IT-Beschaffung

Beim Sourcing müssen IT und Einkauf an einem Strang ziehen

05.01.2015

Sechs Themen, die unter den Nägeln brennen

Im weiteren Verlauf des Tages fanden sich die Teilnehmer zu jeweils drei parallel laufenden Workshops zusammen. Den "Praxis-Check Nearshore/Offshore" nahm Lüerßen gemeinsam mit RWE-IT-Bereichsleiter Gillhuber vor. Unter Mithilfe der Workshop-Teilnehmer formulierten sie fünf Thesen:

1. Eine Retained Organsation ist unerlässlich. Sie kümmert sich nach dem Betriebsübergang um die Provider-Steuerung und sorgt unter anderem für Kompetenz zum Supplier-Wechsel (Second Generation Outsourcing) oder zum Rückholen (Insourcing).

2. Wichtig ist auch das Thema Risikoverteilung und Risikoverlagerung zwischen Auftraggeber und -nehmer.

3. Die potenziellen Auftraggeber sind dankbar, wenn gängige Marktstandards für eine Ausschreibung genutzt werden.

4. Das Change-Management ist nach dem Go-live noch lange nicht beendet.

5. Wer in ferne Länder auslagert, muss sich rechtzeitig Gedanken über Zeitunterschiede, persönliche Kontakte und Personal-Management ("Retention") des Outsourcing-Partners machen - auch um die Fluktuation der dortigen Mitarbeiter einzudämmen.

Gillhuber warnte davor, Outsourcing als Mittel zu missbrauchen, um Mitarbeiter abzubauen. "Es wird bestimmtes operatives Know-how outgesourct, aber dafür anderes aufgebaut, zum Beispiel für das Vertrags-, Service-Level-Agreement- und Supplier-Management." Außerdem riet er den Kollegen davon ab, zu viel auf einmal zu wollen: "Wichtig ist eine stringente Planung und ein sehr gutes Projekt-Management. Die Umsetzung erfolgt dann in Phasen." Zudem sei nach dem Go-live weiterhin ein aktives Management nötig, um Ziele wie Kostensenkung und Flexibilisierung auch längerfristig zu erreichen.

Um das Thema "Agile Entwicklung - Herausforderung für Projektsteuerung und Vertragsmodelle" kümmerte sich COMPUTERWOCHE-Redakteur Joachim Hackmann gemeinsam mit Michael Maretzke, Vice President Technology bei Friendscout24, und Hani Istambouli, Geschäftsfeldleiter MRO bei Lufthansa Systems. Wie die beiden Praktiker betonten, sind die agilen Prozesse in den IT-Abteilungen längst verankert. Probleme gebe es allerdings häufig bei der Vertragsgestaltung, wenn externe Entwickler in die Abläufe eingebunden würden.

Michael Maretzke, Friendscout24, kümmerte sich als „Themenpate“ um den Workshop "Agile Entwicklung".
Michael Maretzke, Friendscout24, kümmerte sich als „Themenpate“ um den Workshop "Agile Entwicklung".
Foto: Marco Hergenröder/Foto Vogt

Hier widerspricht das Paradigma der Agilität dem Ziel der Einkäufer, die klar umrissene Leistungspakete zu definierten Preisen anstreben. Ein Festpreis funktioniert für "agile" Projekte genauso wenig wie das traditionelle Werkvertrags-Modell. Dazu ändern sich die Anforderungen von Kundenseite zu häufig.

Im Video: Sourcing Day 2014 - zufriedenere Kunden durch agile Methoden

DPDHL-Manager Bäumer unterstützte den Workshop "Strategische Provider-Steuerung". "Cloud ist nicht Cloud", stellte Bäumer fest: "Schauen Sie sich im Detail an, was da verkauft wird." Kritische Punkte seien beispielsweise Datenschutz, Exportrechte oder Skills auf beiden Seiten. Eine Kernaufgabe der Provider-Steuerung ist aus Bäumers Sicht das "Service-Management". Dabei geht es darum, unterschiedliche Dienste so zusammenzustöpseln, dass daraus ein "Ende-zu-Ende-Service" wird.

"Fachbereiche, Einkauf und IT rücken zusammen" - so die Arbeitsthese eines vierten Workshops, den COMPUTERWOCHE-Chefredakteur Heinrich Vaske zusammen mit dem CIO des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, Hans-Joachim Popp, betreute. Letzterer verantwortet beim DLR auch den Einkauf - zumindest, soweit es die IT betrifft. "Die Schnittstelle, die mich wirklich beschäftigt, ist die zu den Fachbereichen", räumte Popp denn auch ein, "zwischen IT und Einkauf haben wir einen sehr kurzen Draht."

