Ein Blick auf die deutschen Anwenderunternehmen zeigt, dass sie noch ziemlich am Anfang stehen, wenn es darum geht, sich zu einem "Data-driven Enterprise" zu entwickeln. Auf einer Skala von 0 bis 10, auf der die 10 für eine "vollständig datengetriebene Organisation" steht, kommen laut der virtuellen Data-Expertenrunde, die COMPUTERWOCHE, CIO und CSO veranstalteten, nur die wenigsten über eine 3 hinaus.
Dabei mangelt es den Unternehmen weder an möglichen Einsatzfeldern noch an den Daten selbst - es sind vor allem bestehende Silos, die datenbasierte (Echtzeit-)Entscheidungen verhindern. Viele Unternehmen halten dennoch an einer verteilten Data-Warehouse-Landschaft fest, weil sie hier in den vergangenen Jahren viel Zeit und Geld investiert haben. Auch bei drei weiteren zentralen Aspekten eines datengesteuerten Unternehmens fehlt oftmals noch die nötige Agilität: Self-Service, Autonomie und Demokratisierung.
Auf den Mehrwert kommt es an
Hinter dem Data-driven Enterprise steckt die Vision, dass die komplette Organisation künftig vollständig datengetrieben funktioniert. Weil die Umsetzung aber nicht überall gleichzeitig und sofort möglich ist, geht es zunächst um die Ziele dahinter. Lassen sich durch mehr und bessere Daten beispielsweise der Automatisierungsgrad erhöhen oder die Customer Experience verbessern? In der Vergangenheit waren die Erwartungen an "Big Data" hoch und es wurden viele spannende und anspruchsvolle Konzepte umgesetzt - jedoch oftmals ohne kommerziellen Ertrag. Fehlte neben dem Nutzen zudem noch das Grundverständnis der Unternehmensführung über Möglichkeiten, Chancen und Grenzen, blieb man dort stehen, wo man heute noch ist: eben auf Stufe 3 von 10.
Gerade in der Vergangenheit sorgte zudem die unklare Regelung der Data Ownership für Probleme: Wer die Daten hatte, behielt sie als Abteilung auch gerne einmal für sich. Ohne den bereichsübergreifenden Austausch fehlte den Data Scientists in den Unternehmen dadurch nicht nur der Zugriff auf die Daten beziehungsweise schon das Wissen darum, sondern auch die Anbindung an die IT-Abteilung, um diese Daten gewinnbringend einzusetzen. Organisatorisch wurde also einiges falsch gemacht. Neue Ansätze wie Data Mesh sind deshalb zukunftsweisend, weil sie genau diese Themen adressieren.
- Henrik Behrens, Machine Learning Reply
„Eine Kollaboration zwischen den einzelnen Abteilungen ist erstrebenswert. Durch die Einigung auf eine einheitliche Datenstruktur können sie gemeinsame Teile nutzen und vermeiden so, am Ende wieder bei Silos zu landen. Kollaboration wird in Zukunft auch außerhalb des Unternehmens eine immer wichtigere Rolle spielen. Es gibt bereits entsprechende Ansätze, um Machine Learning-Modelle unternehmensübergreifend zu trainieren („Federated Learning“). Hier wird das Wissen mehrerer Unternehmen gesammelt, der Nutzen quasi gemeinsam gehoben, jedoch ohne dafür die Daten teilen zu müssen.“ - Christoph Nützel, Futurice
„In den vergangenen Jahren wurde die Definition einer Data-driven Organisation zu einem Moving Target: von stark Analytics-basiert bis hin zu Realtime-Entscheidungen treffen. Viele, die denken, sie seien heute Data-driven, kommen aus einer Definition, die vielleicht vor 15 Jahren die vorherrschende war. Das macht es so schwierig zu wissen, wo man steht. Aber auch die Sprache definiert sehr stark die Adaptionen. Da wir Menschen immer etwas abgeschlossen haben wollen, hat Data-driven meist den Anklang, Technologie und KI würden Menschen ersetzen. Dabei unterstützen diese zielgerichtet bei komplexen Aufgaben, weshalb ich den Begriff Data-enabled vorziehe.“ - Boris Bialek, MongoDB
„Man kann nicht alles perfekt machen – man muss mit den Daten und Quellen arbeiten, die man hat, und man muss schnell Ergebnisse erzielen. Gerade in der momentanen wirtschaftlichen Situation wollen Kunden keinen genialen Plan für 2028, sondern Ergebnisse innerhalb von drei bis sechs Monaten. Und für solch kleine Projekte braucht man kein Datawarehouse, sondern die berühmten drei Leute im dunklen Zimmer, eine Kreditkarte und eine Cloud-Plattform. Bottom-up kommen meist die besten Ideen, aus denen ein Tsunami entsteht.“ - Peter Ahnert, Nagarro
„In den allermeisten Unternehmen sind sowohl Neugierde als auch der Wunsch da, Dinge auszuprobieren. Entscheidend ist, dass man dem Raum gibt – mit allem, was dazu gehört. Das ist nicht nur ein Budget. Dazu gehört auch, den Leuten Vertrauen und Zeit zum Experimentieren zu geben. Vor allem darf die Unternehmensleitung Ideen nicht blockieren, auch wenn datengetriebene Entscheidungen manchmal nicht der eigenen Intuition entsprechen. Dieser Konsequenz der Veränderung muss man sich bewusst sein.“ - Dr. Andreas Engel, SAP
„Überspitzt gesagt, ist das Ziel nicht, ein Data-driven Enterprise zu werden. Das Ziel jedes Unternehmens muss lauten: Be the best version of yourself! Der Mehrwert, der datengetrieben erreicht werden soll, muss im Vordergrund stehen. Der Value steckt nicht darin, datengetrieben zu entscheiden, nur weil jeder es macht. Am Ende stellt man sonst meist fest, dass man die Ergebnisse nicht mehr in den Prozess bekommt. Deshalb muss man zuerst den Wert der eigenen Daten klären und dann in die Daten und Prozesse mit hohem Wert investieren, um das Unternehmen nach vorne zu bringen.“ - Horst Urlberger, Microsoft
