Experten diskutieren Cloud-Migration

Bremsklötze und Fallstricke auf dem Weg in die Cloud

01.02.2023
Von 
Dr. Andreas Schaffry ist freiberuflicher IT-Fachjournalist und von 2006 bis 2015 für die CIO.de-Redaktion tätig. Die inhaltlichen Schwerpunkte seiner Berichterstattung liegen in den Bereichen ERP, Business Intelligence, CRM und SCM mit Schwerpunkt auf SAP und in der Darstellung aktueller IT-Trends wie SaaS, Cloud Computing oder Enterprise Mobility. Er schreibt insbesondere über die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen IT und Business und die damit verbundenen Transformationsprozesse in Unternehmen.
Eine Cloud-Migration ist für die digitale Transformation unverzichtbar. Das Fehlen von Fachkräften und internem Know-how, aber auch regulatorische Anforderungen bremsen Unternehmen auf dem Weg in die Cloud.
Fest steht: Kein Unternehmen kommt auf lange Sicht um die Digitalisierung seiner Prozesse herum.
Fest steht: Kein Unternehmen kommt auf lange Sicht um die Digitalisierung seiner Prozesse herum.
Foto: Bukhta Yurii - shutterstock.com

Wer einen hohen Digitalisierungsgrad hat, ist widerstandsfähiger gegen Krisen, reagiert agiler und flexibler auf sich ändernde Anforderungen des Marktes beziehungsweise der Kunden und kann datengetriebene Geschäftsmodelle zügig realisieren.

Ein wichtiger Baustein der digitalen Transformation ist der Einsatz und die Nutzung moderner Cloud-Technologien, ob in Form von Software as a Service (SaaS), Infrastructure as a Service (IaaS) oder Platform as a Service (PaaS). Eine Roundtable-Diskussion von COMPUTERWOCHE und CIO (Teilnehmer, siehe Bildergalerie) zeigte, worauf es dabei ankommt und wo die Fallstricke liegen.

Cloud-Migration mit angezogener Handbremse

Vielerorts gehen Unternehmen, allen voran mittelständische, noch mit angezogener Handbremse in die Cloud. Verantwortlich dafür ist in den meisten Fällen nicht eine mangelnde Awareness, sondern das Fehlen qualifizierter IT-Fachkräfte und zu wenig internes IT-Know-how. Darüber herrschte weitgehend Einigkeit bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des virtuellen Roundtable.

Weitere Bremsklötze für eine Migration in die Cloud sahen die Diskussionsteilnehmer auch in Themen wie Datenschutz und Datenklassifizierung sowie in den hohen regulatorischen Anforderungen, etwa in der Finanzbranche, dem öffentlichen Sektor oder bei KRITIS-Betreibern. Unternehmen aus diesen Bereichen sind gesetzlich verpflichtet ihre kritischen Daten DSGVO-konform zu verarbeiten, zu speichern und auch die Datensouveränität sicherzustellen.

Die Nutzung von Cloud-Plattformen und -Angeboten US-amerikanischer oder chinesischer Hyperscaler scheidet für diese Firmen somit aus. Als Alternative brachten einige Teilnehmer eine Migration in die Gaia-X-Cloud als offene, digitale Infrastruktur ins Spiel, die in Bezug auf die Datenverarbeitung und -speicherung europäische Standards erfüllt - Stichwort Sovereign Cloud. Allerdings ist Gaia-X noch zu wenig ausgereift.

Viele Unternehmen haben auch Bedenken, ihre kritischen Daten und damit ihre "Kronjuwelen" in der Cloud eines großen Hyperscalers zu speichern und zu verwalten. Ebenso zögern viele Unternehmen aufgrund der gegenwärtig schwierigen wirtschaftlichen Situation, einen konsequenten Cloud-Migrations-Kurs zu verfolgen. Der anhaltende Krieg zwischen Russland und der Ukraine, die hohe Inflation, das schwache Konsumverhalten - all das sind Hemmnisse, die Betriebe veranlassen, erst einmal die Pause-Taste zu drücken und Investitionen zurückzustellen.

Geschäftsmodell bestimmt Innovationen, nicht die Cloud

Aus Sicht der Anbieter werden damit die Sales-Zyklen für entsprechende Vorhaben deutlich länger. Das verwundert nicht, da eine Cloud-Migration in der Regel kein Nebenschauplatz ist. Unternehmen wollen daraus einen klaren Nutzen und Mehrwert für das eigene Geschäft ziehen. Für den Anfang genügte es oft, einige "Quick Wins" zu identifizieren und zu realisieren. Das können zum Beispiel die Reduzierung der IT-Kosten um einen bestimmten Prozentsatz oder die Entlastung der internen IT von bestimmten Routineaufgaben sein, damit mehr Zeit für Kernaufgaben bleibt.

Unterschiedliche Auffassungen gab es in Bezug auf Legacy-Applikationen im On-Premises-Betrieb. Einige Diskutanten betonten, dass die Altsysteme eine Bremse in der digitalen Transformation darstellten. Andere sagten, die Innovationskraft von Unternehmen hänge letztendlich nicht von der Migration des IT-Betriebsmodells in die Cloud ab. Vielmehr werde umgekehrt ein Schuh daraus: Allein das Geschäftsmodell begründe den Erfolg, es müsse durch IT-Lösungen bestmöglich unterstützt werden - unabhängig davon, ob Legacy- oder SaaS-Systeme die Merhrwerte schafften. Zudem gab es massive Zweifel daran, ob Mittelständler mit ihrem notorischen Engpass beim IT-Fachpersonal überhaupt eine "Cloudifizierung" ihrer Legacy-Applikationen stemmen könnten.

