"Digitale Services führen zu neuen Geschäftsmodellen, die die alten bedrohen. Die Welt ist in einem gewaltigen Umbruch", sagte Johannes Helbig, Vorsitzender des SOA Innovation Lab, auf den SOA-Days, die Anfang September in Düsseldorf stattfanden. Dabei stehe die IT inzwischen eindeutig im Zentrum der Innovation, sie sei keine Back-Office-Funktion mehr. Damit verändere sich natürlich auch die Rolle des CIO: "Sie sind diejenigen, die in der Lage sind, die neue Welt zu denken und die Vorbereitungen dafür zu treffen", betonte Helbig. Architektonische Grundlage für die digitalisierten Geschäftsmodelle bilde die Serviceorientierung. Ihre im letzten Jahrzehnt entwickelten Prinzipien für den Aufbau interner IT-Landschaften, erhielten jetzt neue Bedeutung, weil sie die notwendige Voraussetzung für die Integration externer Cloud-Services und für die Rekombination bestehender Wertschöpfungsketten bilden.
Alles wird Service
Helbig erwartet eine hybride Service-Ökonomie, in der auch physikalische Produkte mit digitalen Services verbunden werden können. Als Beispiele nennt er Skijacken, die ihrer Träger beim Fahren buchstäblich in die richtige Richtung lenken oder Ersatzteile von Maschinen, die "wissen", zu welchem Zeitpunkt, an welcher Stelle und zu welchem Zweck sie eingebaut werden müssen. "Durch die Verbindung von tangiblen Produkten mit digitalen Services wird aus der Perspektive ihrer Nutzer alles zum Service", sagte Helbig. Das zugrunde liegende Delivery-System zeichne sich durch die gleichen Attribute aus wie man sie aus der IT-Cloud kennt: Always on, on demand, skalierbar, personalisiert und vor allem rekombinierbar. Das bedeute aber, dass es sich je nach Kundenwunsch, also "anlassbezogen", zusammensetze.
- 7 Fragen zur SOA-Effizienz
Das Potenzial für die Automatisierung der Geschäftsprozesse, das in einer Service-orientierten Architektur steckt, bleibt oft ungenutzt. Wenn das so ist, ändert auch eine Modernisierung nichts daran. - 1. Ist die SOA kompatibel mit Geschäftsmodell und IT-Landschaft?
Zunächst wird man vorbehaltlos rekapitulieren müssen, ob die ursprüngliche Entscheidung für SOA vor dem Hintergrund der aktuellen Bedingungen eigentlich noch die richtige ist. War der Bedarf für wiederverwendbare IT-Services so groß wie erwartet? Ist die Systemlandschaft tatsächlich so heterogen, dass sie eines ESB bedarf? Von entscheidender Bedeutung ist auch, ob sich in den fachlichen Prozessen die Servicequalität verbessern lässt, wie das SOA-Konzept es verspricht. - 2. Verwirklicht die SOA konsequent eine Architekturentscheidung?
Schon der Name Service-oriented Architecture zeigt an, dass es um eine IT-Architektur und eine grundsätzliche Entscheidungen in IT-Fragen geht. Nötig sind deshalb klare Vorgaben, für welche Einsatzgebiete der ESB beziehungsweise eine Orchestrierung in BPEL und BPMN (Business Process Model and Notation) zu verwenden sind. - 3. Werden die Potenziale zur Effizienzsteigerung genutzt?
Eine IT-Architektur ist kein Selbstzweck. Die bloße Möglichkeit, flexible IT-Services aufsetzen zu können, rechtfertigt die Investitionen nicht. Nur wenn die Service-orientierte Architektur hilft, die Effizienz im Unternehmen zu steigern, zahlt sich der Aufwand aus. - 4. Behindert eventuelles Silodenken den effizienten SOA-Einsatz?
Die Kopplung einzelner Systeme zu übergreifenden Prozessketten ist eher eine organisatorische Herausforderung als ein IT-Poblem. SOA-Potenziale lassen sich oft nur ausschöpfen, wenn vorher eine Silo-übergreifende Prozessoptimierung stattgefunden hat. - 5. Liefern die Services aussagekräftige Kennzahlen?
Bei der Orchestrierung und in den Services sind standardisierte Messpunkte zu setzen, die sich für die Auswertung durch ein Business-Activity-Monitoring eignen. Zudem liefern diese Messpunkte die Grundlagen für die KPI-Überwachung (Key Performance Indicators) sowie die kontinuierliche Prozessoptimierung. - 6. Funktioniert die IT-Governance?
Als strategische Entscheidung bestimmt SOA, wie Prozesse in der IT abgebildet werden. Deshalb hängt sie eng mit der IT-Governance zusammen. Wenn es keine gibt oder die vorhandene nicht funktioniert, ist das häufig ein Grund für das Versanden von SOA-Projekten. - 7. Welche SOA-Infrastruktur passt in das Unternehmen?
Erst nachdem die bisherigen SOA-Initiativen hinterfragt wurden, stellt sich die Frage nach einer Migration oder Modernisierung. Auch hier gilt: Die Komponenten müssen zur Strategie des Unternehmens und der dort vorherrschenden IT-Systemlandschaft passen.
Er nennt das Beispiel Buchbestellung bei Amazon. Dabei setze sich das Ökosystem, das für die Abwicklung und Zustellung des Auftrags sorgt, zusammen aus Verlag, Finanzdienstleister, Logistiker und dem Online-Plattformanbieter. Bei der Abwicklung etwa einer Reise würden andere Dienstleister das passende Ökosystem bilden. "Das einzige, was in diesem Fall gleichbleibt, ist die Online-Plattform", betonte Helbig.
Die Unternehmen drehen sich um den Kundenprozess
Im Mittelpunkt der neuen digitalen Geschäftsmodelle stehen die Kundeprozesse und nicht die Abläufe des Unternehmens. Diese Umkehrung der Perspektive wirke sich disruptiv auf die Unternehmen aus. Digitalisierte Unternehmen seien zwar nicht per Definition kundenzentriert, aber erst die Rekombination erlaube es, Massenprodukte stark zu individualisieren (Stichwort: Losgröße 1), Marketing interaktiv zu gestalten, tiefgreifende Analysen des aktuellen Kundenverhaltens zu erstellen oder Kooperationen zwischen Lieferanten schnell herzustellen.
Anlassbezogene Ökoysteme sprengen Branchengrenzen
Das sprenge die traditionellen Branchengrenzen und ihrer Hierarchien. In einer digitalisierten Ökonomie stünden plötzlich nicht mehr die größten Unternehmen einer Branche an der Spitze der wirtschaftlichen Nahrungskette, sondern die Online-Plattformen, über die die Güter der Hersteller bezogen würden. Durch das Aufbrechen der Branchengrenzen und den neuen Möglichkeiten der Service-Kombination erwüchsen bisherigen Marktführern unerwartete Konkurrenten. Deshalb hätte Amazon sich zum Beispiel zum weltweit erfolgreichsten Anbieter von Cloud-Services aufschwingen können. In der Entwicklung dieser anlassbezogenen branchenübergreifen Ökosysteme erkennt Helbig große Möglichkeiten, aber auch große Unsicherheiten, mit denen Unternehmen lernen müssen umzugehen: "Natürlich weiß ein Daimler bestens Bescheid über die Entwicklungen in der Automobilbranche, aber die Verantwortlichen konnten nicht ohne weiteres voraussehen, dass ein Internet-Unternehmen wie Google sich anschickt ihnen, über autonome Fahrzeuge zum Wettbewerber in Sachen Mobilität zu werden.