Endlich - als letzte große Industrienation nach allen anderen hat nun auch Deutschland eine nationale KI-Strategie. Doch wer glaubte, dass die Bundesregierung die Zeit genutzt hätte, um aus den Fehlern der anderen Länder zu lernen, der wurde auf dem Digitalgipfel in Nürnberg enttäuscht. Dort stellte die Bundesregierung unter dem Motto "Künstliche Intelligenz - ein Schlüssel für Wachstum und Wohlstand" ihre KI-Strategie offiziell vor. Doch es bleiben schlicht zu viele Baustellen offen und viele Fragen ungelöst - etwa in Bezug auf den Umgang mit Daten. Entsprechend vage klingen auch die drei wesentliche Ziele der KI-Strategie der Bundesregierung:
Deutschland und Europa sollen sich zu einem führenden Standort für die Entwicklung und Anwendung von KI-Technologien entwickeln und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands soll gesichert werden.
Eine verantwortungsvolle und gemeinwohlorientierte Entwicklung und Nutzung von KI sicherstellen.
KI im Rahmen eines breiten gesellschaftlichen Dialogs und einer aktiven politischen Gestaltung ethisch, rechtlich, kulturell und institutionell in die Gesellschaft einbetten.
Die einzelnen Maßnahmen mit denen die Bundesregierung diese Ziele realisieren will, haben wir für Sie in dem Artikel "Die KI-Strategie der Bundesregierung im Detail" aufgelistet. Des Weiteren hat die Bundesregierung unter dem Titel "Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung" ein fast 50seitige Publikation herausgegeben mit der sie für "AI Made in Germany" wirbt.
Große Pläne, kaum Geld
Doch schon bei der Finanzierung nehmen sich die deutschen Bemühungen in Sachen KI eher bescheiden aus, wenn man auf die großen Konkurrenten in China und den USA blickt. So will die Bundesregierung bis 2025 rund drei Milliarden Euro in die Hand nehmen, um die KI-Entwicklung anzuschieben. Also etwa 500 Millionen Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Alleine die Stadt Shanghai will 15 Milliarden Dollar in KI-Projekte investieren.
Neue KI-Lehrstühle ohne Bewerber
Angesichts der Konkurrenz durch die großen KI-Player USA und China kritisierten denn auch etliche Gipfelteilnehmer die deutsche Strategie. Bitkom-Präsident Achim Berg riet beispielsweise im Zusammenhang mit KI dazu, eher in Milliarden zu denken als in Millionen. Und ein Professor kommentierte etwa die Ankündigung, 100 neue Lehrstühle für KI zu schaffen mit den sarkastischen Worten: "Was nutzen uns 100 weitere KI-Lehrstühle, wenn wir die bestehenden 130 schon nicht besetzen können und 15 Lehrstühle vakant sind, weil der Nachwuchs fehlt". Darüber hinaus forderte Bitkom-Präsident Berg, dass es gelingen muss, "die hier ausgebildeten Spezialisten im Land zu halten. Dabei sind die Unternehmen gefragt, sehr attraktive Aufgaben und Arbeitsbedingungen zu schaffen."
So unterschiedlich die Meinungen auch waren, eines einte die Teilnehmer des Digitalgipfels in Nürnberg: Die Angst, den Wettbewerb mit den USA und China in Sachen KI zu verlieren, denn schließlich geht es hier um ein globales Billionen-Geschäft. Hierzulande ist allein im produzierenden Gewerbe in den nächsten fünf Jahren eine zusätzliche Wertschöpfung von rund 32 Milliarden Euro möglich.
Ein Airbus für KI
Angesichts der globalen Konkurrenz postulierte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ein "Airbus 2.0 für KI". "Damals schien Europa in der Luftfahrt hoffnungslos abgehängt und keiner traute uns eine erfolgreiche eigene Luftfahrtindustrie zu", blickt der Minister zurück, "und mit Airbus wurden wir Weltmarktführer." Eine Erfolgsgeschichte, die Altmaier beim Thema KI gerne wiederholen würde. Nach eigenen Angaben führte der Minister bereits Gespräche mit potenziellen Partnern in Frankreich. Ferner hätten noch zwei weitere Länder Interesse gezeigt. Ebenso hätten einige große deutsche Unternehmen positiv auf die Idee reagiert. Weitere Details zu den Plänen eines europäischen KI-Players waren Altmaier in Nürnberg leider nicht zu entlocken.
