Der Business Case machte einen soliden Eindruck, die Investition schien auch aus der Perspektive der Management-Kollegen Sinn zu geben. Doch inzwischen ist klar, dass alle Beteiligten auf dem Holzweg waren: Das Projekt wird nicht nur die Erwartungen verfehlen, sondern nähert sich dem Status "Total Fuckup". Und nun?
IT-Vorhaben rechtzeitig einzustellen, bevor sie unnötig Zeit und Geld fressen und langfristige Wettbewerbsvorteile vollends außer Sicht geraten, ist eine mutige Entscheidung. Gute CIOs müssen dazu fähig sein. Dazu braucht es die richtige Kombination aus Erfahrung, Insights und dem Willen, die entsprechenden Warnsignale richtig zu erfassen und einzuordnen. Wir haben sieben dieser Anzeichen für Sie zusammengefasst, die signalisieren, dass sich Initiativen mit einst rosigen Aussichten auf dem absteigenden Ast befinden.
1. Der Zeitrahmen wird gesprengt
Wie jede Investition ist auch eine strategische IT Investition zukunftsgerichtet, also eine Wette auf einen potenziellen Vorteil. Hier sollen proaktiv neue digitale Möglichkeiten für das Unternehmen erschlossen werden, meint T. Ravichandran, Professor für Supply Chain Management am Rensselaer Polytechnic Institute. Wenn das Investment allerdings in ein Projekt mündet, das innerhalb eines vorher abgesteckten Zeitrahmens (zirka sechs bis zwölf Monate) nicht in Gang gebracht werden kann, könnte es an der Zeit sein, Strategie und Zielsetzung zu überarbeiten - oder das Projekt zu beerdigen.
"Commitment Escalation" ist nach den Erfahrungen des Wissenschaftlers eines der Hauptprobleme in vielen Unternehmen: "Weil wir schon investiert haben, müssen wir es jetzt auch durchziehen", laute dabei das Motto der Verantwortlichen. Deshalb sollten die Gelder schrittweise fließen und an Erfolge geknüpft sein. "Erst wenn Key Milestones erreicht werden, wird die nächste Stufe finanziert. In einem solchen Kontext werden Fortschritte in der Regel schneller und sicherer erzielt", sagt Ravichandran.
Wenn die Zeichen hingegen auf Misserfolg stehen, empfiehlt der Supply-Chain-Experte zunächst ein Gespräch mit allen Verantwortlichen. Es gelte nun zu prüfen, ob sich einige funktionale Elemente retten lassen oder ob Rahmen und Ziel des Vorhaben angepasst werden müssen.
2. Die Rahmenbedingungen ändern sich
Unter Umständen durchkreuzt eine neue Realität alle Pläne - die Corona-Pandemie war ein gutes Beispiel. Wurden wichtige Entscheidungen etwa zu Technik oder Vorgehensweisen vor einem solchen Ereignis getroffen, empfiehlt sich eine Neubewertung. Wie sinnhaft sind diese Vorgaben noch angesichts der neuen Faktenlage?
Ebenso kritisch sind Missverständnisse und Fehlannahmen gleich zu Beginn eines Vorhabens. Sie können den Wert, die Kosten oder die Benefits eines Investments betreffen und das Projekt gefährden, noch bevor es richtig losgeht.
- 1. Unklare Arbeitslast
Bryan Fagman vom Anbieter Micro Focus sagt, dass viele Projekte an einem nicht klar umrissenen Arbeitsaufwand scheitern. Schleichen sich hier Unschärfen ein, leidet das ganze Projekt. Im schlimmsten Fall bleibt undefiniert, wann es überhaupt abgeschlossen ist. Fagman mahnt deshalb an, Ziele im Dialog mit den Kunden klar zu benennen. - 2. Undefinierte Erwartungen
Alle Beteiligten müssen von Beginn an wissen, welche Anforderungen ein Projekt stellt und welche Erwartungen zu erfüllen sind – sonst droht ein Fiasko. Tim Garcia, CEO des Providers Apptricity, nennt zwei entscheidende Dinge, die alle Team-Mitglieder vorab wissen sollten: was getan wird und wie man weiß, wann das Projekt abgeschlossen ist. „Ohne eine dokumentierte Vereinbarung, die Antworten auf diese beiden Fragen liefert, ist ein Projekt von Anfang an in Gefahr“, sagt Garcia. - 3. Fehlende Management-Unterstützung
Die Unterstützung aus der Firmenspitze sollte unbedingt gesichert sein. Befindet man sich dahingehend mit der Chef-Etage nicht in Einklang, mindert das die Erfolgsaussichten beträchtlich, meint Brad Clark vom Provider Daptiv. - 4. Methodik nach Schema F
Im Projekt-Management wird gemeinhin mit standardisierten Schlüsselaufgaben und Leistungen gearbeitet. Darin lauert nach Einschätzung von Robert Longley, Consultant beim Beratungshaus Intuaction, aber auch eine Gefahr. Die Standard-Ansätze seien meist auf Projekte einer bestimmten Größe ausgerichtet. Sie passen möglicherweise nicht mehr, wenn man sich an größere Projekte als in der Vergangenheit wagt. - 5. Überlastete Mitarbeiter