Studie "Cloud-Migration 2023": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema Cloud-Migration führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Regina Hermann (rhermann@idg.de, Telefon: 089 36086 161) und Manuela Rädler (mraedler@idg.de, Telefon: 089 36086 271) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

ERP und CRM - Cloud-Migration bringt großen Nutzen

Großen Nutzen bietet eine Cloud-Migration nach Meinung der Diskussionsteilnehmer bei ERP- und CRM-Systemen, die vielerorts über die Jahre durch Eigenentwicklungen, individuelle Reports oder Modifikationen individuell angepasst wurden und oft komplex sind. ERP- und CRM-Systeme würden häufig durch Hunderte oder gar Tausende eigenentwickelter Funktionen und Tabellen unnötig belastet. Von diesen Features werde meist nur ein Bruchteil genutzt.

Ein Umzug der ERP- und CRM-Lösungen in eine Public Cloud oder die Einführung eines SaaS-basierten ERP-oder CRM-Systems ermöglichten es, diesen Ballast abzuwerfen und die Prozesse weitgehend zu standardisieren. Unternehmen verfügen dann zwar "nur" über eine 90-Prozent-Lösung, die aber ist schlank und einfach. Sie wird vielmehr genutzt.

Wer eine ERP- oder CRM-Lösung im SaaS-Modell einführt, profitiert auch davon, dass der Anbieter sie kontinuierlich weiterentwickelt. Man ist stets auf dem aktuellen Stand der Technik. Neue Funktionen und Upgrades werden in kurzen Zyklen bereitgestellt, in der Regel alle drei Monate, so dass Unternehmen schneller von Verbesserungen und Innovationen profitieren. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass nicht alle SaaS-Lösungen die regulatorischen Anforderungen bestimmter Branchen wie der Finanzwirtschaft adäquat abdecken.

Die Public-Cloud-Angebote eignen sich außerdem sehr gut, um überhaupt erst einmal herauszufinden, welche Cloud-Services konkreten Nutzen für das eigene Business bieten. Im Unterschied zum On-Premises-Betrieb lassen sich Szenarien rund um Internet of Things (IoT), künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning (ML) sowie Proof-of-Concept-Anwendungen (PoC) oder Mock-ups in einer Public Cloud mit wenig Aufwand und zu überschaubaren Kosten umsetzen. Auch deshalb nutzen Startups Public-Cloud-Angebote sehr gern, können sie damit doch viel experimentieren, ohne selbst eine IT-Infrastruktur aufbauen zu müssen.

Hybride IT-Architekturen bleiben Standard

Einig waren sich die Teilnehmenden darin, dass hybride IT-Architekturen aus privaten und öffentlichen Clouds sowie On-Premises-Anwendungen auch in Zukunft das Bild dominieren werden. Der Grund: Unternehmen wollen Spezialprogramme, die wettbewerbsdifferenzierenden Charakter haben, weiterhin On-Premises betreiben. Manche denken auch an eine Verlagerung via Lift & Shift in die Cloud oder trauen sich ein "Full Rebuild" zu. Dazu muss allerdings die Kosten-Nutzen-Kalkulation überzeugen.

Durchaus kritisch wurde diskutiert, ob sich der IT-Betrieb in einer Public Cloud generell einfacher und effizienter gestaltet als in der On-Premises-Welt. Das Ergebnis: Auch in der Wolke kann das Chaos regieren, sofern die Ziellandschaft nicht genau definiert ist. Zudem ist nicht in erster Linie das Betriebsmodell entscheidend, sondern ein effizienter, zielführender IT-Betrieb. Um die Voraussetzung für eine Cloud-Migration zu schaffen, müssen IT-Architekturen zudem erst einmal Cloud-ready gemacht werden, woran es in vielen Fällen hapert.

Cloud-Migration braucht Change Management

Einigkeit herrschte bei den Roundtable-Teilnehmern darüber, dass eine Cloud-Migration nicht nur ein IT-Projekt, sondern auch ein Business-Projekt sei. In der Regel zieht die Transformation in eine (Public-)Cloud nämlich Struktur- und Organisationsveränderungen nach sich, die zu bewältigen eine Herausforderung darstellt. Umso wichtiger ist es, die Belegschaft von Beginn an zu involvieren und an neue Gegebenheiten wie Änderungen in den Prozessabläufen heranzuführen.

Zu den sensiblen Aufgaben gehört es, die Sorgen der Beschäftigten vor Kontrollverlust - Stichwort: Aufbrechen von Silodenken und Herrschaftswissen - durch ein aktives Change Management abzubauen und Vertrauen zu schaffen. Dann steht dem Erfolg einer Cloud-Migration nichts mehr im Weg, vorausgesetzt sie wird nicht wie ein Jugend-forscht-Projekt umgesetzt, sondern ist gut vorbereitet und das Vorgehen klar strukturiert.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'Cloud-Migration 2023'