Geschlechtervielfalt ist nach wie vor ein zentrales Problem im Technologiesektor. Laut Deloitte werden bis Ende dieses Jahres weltweit 25 Prozent der Positionen in großen Technologieunternehmen von Frauen besetzt sein. Nach Angaben von Nash Squared liegt Nordamerika dabei derzeit an der Spitze:
Hier sind im Durchschnitt 28 Prozent der Mitarbeiter weiblich,
während dieser Anteil in Asien bei 26 Prozent und
in Europa und Australasien bei 23 Prozent liegt.
Bislang hat keine Region die perfekte Lösung gefunden, um die Kluft zwischen den Geschlechtern zu schließen. Es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass der Schlüssel darin liegt, mehr junge Mädchen und Frauen für MINT-Fächer zu begeistern - die im Anschluss daran eine Karriere in der Technologiebranche anstreben. Das sollte die Situation langfristig verbessern. Es gibt jedoch mehrere Maßnahmen, die Unternehmen auch kurzfristig ergreifen können, um den Frauenanteil in ihren Tech-Teams zu erhöhen und technische Berufe für Frauen allgemein attraktiver zu machen. Dabei sollten sie sich zuerst mit ihrer Unternehmenskultur und -politik auseinandersetzen.
Anna Cohen Miller, außerordentliche Professorin an der Nazarbayev University's Graduate School of Education, weist auf die Notwendigkeit des "Gender Mainstreaming" hin, bei dem die Geschlechterfrage von Anfang an in Change Management, Unternehmenskultur und -richtlinien berücksichtigt wird: "Der erste Schritt, den eine Organisation tun muss, ist, sich der Probleme mit Gleichberechtigung, Integration und Vielfalt bewusst zu werden. Dann muss sie sich verpflichten, aktive Schritte zu unternehmen, um diese Probleme zu lösen."
Stacey Hines, Immediate Past President der Jamaica Technology and Digital Alliance (JTDA), rät Unternehmen, sich zunächst ein internes Ziel für Vielfalt zu setzen: "CEOs, leitende Angestellte und Manager haben die Macht, die Entscheidung zu fällen, einen bestimmten Frauenanteil innerhalb ihrer Teams anzustreben. Wenn sie sich erst einmal dazu verpflichtet haben, ist es wahrscheinlicher, dass sie ihren Einstellungsprozess bewusst angehen. Viele männliche Führungskräfte haben mit unbewussten Vorurteilen zu kämpfen, aber wenn sie sie nicht sehen, können sie sie auch nicht beheben. Der blinde Fleck in Bezug auf die Auswirkungen auf Frauen im traditionellen 'Tech-Boys-Club' ist sehr real und die Arbeitgeber müssen sich dazu entschließen, genauer hinzuschauen."
Mehr Frauen in der IT: 7 Maßnahmen
Die folgenden sieben Maßnahmen können zu mehr Geschlechtervielfalt im Technologie- und IT-Bereich beitragen.
1. Wahrnehmungen und Klischees hinterfragen
Der Tech-Sektor gilt als männerdominiert, technisch und nerdig - eine Sichtweise, die durch entsprechende Darstellungen in den Medien noch verstärkt werden kann. Zwar steckt auch ein Fünkchen Wahrheit in der Wahrnehmung - dennoch sollten positive Botschaften dominieren, die aufzeigen, dass Menschen aus allen Gesellschaftsschichten und jeden Geschlechts in der Branche erfolgreich sein können. Dazu gehört auch, nachvollziehbare Vorbilder zu präsentieren.
2. Darstellung verbessern und weibliche Vorbilder hervorheben
Durch die Normalisierung von Frauen in technischen Berufen wird sich die Wahrnehmung ändern - aber nur, wenn die Vorbilder glaubwürdig sind, wie ein aktuelle Umfrage von PwC (PDF) unterstreicht: "Wir wissen, wer Ada Lovelace ist, wir kennen Sheryl Sandberg - aber die eine ist seit 100 Jahren tot und die andere CEO. Das sind einfach keine glaubwürdigen Vorbilder", heißt es im Report von PwC.
Ein gutes Beispiel, wie das besser geht, liefert Anne Level, Group Chief Human Resources Officer bei Capgemini: "Wenn wir Mitarbeiterprofile in den sozialen Medien veröffentlichen, achten wir darauf, dass wir alle einbeziehen und die Breite und Vielfalt der Hintergründe in unseren Teams zeigen. Kürzlich haben wir ein Profil von Sjoukje Zaal erstellt, die ehemals als Schlagzeugerin in einer Heavy-Metal-Band aktiv war und heute ein Microsoft Azure Most Valuable Professional ist. Das ist wichtig, damit jüngere Generationen diese Teammitglieder als Vorbilder wahrnehmen können."
3. Über den traditionellen Recruiting-Tellerrand hinausblicken
Eine Ausweitung der Rekrutierungsmethoden und -orte kann Unternehmen dabei helfen, verschiedene Talentpools mit übertragbaren Fähigkeiten oder Erfahrungen zu erschließen - und zu mehr weiblichen Bewerbern führen. Sie könnten sogar so weit gehen, sich ganz gezielt an Frauen zu wenden - in Indien hat Capgemini beispielsweise eine Initiative zur Ausbildung und Einstellung von Frauen in ländlichen Gebieten gestartet, die dieser oft benachteiligten Gemeinschaft eine Fülle neuer Karrieremöglichkeiten bietet.