„Team-Mitglieder sind keine Maschinen“, sagt Dan Schoenbaum, CEO der Projekt-Management-Firma Teambox. Projekte können auch daran scheitern, dass Mitarbeiter mit Arbeit überfrachtet werden. Vermeiden lässt sich das, indem man sich vorab ein klares Bild über die Stärken der Team-Mitglieder macht und auf eine sinnvolle Verteilung der Aufgaben achtet. - 6. Ungeteiltes Herrschaftswissen
Projekte leben davon, dass Informationen nicht monopolisiert, sondern miteinander geteilt werden. Das geschieht oft dann nicht, wenn Ergebnisse erst nach langer Anlaufzeit geliefert werden müssen. Tim Garcia von Apptricity rät deshalb dazu, Projekt in kurze Phasen einzuteilen. An deren Ende sollte es jeweils Resultate geben, mit denen das ganze Team weiterarbeiten kann. - 7. Unklare Entscheidungsfindung
Im Verlauf eines Projektes sind Änderungen der ursprünglichen Roadmap oft unvermeidbar. Es sollte beim Change Management aber klar dokumentiert werden, wer wann was geändert hat und wie die neue Marschrichtung aussieht. - 8. Fehlende Software
Exel-Spreadsheets nötigen Projekt-Manager zu manuellen Korrekturen und führen oft zu Problemen bei der Status-Aktualisierung. Insofern ist es befreiend, mit Project Management Software zu arbeiten, die für automatische Updates sorgt und von lästigen manuellen Berichten entlastet. Dazu rät Brian Ahearne, CEO des Anbieters Evolphin Software. - 9. Gefahr des Ausuferns
Change Requests sind alltäglich im Projekt-Leben, aber sie haben leider oft einen unerfreulichen Nebeneffekt: den Hang, Fristen und Budget-Rahmen immer weiter auszudehnen und auf Dauer zu Demotivation und Frust auf allen Seiten zu führen. Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, sind neben klaren Zielvorgaben auch tägliches Monitoring und ein definierter Prozess für gewünschte Veränderungen sinnvoll. Das empfiehlt in jedem Fall Sandeep Anand, der beim Software-Entwicklungshaus Nagarro für Project Governance verantwortlich ist. - 10. Nicht "Nein" sagen können
Im Sinne des Unternehmens sei es manchmal nötig, Anfragen abzulehnen, sagt Markus Remark vom Provider TOA Technologies. Gut sei es deshalb zu wissen, wie man "nein" sagt. Am besten habe man für solche Fälle auch gleich eine konstruktive alternative Lösung parat. - 11. Mangelnder Zusammenhalt
Projektarbeit ist Team-Arbeit. In der Praxis gerieren sich manche Projekt-Teams aber wie in Eifersüchteleien gefangene Sportmannschaften ohne Erfolg, beobachtet Berater Gordon Veniard. Der Fokus auf das eigentliche Ziel gehe verloren. Stattdessen beschuldigen sich Grüppchen gegenseitig, für Probleme und schlechte Leistungen verantwortlich zu sein. Um das zu verhindern, ist Führung durch den Projekt-Manager gefragt. Und der sollte es verstehen, sein Team mitzunehmen und in Entscheidungen einzubinden. Ohne Kommunikation sei das Desaster programmiert, so Hilary Atkinson vom Provider Force 3. - 12. Vergessener Arbeitsalltag
Hilary Atkinson hat nach noch einen weiteren Kommunikationstipp parat: Projekt-Manager sollten nicht vergessen, ihre alltäglichen Aufgaben zu erledigen. Wer als Verantwortlicher keine Meeting-Termine verkündet, Status-Berichte vergisst und E-Mails unbeantwortet lässt, riskiert unnötige Verzögerungen. - 13. Zu häufige Meetings
Meetings, in denen der Status Quo besprochen wird, können nerven – vor allem dann, wenn sie zu oft stattfinden oder zu lange dauern. Wichtige Informationen lassen sich durch Collaboration Tools häufig besser an die Team-Mitglieder bringen, meint Liz Pearce, CEO des Providers LiquidPlanner. Ihr Tipps: Meeting auf die Entscheidungsfindung beschränken. In ihrem Unternehmen gebe es lediglich zweimal in der Woche ein Treffen, um neue Aufgaben zu verteilen und Prioritäten zu definieren. - 14. Gut genug ist nicht immer gut
Sergio Loewenberg vom IT-Beratungshaus Neoris macht Nachlässigkeiten in der Qualitätssicherung als Problem aus. Es sei günstiger, Fehler zu vermeiden anstatt Geld und Zeit ins Ausmerzen ihrer negativen Folgen stecken zu müssen. Wer auf hohe Qualitäts-Standards achte, vermeide späteres Nacharbeiten und die Gefahr eines schlechten Rufes. - 15. Nicht aus Fehlern lernen
Liz Pearce mahnt außerdem an, mit Hilfe entsprechender Tools eine mehrstündige Analyse nach Ende des Projektes durchzuführen. Nur Teams, die sich des ständigen Lernens verschreiben, seien dazu in der Lage, die Fehler der Vergangenheit in der Zukunft zu vermeiden. - 15 Fehler beim Projektmanagement
Es gibt unzählige Wege, ein IT-Projekt an die Wand zu fahren. Unsere amerikanische Schwesterpublikation CIO.com hat 15 davon gesammelt – und verrät dankenswerterweise auch, wie man die Probleme beheben kann. Diese Tipps sind in der Bilderstrecke zu finden.
