Round Table Machine Learning: Potenzial noch nicht ausgeschöpft

Data Scientists sitzen oft auf dem Trockenen

30.01.2019
Von 
Jürgen Mauerer ist Journalist und betreibt ein Redaktionsbüro in München.
Maschinelles Lernen bietet großes Potenzial für Unternehmen. Doch in vielen Unternehmen mangelt es an Verständnis, was die möglichen Einsatzgebiete der verschiedenen Methoden der KI betrifft. Eine große Herausforderung stellen auch die Qualität der Daten und deren Aufbereitung dar. Hier fehlt den Data Scientists häufig das geeignete Datenmaterial.
Machine Learning - eine Form der Künstlichen Intelligenz - ist im Alltag angekommen. Doch wie nutzen deutsche Firmen die Technik?
Machine Learning - eine Form der Künstlichen Intelligenz - ist im Alltag angekommen. Doch wie nutzen deutsche Firmen die Technik?
Foto: Phonlamai Photo - shutterstock.com

Maschinelles Lernen ist als eine Form der Künstlichen Intelligenz (KI) in unserem Alltag angekommen. Algorithmen bilden die Grundlage (teil)autonomer Autos und von Robotern in der Fabrik bis hin zu Geräten wie Alexa oder Google Home, die per Stimmbefehl einen Musiktitel anfordern und Suchanfragen im Web starten können. Auch immer mehr Unternehmen erkennen das Potenzial von Machine Learning, wenn es darum geht, ihre Geschäftsprozesse zu optimieren und Kosten zu sparen.

Wo stehen die deutschen Firmen mit ihren KI-Projekten zurzeit? Welche Ziele verfolgen sie mit dem Aufbau intelligenter Systeme? Wie gehen sie vor? Mit welchen Herausforderungen haben sie beim maschinellen Lernen zu kämpfen? Darüber tauschten sich auf Einladung der COMPUTERWOCHE kürzlich elf Teilnehmer aus verschiedenen Unternehmen in einer Round-Table-Diskussion aus.

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KI wird unterschiedlich definiert

Über die Erfahrungen mit Machine Learning im Alltags- und Projektgeschäft tauschten sich die Teilnehmer des COMPUTERWOCHE-Round-Table aus.
Über die Erfahrungen mit Machine Learning im Alltags- und Projektgeschäft tauschten sich die Teilnehmer des COMPUTERWOCHE-Round-Table aus.
Foto: Michaela Handrek-Rehle

Zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) schwirren viele Begriffe in den Unternehmen umher: maschinelles Lernen, neuronale Netze, Deep Learning, Narrow KI, Wider KI, Strong KI oder Weak KI. "Jedes Unternehmen definiert den Begriff Künstliche Intelligenz anders. Es fehlt an einem einheitlichen KI-Verständnis auf allen Management-Ebenen. Insbesondere im Mittelstand weiß kaum jemand, für welches Problem sich welche KI-Methodik eignet", stellt Stefan Gössel fest, Partner Reply und Managing Partner bei der Strategieberatung Leadvise Reply.

Die Teilnehmer des Round Tables versuchten daher zunächst, Licht in das Dunkel der Definitionen zu bringen. "Ich befürchte, der Zug für eine einheitliche Definition der Begriffe rund um KI ist bereits abgefahren. Künstliche Intelligenz ist für mich allgemein der Oberbegriff für datenoptimierte Maschinen, die Aufgaben übernehmen, die mit traditionellen Algorithmen schwierig zu programmieren sind, die ein Mensch jedoch relativ einfach lösen könnte. Allgemeine KI, die über ihr trainiertes Aufgabengebiet deutlich hinauswächst, ist Zukunftsmusik und Bestandteil der Forschung", erklärt Dr. Christoph Angerer, Manager AI Developer Technologies Europe bei Nvidia. "Spezialisierte KI hingegen ist in vielen Bereichen bereits im Einsatz, etwa bei der Sprach- und Bilderkennung mit maschinellem Lernen." Mit maschinellem Lernen verbindet der Nvidia-Mann klassische Algorithmen, die mit Daten trainiert werden. Neuronale Netze, die Deep Learning ermöglichen, sieht er als Untergruppe des Machine Learnings (ML).

