Investor Relations im Social Web

Analyse - Tools und Methoden

06.11.2014
Von 
Boris Bolwin ist Senior Investor Relations Manager bei der DMG MORI SEIKI AG

Ziel- und Mittlergruppen (Arena-Modell)

Über die neuen Meinungsmärkte im Social Web rücken neue Akteure in die Arena der Finanzöffentlichkeit. Unternehmen stehen damit vor der Aufgabe, die Konstellation ihrer Ziel- und Mittlergruppen zu prüfen. Während Unternehmen, institutionelle Investoren und Banken früher die wesentlichen Treiber auf dem Kapitalmarkt waren, ergänzen Privataktionäre, Aktionärsvereinigungen oder Mitarbeiter via Social Media die Finanzöffentlichkeit. Diese komplexe Struktur macht das Monitoring zunehmend schwieriger.

Deutlich wird das bei einer Modellierung der meinungsbildenden Öffentlichkeit: Mit dem Arena-Modell nach Renn (1992) lassen sich Anspruchsgruppen und ihre Interaktionen analysieren. Es ordnet sie als Akteure, als Schiedsrichter, als Zuschauer am Rand der Arena oder als Meinungsmittler ein. In der Arena der Financial Community wetteifern die Akteure - insbesondere Eigen- und Fremdkapitalgeber sowie Unternehmen - um die Meinungshoheit. Dabei stehen ihnen im Wesentlichen folgende Ressourcen zur Durchsetzung ihrer Interessen zur Verfügung:

  • Geld in Form von Kapitaltransfers zur Finanzierung von Maßnahmen

  • Macht in Form von Handlungsgewalt oder Autorität, um Entscheidungen durchzusetzen

  • Sozialer Einfluss in Form von Vertrauen und Prestige zur Stärkung des Commitment

  • Werte in Form von Überzeugungen und Deutungshoheiten zur Gewinnung von Unterstützern

  • Evidenz in Form unabhängiger Belege für wahrscheinliche Konsequenzen des Handelns

Diese Ressourcen nutzen die Akteure, um den Kommunikationsfluss zum relevanten Thema zu steuern und gegebenenfalls andere Anspruchsgruppen für ihre Zwecke sozial zu mobilisieren. Deshalb sind für die Analyse der Akteure deren Ziele, Ressourcen und ihr erwartetes (Kommunikations-)Verhalten zu ermitteln. Zudem ist es wichtig zu prognostizieren, inwieweit Zuschauer in die Arena eintreten, welche Handlungszwänge bei politischen Institutionen und Regelinstanzen ausgelöst werden und wie die Aktionsvermittler ihre Rollen spielen könnten.

Erst danach wird ersichtlich, welche Ressourcen das eigene Unternehmen für den Meinungskampf in der Arena benötigt, wie es die Ressourcenverteilung zu seinen Gunsten verbessert und durch welche Maßnahmen Bündnisse mit anderen Akteuren geschlossen werden können.

Arena-Modell
Arena-Modell
Foto: DIRK

Online-Tracking

Im Gegensatz zur Influencer ID beobachtet das Online-Tracking nicht Akteure, sondern Inhalte. Es liefert zudem einen quantitativen Überblick über die Nutzung von eigenen Social Media-Kanälen: Welche Inhalte und Webseiten werden in den Kanälen häufig aufgerufen, welche interessieren weniger? Wie lange halten sich die User auf den einzelnen Sites auf? Über welche Quellseiten und Suchanfragen kommen sie auf die jeweiligen Kanäle? Typische Messgrößen des Webtrackings sind dabei Page Views beziehungsweise Page Impressions, Visits, Ad-Clicks, Referrals und weitere. Anbieter wie Google Analytics oder SAS Web Analytics bieten kostengünstige Tracking-Systeme.

Ergänzt wird das Monitoring der Eigenmedien durch das Scannen von Fremdbeiträgen, die im Kontext zum eigenen Unternehmen und den für die Finanzkommunikation relevanten Themen stehen. Social Media Monitoring Dashboard-Lösungen wie Radian 6 oder Sysomos liefern solche Daten zu Themen, Nutzungshäufigkeiten, Shares und Tweets. Daneben gibt es kostenlose Dienste für einzelne Kennzahlen und Kanäle, etwa Topsy oder Social Mention.