3. Warnzeichen übersehen
Wenn sich abzeichnet, dass ein Projekt die vorgegebenen Ziele weit verfehlt, sollte das alle Alarmglocken schrillen lassen, warnt Paul Rohmeyer, Director am Stevens Institute of Technology. Schließlich sollten IT Investments die Erreichung spezifischer Geschäftsziele unterstützen - oder diese erst ermöglichen.
"Jeder Hinweis darauf, dass Projektziele verfehlt werden, sollte genau examiniert und das Projekt reevaluiert werden", empfiehlt der Experte. Die Entscheidung darüber, ein Projekt zu beenden, solle jedoch mit Bedacht und Transparenz angegangen werden. Wenn die Entscheidung jedoch einmal gefallen sei, so Rohmeyer, sollte die Abwicklung so schnell wie möglich erfolgen, um weitere Ausgaben zu verhindern, und Ressourcen neu verteilen zu können.
4. Stakeholder treten leisen Rückzug an
Wenn Key Stakeholder nahezu unbemerkt die Flucht ergreifen, ist das ein starkes Signal dafür, dass das Investment ins Leere läuft. Schwindenden Rückhalt zu erkennen, ist glücklicherweise nicht schwer:
in Meetings und Konferenzen ist plötzlich keine Rede mehr von der Initiative
Update Requests werden immer dringlicher
Teammitglieder mit Schlüsselrollen werden plötzlich abgezogen
"Das was vom Team übrigbleibt, soll das Projekt dann mit unzureichenden Ressourcen fortführen, um das Investment zu rechtfertigen", weiß Greg Stam, Managing Director beim Digitalberatungsunternehmen Ahead, aus Erfahrung. "Beliebt ist auch eine Neujustierung des Projektinhalts."
5. Verführte Projektmanager
Ein Projekt kann wie ein Uhrwerk laufen, jedes angestrebte Ziel erreichen oder gar übererfüllen - und dennoch weit davon entfernt sein, die erhofften Vorteile etwa in Sachen Kosten, Time to market oder Produktivität zu bringen. Viele CIOs erkennen den verpassten Return on Investment RoI aber erst spät - im Regelfall ist dann bereits eine Menge Geld geflossen.
Die Gründe für enttäuschende Ergebnisse sind vielfältig, wie Sebastian Grady vom Softwareanbieter Rimini Street weiß: "Manchmal handelt sich um das Lieblingsprojekt eines Einzelnen. Oder das Management will eine neue Technologie ausprobieren, weil es die anderen auch machen. Noch schlimmer ist es, wenn CIOs der Roadmap von Herstellern folgen. Solche Projekte bringen im Regelfall weder Ertrag noch Kostenreduktion oder Wettbewerbsvorteile", konstatiert der Experte.
Bei der Vorbereitung großer Projekte mit entsprechender Kostenstruktur, sei ein unbestechlicher, klarer Blick notwendig, so Grady: "Seien Sie hart zu sich selbst, widerstehen Sie den Versuchungen der großen IT-Anbieter und leiten Sie keinen Change ein, der nicht mit strategischen Prioritäten und einem klaren RoI verknüpft ist."
6. Die Nutzer senken den Daumen
Ein Projekt muss den betroffenen Anwendern einen Mehrwert bieten. Wenn ein einst vielversprechendes Vorhaben kein oder nur ein geringes User-Interesse erzeugt, wird es irgendwann zu einer nutzlosen Belastung für das Unternehmen. Um das zu verhindern, hilft nur eine genaue Beobachtung und die Bereitschaft zu einer zwischenzeitlichen Kurskorrektur.
7. Aus der Zeit gefallen
Weil Zeit und Technologieentwicklung nicht stehen bleiben, kann ein einst erfolgversprechendes Projekt relativ plötzlich nutzlos werden. Deswegen sollte jedes IT-Investment in regelmäßigen Zeitabständen daraufhin abgeklopft werden, ob es noch planmäßig den vorgesehenen Business Case unterstützt. Nur so lässt sich ermitteln, ob die Ziele noch realistisch sind. Wenn nicht, heißt es Abschied nehmen und das Vorhaben abschreiben - auch wenn es schwerfällt. (fm)