Vor diesem Hintergrund fiel die Entscheidung, Abläufe mithilfe von S/4HANA zu verbessern und gleich die neue Technologie zu nutzen. Zwar bietet SAP für das ältere Kernsystem ECC 6.0 noch bis 2027 Wartungsdienste an. "Wir haben jedoch den Eindruck, dass SAP wesentliche Neuerungen für das Treasury in S/4HANA vorantreibt", erläutert Gloystein. Weil die Treasury-Systeme auf einer separaten SAP-Maschine laufen, habe man die S/4HANA-Migration zunächst isoliert vom Rest der Knorr-Bremse-SAP-Landschaft organisieren können. Für die übrigen SAP-Systeme hat das Unternehmen ein Vorprojekt gestartet und vorbereitende Maßnahmen eingeleitet, beispielsweise im Bereich Warehouse Management. Die unternehmensweite Migration auf das neue Kernsystem soll 2023 starten.
Knorr-Bremse: Der CIO berichtet an den CEO
Jenseits solcher Großprojekte kümmert sich ein "Process Digitalization Council" um die diversen Digitalisierungsvorhaben. Das Gremium priorisiert Projekte anhand des zu erwartenden Return on Investment (RoI) und steuert sie anschließend in den Budgetprozess ein. Neben Vertretern der zwei Divisionen Rail und Truck sitzen auch der CEO, der CIO sowie der Verantwortliche für weltweite Digitalisierungsprojekte von Knorr-Bremse im Council. Bei letzterem handele es sich laut Hilzinger aber nicht um einen klassischen Chief Digital Officer. Vielmehr bilde die Funktion eine Klammer über alle Digitalisierungsvorhaben in den Bereichen und wirke vor allem koordinierend. Hilzinger selbst berichtet in seiner CIO-Rolle direkt an den CEO Jan Mrosik.
New Work und Flexdesk im Büro
Die IT der Knorr-Bremse AG ist nicht nur für den operativen Betrieb verantwortlich, sondern unterstützt auch New-Work-Konzepte. "Nicht erst seit Beginn der Pandemie ist das ein immer wichtigeres Thema geworden", so der CIO. "Unsere Aufgabe ist es, Remote Work und Mobile Work noch skalierbarer und sicherer zu machen."
Die organisatorischen Voraussetzungen für die neue Arbeitswelt hat das Management geschaffen. Eine Betriebsvereinbarung regelt beispielsweise, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Deutschland bis zu 40 Prozent ihrer Arbeit per Mobile Work erledigen können. In München entstand ein Gebäudekomplex mit einem Flexdesk-Konzept. Angestellte buchen ihre Arbeitsplätze online und werden von einer App zum Schreibtisch geleitet. Das Modell soll auch in anderen Büros umgesetzt werden.
Innovation Management bei Knorr-Bremse
Geht es um technische Innovationen, fährt Knorr-Bremse mehrgleisig. Im Februar 2020 gründete das Unternehmen die Entwicklungseinheit "eCUBATOR", in der das Know-how im Bereich E-Mobilität für Nutzfahrzeuge gebündelt wurde. Rund 60 interne und externe Experten arbeiten an den Standorten München und Budapest an neuen Lösungen. Ein Schwerpunkt liegt auf der zweiten Generation elektrisch angetriebener Nutzfahrzeuge, die voraussichtlich 2025 marktreif sein wird.
Ähnliche Einheiten gibt es auch in anderen Bereichen, darunter beim Tochterunternehmen Kiepe Electric, das sich mit E-Lösungen für einen emissionsfreien öffentlichen Nahverkehr beschäftigt. Hilzinger, der in seiner Zeit bei Klöckner auch Geschäftsführer der Digitaltochter kloeckner.i war, sieht in solchen "integrierten Innovationseinheiten" aber nur eine von mehreren Optionen: "Jeder von uns hat die Aufgabe, Innovationen voranzutreiben, sei es in der IT oder im Business."
Hürden und Learnings
Als Hilzinger 2019 bei Knorr-Bremse antrat, fand er eine gut ausgebildete und professionelle IT-Mannschaft vor. "Durch einige 'Trainerwechsel' in der Vergangenheit gab es aber eine gewisse Verunsicherung im Team", erinnert er sich. Deshalb sei es ihm zuerst darum gegangen, Stabilität und Vertrauen zu vermitteln. Seinen Führungsstil bezeichnet er als partizipativ und kooperativ: "Das war für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neu, denn nun hört der CIO erst den Experten zu, bevor er eine Entscheidung trifft."
Zu den ersten Hürden, die er nehmen musste, gehörte es, die wahrgenommene Rolle der IT als reinem Dienstleister zu verändern: "Früher galt die Devise: Das operative Geschäft bestellt und die IT muss zu günstigsten Kosten liefern." Um davon wegzukommen, sei viel Kommunikationsarbeit nötig gewesen. Hilzinger: "Als Technologie-Partner des Geschäfts muss die IT beraten und über Risiken und Nebenwirkungen von Architektur- und Softwareentscheidungen aufklären." Dazu brauche es Mut, der heute vorhanden sei.