Einig waren sich Politik und Wirtschaft auf dem Digitalgipfel, dass Deutschland in einigen Bereichen das Rennen um die KI-Märkte der Zukunft bereits verloren hat. So hätten deutsche Unternehmen etwa im B2C-Bereich, aber auch bei Social-Anwendungen keine Chance, angesichts der riesigen Daten-Lakes, auf die ihre dortigen Wettbewerber zurückgreifen könnten, um entsprechende KI-Anwendungen zu trainieren. Wie schwer es deutsche Unternehmen und Staat hinsichtlich Daten haben, zeigt ein Beispiel: Während die Jugendlichen weltweit bereitwillig ihre Informationen und Daten mit Facebook teilen, sind dazu in Dänemark noch 80 Prozent bereit, dies mit dem Staat zu tun. Hierzulande ist das Misstrauen noch größer und lediglich 30 Prozent sind zum Sharing mit dem Staat bereit.
Grundsätzlich stellte Altmaier den Vorschlag zur Diskussion, ob aus Public Data nicht Open Data werden sollte, "wobei wir gleichzeitig sicherstellen müssen, dass mehr Daten nicht automatisch weniger Datenschutz bedeuten". Letzteres sei eigentlich nur eine Frage des politischen Willens und der Phantasie. So hätten es etwa die Esten geschafft, dass die medizinischen Daten ihrer Bürger zentral einsehbar sind - eine Gedanke, der in Deutschland derzeit unvorstellbar ist. Um die Bedenken ihrer Bürger zu zerstreuen, richtete die Regierung für jeden ein zum Datensatz gehörendes Bürgerkonto ein. So können die Bürger Estlands feststellen, wer wann wie auf ihre Daten zugreift und bei unberechtigten Zugriffen Sanktionen verlangen. Auf der anderen Seite unternahm allerdings Altmaier mit Äußerungen wie, dass Deutschland "endlich mit KI-Projekten anfangen müsse und sich dann in zehn bis 15 Jahren die Ethikdiskussionen leisten könne" wenig, um das Vertrauen der Bürger in Sachen Datenschutz zu erhöhen. Er wurde zudem von Justiz- und Verbraucherschutzministerin Katarina Barley scharf dafür kritisiert.
KI hat dem Menschen zu dienen
Die Chefin beider, Bundeskanzlerin Angela Merkel, wirbt wiederum für einen dritten Weg bei der KI, bei der die Menschen nicht zu Datenlieferanten degradiert werden, denn dies sei "eine Vernichtung der Individualität". Selbst im 70. Jahr der sozialen Marktwirtschaft sei sie davon überzeugt, dass auch die digitale Wirtschaft und das Zeitalter der Digitalisierung dem Menschen zu dienen haben und nicht umgekehrt.
Allerdings sahen die anwesenden Vertreter aus Politik und Wirtschaft in der Datenfrage und der Überlegenheit von B2C-Unternehmen aus USA und China keinen Grund, die Flinte gleich ins Korn zu werfen. Vielmehr appellierten sie dafür, dass sich die deutschen Unternehmen endlich auf ihre Stärken besinnen. "Nicht umsonst ist Deutschland der Fabrikausstatter der Welt", mahnte etwa Karl-Heinz Streibich, Co-Vorsitzender Plattform Lernende Systeme und acatech-Präsident. Hier könne Deutschland etwa an die Erfolge von IoT/IIoT und Industrie 4.0 anknüpfen.
