Digitalisierung muss Hand in Hand mit der Gesetzgebung gehen
CW: In Ihrem Buch "Das Ende der Demokratie" fordern Sie auch, dass die Legislative Einfluss auf KI-Systeme nehmen sollte. An einer Stelle Ihres Buches diskutieren Ihre Protagonisten, dass durch die Digitalisierung der Alltag sehr komplex wird. Aber diesen komplexen Alltag könne man ja regeln. Das gipfelt in dem Satz, dass Digitalisierung "Hand in Hand mit der Gesetzgebung" vorgehen könnte. Was meinen Sie damit?
Hofstetter: Wenn Sie an die juristischen Fakultäten gehen, werden Sie sehen, dass derlei Themen gerade heiß diskutiert werden. Verfassungsrechtler haben sehr genau mitbekommen, was technisch im Moment vor sich geht. Und diese Juristen ringen um Lösungen, um dieser Situation Herr zu werden.
Das 21. Jahrhundert gibt uns neue Optionen: Man kann etwa den klassischen Weg des geschriebenen Rechts gehen und die Digitalisierung gestalten. Hierbei muss eins ganz deutlich gesagt werden: All die Gerätschaft, die wir heute mit uns herumtragen und deren Apps wir nutzen, sind Produkte aus dem Silicon Valley. Sie kommen von Pinterest, Google, Apple, Facebook etc. etc. Diese Produkte entstammen damit einem geografischen Raum mit einem anderen Verfassungs- und Rechtsverständnis, als wir es hier kennen. Für Amerikaner ist es wichtig, nicht reguliert zu werden, freien Handel zu haben - siehe TTIP. Liberty ist das Verständnis der Amerikaner. Unser europäisches Verfassungsverständnis ist da komplett anders. Bei uns ist die Menschenwürde absolut zentral. Unser Verfassungsverständnis geht vom freien, souveränen Menschen aus, nicht vom deregulierten Markt.
Diese beiden Konzepte sind nicht zur Deckung zu bringen. Freie Märkte schränken die Souveränität des Menschen ein. Sie machen den Menschen zur Ware. Sie nutzen seine Arbeitskraft sowohl auf den heimischen Märkten als auch überall in der Welt aus. Wenn aber Menschen in prekären Verhältnissen arbeiten müssen, schränkt dieser globalisierte, freie und nicht regulierte Handel die Möglichkeiten des Menschen ein. Deshalb ist die soziale Marktwirtschaft ein so attraktives Konzept.
Und jetzt stellen Sie sich einmal folgende Frage: Wer hat in den letzten zehn, 15 Jahren die Gesellschaften radikal umgestaltet? Das war nicht die Politik. Und damit auch nicht der Souverän, also das Volk. Das wählt ja seine Politiker und erteilt ihnen den Auftrag, an seiner Stelle die Gesellschaft zu gestalten und über Gesetze weiter zu entwickeln. Das Volk gibt also Macht an den Politiker ab, damit der im Auftrag des Souveräns die Gesellschaft gestaltet.
Techno-Konzerne gestalten Gesellschaften um
Wenn Sie nun einmal sehen, wer seit 2007, seit dem Aufkommen von Smartphones also, die Gesellschaft gestaltet, dann werden Sie feststellen, dass das nicht unsere Politiker gewesen sind. Das sind vielmehr Techno-Konzerne. Das sind die Googles, die Amazons, die Apples dieser Welt. Deren Produkte sammeln Messdaten über uns alle. Und über diesen Weg der massiven Datensammlung gestaltet sich die Gesellschaft elementar um. Seitdem kommunizieren wir anders. Wir daten uns anders. Wir haben so etwas wie Shared Economy. Und, und, und. Demokratisch beschlossen wurde das aber alles nicht. Niemand hat jemals gefragt, ob wir das alles wollen. Wollt Ihr die totale Überwachung? Die totale Überwachung ist eine Idee der Konzerne, der Wirtschaftsakteure und ihrer Investoren. Denn mit Überwachung und Datensammelei lassen sich Milliarden verdienen.