„Es ist ganz entscheidend, was die individuelle Data-driven-Strategie von Unternehmen ist und wie die Ownership der Data-driven-Strategie im Unternehmen ausgelegt wird. Von vielen Unternehmen wurde das in der Vergangenheit noch sehr stiefmütterlich behandelt, indem man einfach sagte: Die IT macht das mit. Wir sehen deutlich mehr Bewegung bei Unternehmen, die zum Beispiel die Rolle eines CDO ins Leben gerufen haben, weil die Initiativen dadurch auf die richtige Ebene gehoben wurden.“
Erwartungen anpassen
Die Expertenrunde kommt zu dem Schluss, dass bereits die Erwartungshaltung der Unternehmen einer Generalüberholung bedarf. Nicht alle Unternehmen müssten hundertprozentig "Data-driven" sein - vielmehr sollte man zunächst klären, welche Business-Probleme sich mit Hilfe von Daten lösen lassen, um Entscheidungen nicht aus dem Bauch heraus treffen zu müssen - und welche eben auch nicht. Genau wie Daten den Unternehmen Mehrwerte liefern sollen, muss so auch das Data-driven Enterprise als Ganzes einem sinnvollen Zweck dienen. Hinzu kommt, dass je stärker die Daten vom Business genutzt werden, desto wichtiger Aspekte wie Demokratisierung der Daten und die Aufteilung der Datenhaltung auf die Fachbereiche werden. Letzteres mit dem Ziel, diese in die Lage zu versetzen, im Selfservice-Modus mit Datenplattformen zu arbeiten.
Viele Unternehmen haben bereits erkannt, dass der zentrale Datawarehousing-Ansatz für sie nicht die Zukunft sein kann, weil er vor allem die Anforderungen an eine Echtzeitverarbeitung der Daten nicht erfüllt. Andererseits bedeutet Data-driven Enterprise auch nicht zwingend, dass alles in Realtime analysiert werden muss. Ob Echtzeitfähigkeit notwendig ist, hängt zum Teil von der Branche, vor allem aber vom Anwendungsfall ab. In Logistik oder Lagerhaltung ist sie zum Beispiel wichtig für Funktionen wie Tracking, Verbrauchswertüberwachung oder Bestände. Auch Versicherungen müssen durch ihr Online-Angebot in der Lage sein, Kundenreaktionen datengetrieben in Echtzeit zu begegnen, während sie im Vertragsmanagement einer abgeschlossenen Lebensversicherung keine Rolle spielt.
Studie "Data-driven Enterprise 2023": Sie können sich noch beteiligen! |
Zum Thema Data-driven Enterprise führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Regina Hermann (rhermann@idg.de, Telefon: 089 36086 161) und Manuela Rädler (mraedler@idg.de, Telefon: 089 36086 271) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF). |
Think big, start small
Letztendlich geht es bei einem Data-driven Enterprise genau darum: datengetrieben einen businessorientierten Wert aus den Daten zu generieren, die man hat. Und dafür muss zuerst das Bewusstsein geschaffen werden, was mit den Daten überhaupt möglich ist. Als Einstieg haben sich hierfür Workshops bewährt, in denen Fachanwender und IT zu einem bestimmten Bereich in einem Design-Thinking-Ansatz Ideen entwickeln, was sich aus den Daten machen lassen könnte.
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von IT und Fachbereich ist von Anfang an wichtig, denn auf dem Weg hin zu einer konsequenten Datennutzung müssen die organisatorischen Silos aufgebrochen werden. Ein weiterer Rat der Experten: Jedes Unternehmen sollte sich ein Gerüst zurechtlegen, das sowohl die Richtung definiert, als auch beispielsweise regulatorische Anforderungen berücksichtigt. Allerdings darf dieses Gerüst weder zu groß noch zu starr sein, sondern muss anpassbar bleiben, um einen schnellen Start hinlegen zu können. Um sich nach erfolgreichen Proofs of Concept (POCs) nicht gleich wieder in (alten) Silos zu verlieren, sollten Überlegungen folgen, wie sich diese Daten wieder zusammenführen und weiter nutzen lassen.
Es wäre durchaus mehr möglich
Die perfekte Lösung wird es indes nie geben, weil jedes Unternehmen andere Business Values in den Vordergrund stellt. Ebenso wenig ist ein standardisierter Prozess für den Einstieg ins Data-driven Enterprise in Sicht, da es immer davon abhängt, wie die Firmen im Einzelnen hierarchisch aufgestellt sind und wie gut insbesondere Führungskräfte und Mitbestimmungsgremien mitziehen. Denn obwohl die Neugier meist da ist, fehlt es in vielen Bereichen an Kreativität.
Besonders im deutschen Markt ließen sich - so die Meinung der Experten - wesentlich mehr datengetriebene Projekte umsetzen, wenn sich die Unternehmen nicht mit ihren internen Strukturen im Weg stehen würden. Wer ständig versuche, Firmen zu "steuern statt zu führen", nehme der Kreativität die Luft zum Atmen. Um über den Tellerrand - respektive die Inhouse-Daten - hinauszuschauen, braucht es viel Beobachtung, Fingerspitzengefühl, Zeit und Vertrauen. Quintessenz: Für ein "echtes" Data-driven Enterprise muss sich zunächst einmal die Kultur im Unternehmen ändern.
Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'Data-driven Enterprise 2023'