt für Schritt weiterzuentwickeln, zu gestalten und nur die Bestandteile zu migrieren, bei denen dies wirklich Sinn ergibt.
Overrated Hybrid IT?
Und überhaupt: Ist die Frage "Public oder lokal" nicht ohnehin überflüssig, wenn man nur nach dem konkreten Nutzen einer Maßnahme fragt?
"Das Thema Hybrid IT ist zwar wichtig, wird vielerorts aber vielleicht zu hoch bewertet. Am Ende ist es doch die Anwenderfreundlichkeit und vor allem die Qualität der Services, die entscheidet", bemerkt Benjamin Bachmann von Exxeta. "Wo und in welchem Setup eine Infrastruktur betrieben wird, ist hier letztlich kein Game Changer."
"Jedes Unternehmen muss die Reise in die Cloud individuell für sich gestalten", sagt auch Oliver Ehrmann von Microfocus. "Eine gewisse strategische Orientierung ist dabei essenziell. Es gilt, an jeder Stelle zu überlegen: Was ergibt Sinn in der Cloud?"
Dabei sollten Sicherheit und Datenschutz natürlich von Anfang an einen hohen Stellenwert innerhalb der Strategie genießen, aber niemals ein "Showstopper" sein, wie Dirk Pfefferle von DXC Technology gerade mit Blick auf den öffentlichen Sektor und auf datenschutzintensive Branchen feststellt: "Regulierte Branchen wie die Versicherungswirtschaft sind nicht per se weniger zukunftsfähig. Es gibt immer eine Lösung, um eine Infrastruktur auch behördenkonform zu machen. Hybrid IT spielt hier eine Schlüsselrolle. Viel entscheidender ist es, dass die Führungsmannschaft eine klare Richtung vorgibt und nicht ständig Gründe gegen eine Modernisierung sucht."
Studie "Hybrid IT Management": Sie können sich noch beteiligen! |
Zum Thema Hybrid IT Management führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Frau Regina Hermann (rhermann@idgbusiness.de, Telefon: 089 36086 384) und Frau Nicole Bruder (nbruder@idg.de, Telefon: 089 360 86 137) gerne weiter. Informationen zur Hybrid IT Management-Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF). |
Zurück zur "Vor-Corona-Euphorie"
Ist also mittlerweile alles in Butter am oft als zu zaghaft gebrandmarkten Cloud-Standort Deutschland? Ganz und gar nicht: Zwar bot das Jahr 2019 einigen Anlass zur Aufbruchsstimmung, und viele Unternehmen waren nach Jahren der Planung endlich bereit, die notwendigen Investitionen zu tätigen, doch wäre es eine Verkennung der Realität, davon auszugehen, dass die Entscheiderebene ganz automatisch wieder in die Vor-Corona-Stimmung zurückfällt. Abgesehen von Trendthemen wie Remote Work oder anderen pandemiebedingten Reaktionen ist es absehbar, dass große Migrations- und Modernisierungsprojekte erst mal wieder zurückgestellt oder auf unbestimmte Zeit verschoben werden.
Die Budgets werden knapper sein, und vor diesem Hintergrund ist es gerade jetzt die Aufgabe der Beratungsunternehmen, für die richtigen Konzepte zu werben und sich noch konsequenter am Nutzen zu orientieren, wie Pfefferle abschließend feststellt: "Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, dass wir nicht mehr im Jahr 2019 leben. Mit Blick auf das Budget stehen wir flächendeckend vor veränderten Bedingungen. Für viele Projekte, die unter ,Normalbedingungen' absolut sinnvoll waren, fehlt jetzt schlichtweg das Geld. Unsere Aufgabe ist es, den ,Cloudifizierungs-Zug' wieder ins Rollen zu bringen, indem wir auf solche Notwendigkeiten hinweisen und die Stimmung des Vorjahres wieder herstellen."
Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'Hybrid IT Management'