Hat Ihr Unternehmen den Einstieg in KI und Machine Learning gewagt? Wie sehen Ihre ersten Erfahrungen aus? Welchen Nutzen wollen Sie ziehen, welche ML-Methoden setzen Sie ein? Welche Herausforderungen und Risiken sehen Sie? Machen Sie mit bei unserer Umfrage zum Thema Künstliche Intelligenz / Machine Learning und gewinnen Sie ein Ipad mini 4.

Für Ron Brandt, Vice President Consulting bei CGI Deutschland, ist das Thema KI mit Buzzwords überladen. "Wir erklären unseren Kunden die Begriffe und schaffen so ein richtiges Verständnis. Künstliche Intelligenz bildet den Überbegriff zu Methoden wie Machine Learning, Deep Learning oder neuronalen Netzen. KI ist kein Produkt, sondern eine Methodik, die über Daten zu einem konkreten Use Case führt. CGI ist immer darauf bedacht, für seine Kunden Lösungen für spezifische Anwendungsfälle zu realisieren. KI gibt es nicht ,out of the box', sondern nur individuell."

Auf den Use Case kommt es an

Hier waren sich alle Diskutanten einig: Entscheidend sind der konkrete Anwendungsfall und der jeweilige Nutzen für den Kunden. Und sie warnen vor einer überzogenen Erwartungshaltung bei den Kunden. "Wir müssen uns grundsätzlich fragen: Was möchte der Kunde? Aus maschinellem Lernen und statistischen Methoden resultieren im Regelfall Erkenntnisse und Kennzahlen zur besseren Steuerung von Geschäftsprozessen. Firmen erwarten aber von der Künstlichen Intelligenz zusätzlich, dass sie diese Prozesse automatisiert übernimmt und kontinuierlich verbessert. Daraus ergeben sich aktuell spannende Herausforderungen", sagt Michael Mayerhofer, Chief Data Scientist bei NTT Data.

Alexander Krock, Head of Cloud Customer Engineering DACH bei Google, sieht neben der überzogenen Erwartungshaltung eine weitere Gefahr: "Viele Firmen greifen die Buzzwords auf und denken: ,Weil jetzt alle KI machen, brauchen wir das auch.' Das ist aus meiner Sicht ein falscher Ansatz, weil es in puren Aktionismus ohne Blick auf den eigentlichen Mehrwert für das Geschäft münden kann. Ein Tipp: Maschinelles Lernen ist sehr stark bei repetitiven Anwendungsfällen wie beispielsweise der Auswertung von Röntgenbildern. Hier wird die Maschine durch Wiederholung und Training der Algorithmen immer stärker."

Das Beratungsunternehmen Accenture hat für seine Kunden einen Katalog mit Szenarien und möglichen Use Cases für KI-Projekte entwickelt. "Zentral sind hier zunächst einfache Szenarien, die relativ schnell Ergebnisse liefern. Der Moon Shot mit großen Zielen wie 'Wir wollen mit KI das Mittel gegen Krebs finden' ist sehr langfristig zu sehen und auch der Vorstandsebene nur schwer zu vermitteln. Das Top-Management handelt oft nach der Devise: 'Data is the new oil, now where is my money?' Das gelingt zeitnah mit KI-Projekten, die zunächst Prozesse schneller, besser und günstiger machen", sagt Dr. Andreas Braun, Data + AI Lead bei Accenture in Europa.

Von Vorteil kann es hier sein, wenn der Anbieter selbst die KI-Technologie in seinem Unternehmen einsetzt, etwa um die Prozesse zu verbessern oder in der industriellen Produktion proaktiv auf mögliche Probleme bei Anlagen reagieren zu können (Predictive Maintenance). So wie etwa Siemens. "Wir setzen in unseren eigenen Fertigungen durchgängig eine breite Palette von Siemens-Digitalisierungslösungen ein, darunter zunehmend auch KI- und ML-Technologien. So können wir unseren Kunden die Erfahrungen aus unseren Digitalisierungsprojekten eins-zu- eins weitergeben", sagt Katharina Lamsa, Pressesprecherin Digital Factory bei Siemens. "Die Erkenntnis, dass erfolgreich implementierte Digitalisierungslösungen zu bedeutend größerer Effizienz, zu mehr Flexibilität und letztlich zu deutlich höherer Produktivität führen, ist die beste Motivation, um nach und nach weitere Lösungen im Bereich Digitalisierung, KI und ML einzusetzen und das Unternehmen so schrittweise zur 'Digital Enterprise' umzubauen."

