Recht auf Internet

Woran es bei der Grundversorgung hapert

09.09.2022
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Die Bundesnetzagentur stellt erstmals eine Internet-Unterversorgung in Neubaugebieten offiziell fest. TK-Verbände kritisieren die Vorgehensweise als politischen Irrweg
Die Bundesnetzagentur hat erstmals offiziell eine TK-Unterversorgung in Neubaugebieten festgestellt.
Die Bundesnetzagentur hat erstmals offiziell eine TK-Unterversorgung in Neubaugebieten festgestellt.
Foto: ArieStudio - shutterstock.com

Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat erstmals offiziell eine TK-Unterversorgung einiger Neubaugebiete mit Telekommunikationsdiensten festgestellt - sprich die dortigen Anwohner erhalten keinen Internetzugang. Dazu Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur: "Wir stellen zum ersten Mal für einige Haushalte in Niedersachsen förmlich fest, dass die rechtlich vorgeschriebene Mindestversorgung nicht erfüllt ist. Im weiteren Verfahren wird es nun darum gehen, die Versorgung so schnell wie möglich herzustellen. Die betroffenen Haushalte sollen möglichst bald eine Mindestbandbreite erhalten." Betroffen sind die Gemeinden Mittelstenahe, Halvesbostel, Brackel sowie Stuhr in Niedersachsen.

Auf den ersten Blick erscheint die Meldung positiv, da doch erstmals der im Telekommunikationsgesetz (TKG) vorgesehene Rechtsanspruch jeder Bürgerin und jedes Bürgersauf Versorgung mit einem Mindestangebot an Sprachkommunikation, also Telefon, und schnellem Internetzugangsdienst für eine angemessene soziale und wirtschaftliche Teilhabedurchgesetzt wird. Zudem scheinen in der Breitband-Diaspora Deutschland Millionen von Bürgern, die seit Jahren in schlecht versorgten Gebieten leben, endlich auf einen Ausbau hoffen zu dürfen.

Schlechter Witz: 10 Mbit/s Down- und 1,7 Mbit/s Upload

Doch der Schein trügt, wie ein Blick in das TKG zeigt. Denn die dort definierte Grundversorgung ist, höflich formuliert, nicht mehr zeitgemäß: Die Download-Geschwindigkeit muss mindestens 10 Mbit/sbetragen und die Upload-Rate muss bei mindestens 1,7 Mbit/s liegen. Die Latenz, also die Verzögerungszeit bis zum Referenzmesspunkt aus der Breitbandmessung-Desktop-App der BNetzA, darf nicht höher als 150 Millisekunden sein. In Zeiten von Home-Office mit Anwendungen wie Videoconferencing (Teams, Zoom), VPN und Cloud Computing sind diese Vorgaben eher ein schlechter Witz.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Bewohner eines Gebietes, für das die Bundesnetzagentur eine Unterversorgung feststellt, mitnichten auf ein baldiges Ende ihres Martyriums hoffen dürfen. Denn das vorgeschriebene Prozedere ist langwierig. In einem ersten Schritt können sich TK-Anbieter innerhalb eines Monats gegenüber der BNetzA zur Versorgung der betroffenen Haushalte verpflichten.

Macht kein Unternehmen ein Angebot, soll die Behörde innerhalb von spätestens vier Monaten eines oder mehrere Unternehmen dazu verpflichten, die betroffenen Haushalte an das Netz anzuschließen. Die verpflichteten Anbieter müssen dann spätestens nach drei Monaten beginnen, die Voraussetzung für die Anbindung zu schaffen.

11 Monate warten auf 10 Mbit/s

Oder anders formuliert: Bis zum ersten Spatenstich dauert es wohl acht Monate, nachdem die BNetzA eine Unterversorgung festgestellt hat. Dann sollte es in der Regel, so die Bundesnetzagentur, noch einmal bis zu drei Monate dauern, bis das Mindestangebot zur Verfügung steht.

Allerdings räumt die Behörde selbst ein, dass es auch länger dauern könnte, falls erheblich Baumaßnahmen erforderlich sind. Unter dem Strich würde da bedeuten, dass die betroffenen Gemeinden in Niedersachsen rund 11 Monate warten müssen, bis sie einen mit 10 Mbit/s nicht mehr zeitgemäßen Internet-Anschluss erhalten.

Falsche Förderpolitik

Entsprechend scharf kritisieren die Interessensverbände der TK-Anbieter BREKO (Bundesverband Breitbandkommunikation) und VATM (Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten) die Vorgehensweise der BnetzA. So kritisieren sie, dass in Sachen Unterversorgung fast ausschließlich Neubaugebiete adressiert würden. "So weit ist es in Deutschland gekommen, dass wir Neubaugebiete nicht, falls wirtschaftlich nicht erschließbar, über die seit vielen Jahren bestehende Breitbandförderung mit Glasfaser versorgen, sondern nun versuchen, diese mit der Internet-Grundversorgung von 10 Mbit/s anzuschließen", empört sich VATM-Geschäftsführer Jürgen Grützner. In die gleiche Kerbe schlägt auch BREKO-Geschäftsführer Stephan Albers: "Das ist eine politische Fehleinschätzung, die zeigt, dass wir in Deutschland nicht die richtigen Förder- und Anreizstrukturen haben."

Kommunen bremsen Breitbandausbau

AusSicht der beiden Verbände wäre es nur folgerichtig, wenn der Anschluss von Neubaugebieten nicht über die Internet-Grundversorgung abgesichert werden dürfe. Sie fordern, dass der Anschluss, im Falle der Unwirtschaftlichkeit, wie bei Gas, Wasser und Strom, in der Verantwortung des Erschließungsträgers liegen müsse. Und hierzu sei eine verlässliche gesetzliche Grundlage erforderlich.

Hart zu Gericht gehen die beiden Verbände auch mit den Kommunen. Diesen werfen sie vor, dass sie in der Vergangenheit vielfach besonders teure Anschlüsse nicht in die Breitbandförderung einbezogen hätten, um ihren Eigenanteil an der Förderung gering zu halten. Damit würden - anders als bei der Entwicklung der Breitbandförderung vorgesehen - die Erschließungskosten für die teuersten Anschlüsse bei den ausbauenden Unternehmen hängen bleiben.