Altmaier fordert deutsche KI-Plattformen
Aber auch in anderen Bereichen wie etwa der medizinischen Diagnostik und dem Fahrzeugbau sind deutsche Unternehmen laut Altmaier Weltmarktführer und hätten die Chance, die noch unbesetzten Claims zu besiedeln. "Wo bleibt die deutsche Mobilitätsplattform von Deutscher Bahn, Lufthansa, Mercedes, BMW und VAG, oder die deutsche Plattform für Medizin?", fragte Altmaier mit Blick auf die Plattformökonomie von Amazon, Uber, AirBnB und Co., "denn ohne Plattformen werden Deutschland und die EU im wirtschaftlichen Wettbewerb mit den USA und China nicht bestehen."
Hier seien auch Teamplayer gefragt, die Partnerschaften mit anderen europäischen Unternehmen eingehen, mahnte Ann Mettler, die als Generaldirektorin das Europäische Zentrum für politische Strategie - also den Think Tank der EU-Kommission - leitet. Im Zeitalter von KI und Digitalisierung sei der Erfolg schließlich auch eine Frage von "Geschwindigkeit und Größe". Wie Merkel setzt auch sie sich für einen dritten Weg der Digitalisierung und KI ein, "denn wir können und wollen nicht wie die USA und China sein". Mettler sprach sich deshalb klar für eine Regulierung aus. Gleichzeitig forderte sie dazu auf, stärker dafür zu werben, wie KI etwa dabei helfe, die Probleme einer alternden Gesellschaft oder beim Umweltschutz in den Griff zu bekommen, um so die Akzeptanz bei der Bevölkerung zu fördern.
Digitaler Zwilling für das Herz
Solche KI-Projekte gibt es in Deutschland durchaus, wie eine den Gipfel begleitende Ausstellung zeigte. So hat etwa Siemens Healthineers einen digitalen Zwilling des Herzens entwickelt. Das KI-basierte 3D-Modell soll etwa Herzinfarkte erkennen, bevor sie auftreten.
Der digitale Zwilling modelliert hierzu in einem ersten Schritt die Anatomie des Herzens mittels medizinischer Bilddaten. Mit Methoden des Marginal Space Deep Learning wird auf Basis tausender kuratierter Patientendaten eine Künstliche Intelligenz trainiert, um auf diese Weise binnen Sekunden ein anatomisches Modell zu berechnen. Dafür verbindet das zuvor trainierte System neue individuelle Patientendaten und erstellt ein personalisiertes digitales Herz.
In einem zweiten Schritt wird schließlich das Verfahren um eine elektrophysiologische und eine biomechanische Komponente erweitert. Mittels Methoden des Reinforcement Learning (Verstärkendes Lernen) werden individuelle Eigenschaften des Patientenherzens angepasst. Die elektrische Aktivität des Herzens sowie die Kontraktionsbewegungen können darauf aufbauend digital simuliert werden.
KI-Projekte finden
Obiges Beispiel ist nur eines von vielen KI-Projekten, die in Deutschland bereits verwirklicht wurden und das Leben positiv verändern können. 330 solcher Anwendungsbeispiele über sämtliche Branchen, Einsatzfelder und Unternehmensgrößen hinweg soll etwa die KI-Landkarte präsentieren, die seit dem Gipfel unter www.ki-landkarte.de online ist.
Für Unternehmen, die sich noch unsicher sind, was genau sich hinter dem Begriff KI verbirgt, und welchen konkreten Nutzen Unternehmen aus ihrem Einsatz ziehen können, hat der Bitkom zum Gipfel ein "Periodensystem der Künstlichen Intelligenz" veröffentlicht. Darin werden insgesamt 28 Elemente vorgestellt, die Teil von KI sind - von Category Learning bis Speech Recognition. Für jedes einzelne Element wird auf insgesamt 100 Seiten beschrieben, was es leistet, wie es sich im Unternehmen einsetzen lässt und welche wirtschaftliche Bedeutung es derzeit hat und künftig haben wird. "Wir wollen mit dem Periodensystem der KI Mut machen, schon heute KI einzusetzen, damit zu experimentieren und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln", erklärte Berg.