Foto: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

Wie Popp klarmachte, haben die dringend notwendigen Standardisierungen in den vergangenen Jahren eine Kehrseite: Sie hätten zum Entstehen von Monokulturen und deshalb von Abhängigkeiten geführt. Es gelte deshalb, wieder mehr Wettbewerb zu stimulieren - ohne aber Unruhe ins System zu bringen: "Wie in anderen Industrien brauchen wir jetzt Second-Source-Konzepte." Als sinnvolle Maßnahmen zur Konkurrenzförderung hätten sich folgende erwiesen:

  • Key Performance Indicators, kurz: KPIs, um die Leistung des jeweiligen Providers zu überwachen.

  • Ermittlung der Total Cost of Ownership (TCO), hier könne beispielsweise der Anwenderverband Voice mit seinem Benchmarking-Programm nützlich sein.

  • Regelmäßige Einkaufszyklen mit Benchmarks: "Die Zyklen werden tendenziell kürzer, auch wegen des Preisverfalls."

  • Bündeln der Einkaufsmacht, aber Aufspalten der Monokulturen.

"Wenn wir die Auswahl an Produkten nicht wieder vergrößern, wird die Zukunft schwierig", sagte Popp. Konkret sollten die Einkäufer Startups und Alternativen zu den Platzhirschen fördern: "In manchen Lieferverhältnissen sind wir an der Grenze angekommen."

Interne Orchestrierung der Cloud-Services

Die technischen Herausforderungen und die Serviceorchestrierung von "Sourcing aus der Cloud" standen für die fünfte Arbeitsgruppe im Vordergrund. Geleitet wurde sie von COMPUTERWOCHE-Redakteur Martin Bayer und Bernd Christoph Meisheit, Geschäftsführer der Sana IT Services GmbH. "Die reine Cloud-Lehre wird noch nicht so angenommen", so das Fazit der beiden. Vor allem Business-kritische Anwendungen müsse man sich zweimal anschauen, bevor man sie einem Cloud-Provider anvertraue. Die unterschiedlichen Arten von Datenschutz erwiesen sich immer wieder als Bremse und Kostentreiber. Ob man die Orchestrierung der Cloud-Services auch auslagern könne? - Das erscheint Meisheit mehr als fraglich. Wichtig sei die Bestandsaufnahme: Was kann die interne IT überhaupt noch leisten mit dem vorhandenen Personal? Das Kostenargument dürfe auf keinen Fall das einzige sein.

Last, but not least diskutierte eine Gruppe über "Retained Organisation und Fachkräftemangel". Andreas Beeres, CIO der Schott AG, gab den Workshop-Teilnehmern und seinem Co-Moderator, COMPUTERWOCHE-Redakteur Hans Königes, einen Einblick, wie er immer wieder die volle Transparenz über Kosten und Leistungen erringt. Beeres und sein Team treffen - gemeinsam mit dem Procurement - für jeden Service separat eine Make-or-buy-Entscheidung: "One size fits all - das geht nicht. Sourcing ist immer Taylor-made."

Andreas Beeres, Schott AG: "Eine mündige IT und souveränes Auftreten gegenüber den Providern funktionieren nur, wenn das Know-how noch im Unternehmen ist."
Andreas Beeres, Schott AG: "Eine mündige IT und souveränes Auftreten gegenüber den Providern funktionieren nur, wenn das Know-how noch im Unternehmen ist."
Foto: Marco Hergenröder/Foto Vogt

Die Anforderungen werden bei Schott regional gesammelt, die Verantwortung für das Demand-Management ist zentral. Bei der Priorisierung arbeiten IT und Business zusammen. "Nichts läuft am Prozess außen vorbei", beteuert der CIO. Das Sourcing dem Einkauf zu überlassen hält Beeres für gefährlich: "Da kann es passieren, dass die bestellte Leistung nicht zu Anforderungen der IT passt, weil das IT-Fachwissen in Einkauf selten vorhanden ist."

Wie Beeres berichtet, wurde er vom Schott-Management "geholt mit dem Auftrag, die IT zum Business-Partner zu machen". Dazu gehöre auch, das Know-how darüber, "wie IT geht", im Unternehmen zu halten. "Wir insourcen nicht unbedingt die Leistungserbringung, aber deren Steuerung", sagte der IT-Chef: "Eine mündige IT-Abteilung und sourveränes Auftreten gegenüber den Providern funktionieren nur, wenn das Know-how noch im Unternehmen ist." Es lohne sich, die Mitarbeiter dafür auszubilden.

Im Video: Sourcing Day 2014 - Fazit von Hartmut Lüerßen