Größte Herausforderung: Daten, Daten, Daten

Die Datenqualität ist für die Diskussionsteilnehmer eine der großen Herausforderungen bei ML-Projekten.
Die Datenqualität ist für die Diskussionsteilnehmer eine der großen Herausforderungen bei ML-Projekten.
Foto: Michaela Handrek-Rehle

Doch maschinelles Lernen und andere KI-Methoden ergeben nur dann Sinn, wenn die Datenbasis stimmt. Unisono nannten alle Teilnehmer des Round Tables Datenqualität, Datenaufbereitung und Datensicherheit als größte Herausforderungen beim Thema Künstliche Intelligenz. "Firmen müssen Datentypen und Datenformate aus unterschiedlichsten Quellen sammeln, aggregieren, normalisieren und analysieren. Doch viele Unternehmen haben hier die Hausaufgaben nicht gemacht. Oder sie haben die Daten, wissen aber nicht, was sie mit der Analyse erreichen wollen. Geht es darum, Prozesse zu automatisieren, Diagnosen schneller zu erstellen oder den Kundenservice zu verbessern? Das Ziel der KI-Projekte muss klar sein", so Alfred Ermer, CEO und Managing Director bei Arago da Vinci.

Die Daten sollten natürlich alle Kriterien für hohe Qualität erfüllen wie Korrektheit, Konsistenz, Vollständigkeit, Aktualität oder Einheitlichkeit. "Bei uns fließen - wie branchenüblich - etwa 80 Prozent der Zeit in das Suchen, Sammeln und Aufbereiten von Daten für maschinelles Lernen, um die Entwicklung und den Betrieb unserer Netze und Produkte effizienter zu gestalten", sagt Kenza Ait Si Abbou Lyadini, Senior Manager Robotics & AI bei Deutsche Telekom IT. "Unser Ziel ist es, das bestehende einheitliche Datenmodell anzuwenden, um die durch unsere langjährige Geschichte noch vorhandenen Datensilos aufzubrechen und die Wiederverwendbarkeit von Anwendungsfällen zu ermöglichen. Der verantwortungsvolle Umgang mit Kundendaten hat in diesem Zusammenhang für uns oberste Priorität."

Ähnliche oder fast noch strengere Sicherheitsbestimmungen gelten auch im Gesundheitswesen, da dort etwa in Studien und der Medikamentenforschung viele Patientendaten anonymisiert verarbeitet werden. "Wir als Pharma- und Diagnostikfirma müssen hier nicht nur penibel auf den Datenschutz achten, sondern die Datenqualität sichern und auch die Daten in ein einheitliches Format bringen, bevor wir das Potenzial der KI ausschöpfen können", betont Dr. Markus Bundschus, Head Data Office bei Roche Diagnostics.

Data Scientists fehlen oft passende Daten

Voraussetzung für den Erfolg der Medikamentenforschung, für die mithilfe von maschinellem Lernen Biomarker aus einer großen Datenmenge entdeckt werden sollen, ist eine enge Vernetzung der Techniker und Data Scientists mit den Fachexperten, zum Beispiel Biochemikern. "Die Fachexperten müssen in die Technologie eintauchen und die Data Scientists beim Verständnis ihres Fachgebiets unterstützen", so Bundschus.

Das gilt auch in der Industrie. Hier müssen die Spezialisten aus der Produktion die Bedeutung der Daten verstehen, damit sie gemeinsam mit den Data Scientists die Ergebnisse des Algorithmus bewerten können. Umgekehrt müssen die Data Scientists auch die Bedürfnisse und Herausforderungen der Fachabteilungen verstehen - und sie benötigen das passende Datenmaterial für ihre Analysen.

Denn das war ein sehr überraschendes Ergebnis dieser Gesprächsrunde rund um maschinelles Lernen und KI: Häufig sitzen die teuer eingekauften Datenspezialisten auf dem Trockenen, weil sie zu wenig oder keine aussagekräftigen Daten erhalten. Stellvertretend dafür zum Abschluss ein Statement von Steve Rommel, Head of IT Business Center Digital Manufacturing bei Konica Minolta: "Häufig sind die Daten für KI-Projekte oder maschinelles Lernen aus den verschiedenen Abteilungen nicht greifbar - Stichwort Datensilos -, oder sie lassen sich aus technischen Gründen nicht zusammenführen. Andere Gründe sind eine fehlende Datenstrategie oder schlichtweg mangelnde Datenqualität. Man mag es daher kaum glauben: Data Scientists haben oft nicht die passenden Daten und fühlen sich unterfordert."

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