In einem der renommiertesten Inkubatoren für Startups in Deutschland sitzen sich in einem Besprechungsraum zwei Startup-Geschäftsführer gegenüber. Der Raum wird hier allerdings "Innovation Thinking Space" genannt. Sie tauschen sich über ihre Erfahrungen während der ersten Phase ihrer Gründung aus. Stefan ist Gründer eines Online-Handels für Energieriegel auf Bio-Erbsenbasis. Joshua entwickelt eine App für die Verknüpfung von Bewerbern mit Stellenanbietern für das spezielle Segment der Softwareentwickler.
Beide nehmen am "Booster"-Programm des Inkubators teil, in dem sie während der verschiedenen Phasen ihrer Geschäftstätigkeit durch Mentoren, Workshops, vor allem aber durch die Hoffnung auf einen großen Investor, begleitet werden. Sie haben ein straffes Programm, denn regelmäßig gilt es, ihre Geschäftsidee auf professionelle und knackige Weise vor wichtigen Gremien zu präsentieren. Das alles findet im lockeren Umfeld statt, alle sagen "Du" zueinander, man trifft sich regelmäßig zu "Brunches" und "Coffees" und "Booster Nights", die Möglichkeiten zum "Networking" sind unbegrenzt.
Stefan: "Gefällt Dir das Booster-Programm?"
Markus: "Ja sehr, es macht unglaublich viel Spaß!"
"Bist Du nächste Woche bei der Pitch-Night auch dabei?"
"Na klar bin ich dabei. Ich hoffe, ich finde einen passenden Investor! Wenn es klappt, dann feiern wir!"
"Wenn es nicht klappt, feiern wir auch und zwar bei der Fuck up Night!" Beide lachen.
"Ich habe morgen einen Termin mit dem Mentor für die Steuerberatung, das wird bestimmt interessant"
"Ich nehme am Workshop für Präsentations-Skills teil, darauf freue ich mich schon."
"Hast Du schon gehört? Anna von 'IT Wonder' hat letzte Woche schon 500.000 Euro eingesammelt, das ist großartig!"
"Ja, das ist es! Sie bekommt hier jetzt ein eigenes Büro für sich selbst und noch zwei weitere Mitarbeiter, jetzt geht es bei ihr richtig los!"
"Das ist super. Ich wünschte, ich könnte auch bald ein eigenes Büro anmieten. Der Open Space ist cool, aber es ist auch ziemlich laut. Allmählich möchte ich mich auch nicht wie ein Student auf dem Campus fühlen, sondern schon eher wie ein echter Geschäftsführer!" Beide lachen wieder.
Klassische Firmengründung oder Startup?
Zwei Straßen weiter legt Angelo den Pinsel aus der Hand und betrachtet stolz sein Werk. Die Wände sehen toll aus. Morgen kommt die Lieferung der Tische und Stühle, die Dekoration ist auch schon vorbereitet. Nächste Woche eröffnet Angelo sein eigenes italienisches Lokal.
Die Besonderheit: Die Pizza wird besonders hochwertig sein, mit Teig nicht nur auf Weizenbasis, sondern auch mit Dinkel, Amaranth und Kichererbsen. Er hat lange herumprobiert an seinen Rezepten und ist jetzt bereit, sie dem Markt zu präsentieren. Nach langem Hin und Her hat die Bank ihm den notwendigen Kredit gewährt, im Zweifel hat Angelo damit das Haus seines Onkels auf dem Gewissen, der für ihn gebürgt hat. 100.000 Euro hat Angelo bekommen, um sein Glück zu machen und er ist fest davon überzeugt, dass es funktionieren wird.
Beide Geschichten sind frei erfunden und stehen damit beispielhaft für die Unterscheidung von Startup und Unternehmensgründung. Was genau ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Startup und einem "regulär" gegründeten Unternehmen? Warum ist die Eröffnung eines italienischen Lokals kein Startup, die Einrichtung eines neuen Internetportals für Stellenvermittlung oder der Vertrieb von Eiweißriegeln aber schon?
Warum ist es eine Unternehmensgründung, uninteressant für Pitches, wenn ein Student einen Getränkehandel über zehn Jahre hinweg langsam aufbaut und entwickelt, von den ersten Wasserkisten im Kofferraum seines Kleinwagens, bis hin zu einer Flotte von 20 Fahrzeugen und 2000 Kisten Lieferung pro Tag? Und warum ist das gleiche Modell ein Startup, nur weil für einen Getränkehandel sofort 10 oder 20 Millionen Euro verfügbar gemacht werden, so dass - von heute auf morgen - eine Flotte von 50 Fahrzeugen unterwegs sein kann? Warum ist der Versand von Obst- und Gemüsekisten mit Rezepten ein Startup, die Hauslieferung des Supermarktes um die Ecke aber nicht?
Was muss man also tun, um als Unternehmensgründer ein "Startup" sein zu können, um relativ zügig viel Geld zur Verfügung zu haben? Suchen wir nach einer Definition, so wird erklärt, dass ein Startup immer mit großem Wachstumspotenzial verbunden ist. Es geht darum, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Gewinn mit der neuen Geschäftsidee zu machen. Ziel ist dann, das Geschäft mit ebendiesem Gewinn weiter zu veräußern. Die Gründer sehen in ihrer Geschäftsidee somit nicht unbedingt ein eigenes "Baby", das sie hegen und pflegen, um es langsam groß zu machen.
Es geht in erster Linie um eine gute Idee, die um das schnelle Geld, das schnelle Wachstum verspricht. Zur Beschleunigung, und um das Wachstumspotenzial überhaupt umsetzen zu können, braucht es schon in der frühen Phase der Geschäftstätigkeit größere Mengen an Geld, um das notwendige Tempo im Wachstum zu erreichen.
Die Förderung durch einen "Inkubator", der einen ganzen Stab von Mentoren, Informationen, Netzwerk, Information, Austausch, Workshops, Business Angels, Pitches, etc zur Verfügung stellt, bietet den Rahmen für die notwendige Förderung hin zum maximalen Nutzen der neuen Geschäftsidee. Startup-Gründer lernen, ihre eigene Geschäftsidee möglichst gut zu präsentieren, um in einem "Pitch" möglichst viel Geld einzusammeln.
Es geht noch nicht einmal mehr darum, selbständig etwas voran zu bringen, eine Idee wachsen zu lassen oder sorgsam zu entwickeln. Es geht nur noch um die Idee und darum, die möglichst gut zu präsentieren mit dem Ziel, sie meistbietend an einen Investor zu verkaufen. Das Startup befindet sich somit schon von Tag eins des Daseins in einer gewissen Abhängigkeit, die weit über das Maß der Abhängigkeit eines "regulären" Gründers hinausgeht.
Zudem finden Startup-Gründer ihr erstes Zuhause oft in den Inkubatoren, die ihnen mit einer bereits vorgegebenen Kultur entgegentreten, sie aufnehmen und zum Erfolg begleiten und tragen, wie ein Elternhaus, in dem immer noch für alles gesorgt wird und man nur noch die gute Idee weiterentwickeln muss, mit etwas Hoffnung, dass sie auch irgendein anderer gut findet, idealerweise jemand mit einem Portemonnaie, in dem eine Million Euro locker zur Verfügung steht.