IT Service Management

Auch ITIL 4 nimmt CIOs nicht die Arbeit ab

30.04.2019
Von 
Peter Schneider arbeitet als Senior Produkt Manager bei der Qt Company, dem Hersteller der Qt Software Development Platform. In seiner Karriere hat er in verschiedenen Produktmanagementpositionen bei Efecte, Nokia und Siemens zahlreiche Projekte im Bereich Applikationsentwickung und Enterprise Service Management erfolgreich umgesetzt.
Unternehmen wollen und müssen agiler werden. Das ITIL-4-Framework soll sie dabei unterstützen, veränderte Marktbedingungen schnell und flexibel aufgreifen zu können. Doch die neue ITIL-Version ist alles andere als ein Kochbuch für agile Unternehmensprozesse. Es entbindet die IT-Verantwortlichen nicht davon nachzudenken.

Das Konzept der Value Streams in ITIL 4 (siehe auch diesen Beitrag) ist die größte strukturelle Veränderung im ITIL-Framework und wird den bisherigen Service Lifecycle aus ITIL V3 ersetzen. Organisationen können aus einem vordefinierten Satz von Bausteinen, den so genannten Wertschöpfungsaktivitäten, agile Prozesse entwickeln. Diese sind stärker als je zuvor auf eine enge Zusammenarbeit mit Kunden ausgerichtet und sollen die Effizienz im laufenden Betrieb erhöhen. Besonderes Augenmerk wird daraufgelegt, dass die Wertschöpfung gemeinsam entsteht (Co-Creation).

Vergleich traditioneller und agiler Wertströme
Vergleich traditioneller und agiler Wertströme
Foto: Efecte, Peter Schneider

Dieser neue Ansatz zur flexiblen Prozessgestaltung hat jedoch eine Schwäche: Es ist ziemlich einfach, bestehende Prozesse einer Organisation zu übernehmen und als ITIL 4-Wertschöpfungskette abzubilden. Wenn der Übergang zum neuen Framework jedoch nicht konsequent weitergeführt wird, verschwendet das Abbilden und Dokumentieren der bestehenden Prozesse lediglich Ressourcen und macht Organisationen nicht agiler.

Das Buch der ITIL 4 Foundation enthält bisher keine konkreten Richtlinien für agile Wertströme und Praktiken wie Change Control und Release Management. Es bleibt also vorerst den Prozessdesignern überlassen, innerhalb der Organisation eine neue, wirklich agile Arbeitsweise zu entwickeln oder eben die bestehenden Prozesse lediglich eins zu eins abzubilden. Tatsche ist: Nur, wenn die Prozesse bei der Einführung von ITIL 4 iterativ und kundenorientiert gestaltet werden, können Organisationen von den Vorteilen des flexibleren Value-Stream-Konzepts in ITIL 4 profitieren.

TIPP: CIOs sollten bei Modernisierungsprojekten immer im Hinterkopf behalten, dass Agilität nur als ganzheitlicher Ansatz funktioniert. Sie müssen dafür Sorge tragen, dass Prozessdesigner ITIL 4 nicht nur als formale Schablone auf bestehende Abläufe anwenden, sondern ihre Prozesse gemeinsam mit Fach- und IT-Abteilungen komplett neu definieren.

Agile Prozesse nicht mit Wasserfall-Tools managen

Das ITIL 4 Foundation Buch erklärt ausführlich die Schlüsselfaktoren für agiles Service Management. Dazu zählt unter anderem eine möglichst frühzeitige Präsentation von Arbeitsergebnissen, damit Kundenfeedbacks schneller umgesetzt werden können (Improve). In diesem Zusammenhang wird die visuelle Darstellung von Arbeitsfortschritten nach Kanban als wesentliche Voraussetzung für agile Serviceprozesse genannt.

Viele ITSM-Tools für die Bearbeitung von Störungen (Incidents) und Änderungen (Change) sind nach dem Wasserfall-Modell konzipiert. Sie werden meist in tabellarischer Form dargestellt und nach Prioritäten oder Soll-Lösungszeiten geordnet. Es ist jedoch nicht auf den ersten Blick ersichtlich, welches Thema sich in welchem Prozess-Status befindet und was als nächstes zu tun ist. Daes erschwert die Zusammenarbeit in Teams, sorgt für Missverständnisse auf Kundenseite, schafft zusätzlichen Gesprächsbedarf - und kann im schlimmsten Fall sogar den Projekterfolg gefährden.

Kanban-Ansichten sorgen für mehr Transparenz, fördern die Zusammenarbeit verschiedener Stakeholder und erleichtern die Kundenkommunikation erheblich. Sie gewährleisten ein eindeutiges Ranking anstehender Aufgaben, stellen Themen mit der gleichen Priorität gleichberechtigt nebeneinander und schaffen durch die entstehende Transparenz eine gute Grundlage für agil arbeitende Teams. ITSM-Anbieter haben das erkannt und Kanban-Ansichten für das Incident Management eingeführt. Einige Tools verfügen sogar über Visualisierungsmöglichkeiten für das Aufgaben-Management im Service Desk sowie die agile Softwareentwicklung.

ITIL 4 schafft also im Grunde eine Nachfrage nach Tools, die Kanban-Ansichten für den Bereich Incident Management, aber auch für Change Control, Release Management und Service Configuration Management bereitstellen. Entsprechend dürften die Service-Management-Lösungen angepasst werden.

TIPP: Führungskräfte sollten darauf achten, dass eingesetzte Tools Projektfortschritte und Schwachstellen zeigen, die Zusammenarbeit von Teams verbessern und die schnelle Umsetzung von Kundenfeedbacks erleichtern. Erst wenn das durchgängig gelingt, werden Serviceprozesse nicht nur ITIL-4-kompatibel, sondern tatsächlich agiler.