Online-Tracking-Tools (Auswahl)
Online-Tracking-Tools (Auswahl)
Foto: DIRK

Issue Mapping

Das Online-Tracking liefert lediglich Stichworte zu möglichen Themenaspekten der Stakeholder am Kapitalmarkt. Durch ein systematisches Issue Mapping können IR-Manager erfassen, welche übergeordneten Themen hinter der Kommunikation der Financial Community im Social Web stehen. Dieser Kontext hilft ihnen dabei, übergreifende Kommunikationsstrategien zu entwickeln.

Nach Erfassung einzelner Issues werden die Themenkomplexe geclustert und inhaltliche Verbindungen zwischen ihnen eingezeichnet. Analyse-Tools wie Tweetlevel gruppieren auf quantitativer Ebene Schlagworte zu Taglisten oder Tagclouds. Damit unterstützen sie das Clustern.

Issue Map für Finanzkommunikation
Issue Map für Finanzkommunikation
Foto: DIRK

Informationsbedürfnisse der Ziel- und Mittlergruppen

Die Identifizierung von Ziel- und Mittlergruppen und die Analyse ihrer Issues offenbaren, welche potenziellen Akteure in welcher Weise zu welchen Themen stehen. Die Erkenntnisse aus der Akteurs- und Themenanalyse werden somit gekreuzt.

Es empfiehlt sich, methodisch die kritischen Themen als Fragen an das Unternehmen in der Sprache der Ziel- und Mittlergruppen zu formulieren. Wenn möglich, werden diese Fragen im zweiten Schritt den Themenbereichen der Kapitalmarkt-Story zugeordnet. Sie fließen oftmals in die Formulierung der Kapitalmarkt-Story ein.

Informationsbedürfnisse der Stakeholder
Informationsbedürfnisse der Stakeholder
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Medienportfolio (IST)

Investor Relations steht vor der Frage, mit welchem Medienportfolio sie ihre Ziele und Zielgruppen am besten erreicht. Das Media Richness-Theorem von Daft/Lengel (1996) besagt, dass vieldeutige, unzuverlässig zu übertragende und vielschichtig zu vermittelnde Sachverhalt "reiche" Medien benötigen.

Media Richness bezeichnet die Reichhaltigkeit eines Mediums in Bezug auf die Möglichkeit für unmittelbares Feedback, die Vielfalt verwendeter medialer Formen (beispielsweise Tonalität, Gestik oder Mimik), die Möglichkeit zur Personalisierung sowie die sprachliche Varietät. Schriftliche Dokumente etwa haben eine geringe Media Richness und eignen sich bestenfalls für die Vermittlung von Sachinformationen, beispielsweise Informationen zum Portfolio oder zu den Kennzahlen.

Grafiken, Videos, Web 2.0-Tools oder Events hingegen haben eine hohe Media Richness. Sie eignen sich für mehrdeutige Interpretationsaufgaben, bei denen sich die Beteiligten auf ein gemeinsames Verständnis der Situation einigen sollen, die also zur Bindung an oder zum Commitment für das Unternehmen führen können (vgl. Bolwin/Pfannenberg, 2011). Zu den Themen solcher Interpretationsaufgaben zählen der Einfluss von Marktverschiebungen auf die Geschäftsentwicklung des Unternehmens oder die Qualifikation neuer Vorstände für ihre bevorstehenden Aufgaben.

Umfragen zeigen, dass die von Investor Relations veröffentlichten Zahlen stark akzeptiert werden (vgl. u.a. AMO, 2014). Für mehrdeutige Interpretationsaufgaben wie die eben benannten benötigen Kapitalgeber allerdings eine Diversität an Stellungnahmen und Interpretationen. Genau diese liefern Social Media. Es zeigt sich, dass Investor Relations ohne eigene Social Media-Kanäle nur bedingt an die Stimmen in den neuen Meinungsmärkten im Social Web anknüpfen kann.

Media-Richness-Theorem
Media-Richness-Theorem
Foto: DIRK

Benchmark-Analyse

Wie agieren andere Unternehmen am Kapitalmarkt in Social Media? Welchen Grad an Multimedialität und Streuung haben sie? Mit einer Benchmark-Analyse in Tabellenform identifizieren IR-Manager Web 2.0-Angebote von Vergleichsunternehmen.

Die Auswahl der Unternehmen orientiert sich an der dominierenden Investitionsstrategie der Kapitalgeber. Den Benchmark bilden Unternehmen aus der gleichen Branche, mit vergleichbarer Marktkapitalisierung und/oder gleicher Region.

Benchmarking: Kanäle / Applikationen
Benchmarking: Kanäle / Applikationen
Foto: DIRK