Die Auslagerung der Personalbeschaffung an Unternehmen, die sich auf die Schaffung von Chancen für Frauen oder Minderheiten spezialisiert haben, ist nach Meinung von Alison Meadows, CEO von Priority Digital Health, eine weitere effektive Möglichkeit, den Horizont bei der Personalbeschaffung zu erweitern. "Sie können auch proaktiv recherchieren, um potenzielle Mitarbeiter auf verschiedenen Wegen anzusprechen, die bisher vielleicht übersehen wurden. HR-Teams könnten auch überlegen, ob es von Vorteil wäre, weiblichen MINT-Absolventen eine Ausbildung anzubieten, da dies oft die ideale Überbrückung der Kluft zwischen dem Abschluss und dem Eintritt in die Arbeitswelt ist."
We asked women in the tech how they'd fix the industry's gender gap pic.twitter.com/9gwXGynq6Q
— VICE News (@VICENews) September 28, 2017
4. Flexible Arbeitszeiten fördern
Nachdem die Corona-Pandemie bewiesen hat, dass die Arbeit im Home-Office nicht unbedingt mit Produktivitätseinbußen einhergeht, ist flexibles Arbeiten heute leichter möglich. "Das öffnet die Tür, um neue Talentpools zu erschließen und ein neues Mindset zu erlangen", meint Bev White, CEO von Nash Squared.
Während wir alle von flexiblen Arbeitsmöglichkeiten profitierten, sei Flexibilität von entscheidender Bedeutung, um mehr Frauen zu gewinnen, die sich oft auch um ihre Familie kümmern müssten, kommentiert Mo Isap, Gründerin und CEO der IN4 Group. "Unternehmen können bereits heute flexibles Arbeiten in all seinen Erscheinungsformen fördern. Dazu gehören Optionen für Teilzeitarbeit, Remote Work, Jobsharing sowie komprimierte Arbeitszeiten und -tage."
5. Rückkehrmöglichkeiten in Betracht ziehen
Rückkehrerinnen können auch ein wirksames Mittel sein, um mehr Frauen nach einer Karriereunterbrechung (wieder) in den Technologiesektor zu bringen. Die Arbeitgeber werden sich zunehmend der Fähigkeiten bewusst, die potenzielle Rückkehrerinnen in ihr Unternehmen einbringen können. So sind sie nicht nur in der Lage, Mitarbeiter mit technischen und übertragbaren Skills einzustellen, sondern auch Menschen mit Lebenserfahrung und Reife zu gewinnen.
"Es geht darum, ihnen den Erfolg zu ermöglichen und sicherzustellen, dass sie wissen, dass ihr Arbeitgeber sie unterstützt", sagt Dr. Andrea Johnson, Vorsitzende von Women in Technology and Science (WITS) und VP Global Business Systems bei Workhuman. "Das könnte beispielsweise durch eine Partnerschaft mit einem externen Rückkehrprogramm wie Women ReBOOT geschehen, das Frauen mit Fähigkeiten und Erfahrungen im Technologiesektor bei der Rückkehr ins Berufsleben nach einer Berufspause unterstützen soll."
6. Mehr Entwicklungsmöglichkeiten bieten
Der eingangs genannte "Digital Leadership Report" von Nash Squared kommt zum Ergebnis, dass weltweit nur 12 Prozent der Führungspositionen im Tech-Bereich mit Frauen besetzt sind. Ergänzend dazu stellt der ebenfalls bereits erwähnte Report von PwC Women in Work fest, dass sich Frauen in mittleren Management-Positionen aufgrund mangelnder Führungs- und Entwicklungsmöglichkeiten zurückgesetzt fühlen. Die Autoren des Berichts raten Unternehmen, mehr Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten, indem sie Umschulungs- und Wiedereinsteigerprogramme einführen. Außerdem sollten sie alternative Einstellungsmöglichkeiten schaffen, die es den Mitarbeitern ermöglichen, in andere Positionen zu wechseln.
Weitere Ideen: die Finanzierung von Kursen zur beruflichen Weiterentwicklung und Zertifizierung sowie ein individuelles Karrierecoaching. Solche Maßnahmen werden nicht nur dazu beitragen, dass mehr Frauen aufsteigen, sondern dürften auch die Mitarbeiterbindung verbessern.
7. Mentoring einbeziehen
Ein besonderer Schritt, um Wachstum und berufliche Entwicklung zu ermöglichen, ist ein Mentoring-Angebot. "Wenn ich mich für eine Sache entscheiden müsste, würde ich empfehlen, Mentoring-Programme für Frauen in Einsteiger-Positionen und im mittleren Management anzubieten", ist Heekee Kriesler, Chief Transformation Officer bei Checkmarx, überzeugt. "So unterstützen Sie weibliche Führungskräfte in Ihrem Unternehmen dabei, ihren Weg nach oben zu finden." Die Bedeutung von Vorbildern und einem unterstützenden System könne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, so Kriesler: "Meiner Erfahrung nach braucht es oft nur jemanden, der eine praktische, lebensnahe Antwort auf die Frage hat, die eine junge Frau in einer technischen Position stellen wird: 'Aber wie hast du das gemacht?'". (fm)
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation IDG Connect.