Und mit dem Internet der Dinge kommen da ja noch ganz andere Entwicklungen auf uns zu - wenn nämlich die ganze Welt vollgestopft wird mit Sensorik. Jedes Gerät, das ich nutze, bekommt eine IP-Adresse. Jeder Sensor im Kühlschrank, an der Heizung, im Fernseher nimmt unser Leben, unser Verhalten wahr und kommuniziert es weiter. Das ist doch gruselig. Für all das gibt es keine Regelung.
CW: Aber es gibt ja schon eine Protestbewegung in der Bevölkerung nicht nur in Deutschland, die gegen bestimmte Entwicklungen demonstriert.
Diktatur der Konzerne ist bei der Digitalisierung besonders deutlich
Hofstetter: Schon. Aber komischerweise gehen in Europa und insbesondere in Deutschland die Menschen einerseits gegen TTIP auf die Straße, weil sie gegen Schiedsgerichte, gegen die Aufweichung von Umweltstandards, gegen die Deregulierung von Arbeitsstandards sind. Und es wird moniert, dass sich hier eine Diktatur der Konzerne entwickelt. Andererseits sagen das aber die Menschen bei der Digitalisierung nicht. Dabei ist aber die Diktatur der Konzerne hier besonders deutlich. Und bei dieser Diktatur der Konzerne aus dem Silicon Valley machen wir einfach mit. Wir legitimieren soziologisch, nicht normativ. Nicht auf dem Weg des Gesetzes, sondern einfach durch unser Verhalten. Wir machen mit und fügen so selbst unseren Freiheitsrechten und unserer Demokratie, die genau darauf aufbaut, faktisch Schaden zu.
Es ist also der Silicon-Valley-Prinzip-Kapitalismus, der in unsere Freiheitsrechte eingreift. Und da sollten sich Politiker fragen: "Was mache ich jetzt?" Der Politiker hat den Auftrag, die Gesellschaft zu gestalten, nicht die Technologiegiganten. Und da kommt ganz selbstverständlich unter anderem die Fragen auf, ob Geschäftsmodelle erlaubt sein sollten, beispielsweise ein Haus mit lauter Spionen vollzustopfen, die mich dann überwachen.
Wie also gehe ich mit der digitalen Entwicklung um? Ein Weg ist der des Rechts. Als examinierte Juristin - ich bin ja nicht nur Technikerin - sage ich, das Recht muss leisten, was es leisten kann. Das heißt: Hier muss der politische Wille bestehen, diesen neuen Markt zu regulieren. Reguliert werden muss der Kapitalismus in seiner neuesten Erscheinungsform, der des Informations- und Überwachungskapitalismus‘. In Zeiten des Überwachungskapitalismus muss beantwortet werden, wie man etwa Grundrechte stärkt. Es muss beantwortet werden, ob die amerikanischen Vorstellungen von Kapitalismus in Europa gestattet werden sollen und ob jedes Geschäftsmodell erlaubt sein soll.
CW: Was schwebt Ihnen da vor?
Hofstetter: Wenn ich etwa den Code für digitale Angebote und Geräte selbst unter Kontrolle hätte, könnte ich beispielsweise dafür sorgen, dass der Code selbst die Rechte der Menschen schützt. Besser könnte er werden, wenn in ihm unsere Vorstellungen von Menschenrechten, unsere Sicht auf Menschenwürde etc. berücksichtigt, also codifiziert werden müssten. Wir nennen das Values-by-Design oder Ethics-by-Design.
Solche Fragen werden im Austausch mit Technologen sehr intensiv an den juristischen Fakultäten diskutiert. Dort wird um das gerungen, was wir als Umgebungsrecht bezeichnen. Zur Erklärung: All die Daten, die durch die Vernetzung im Internet von uns entstehen und die ausgewertet werden, bezeichnen wir als Umgebungsintelligenz, ambient intelligence. Und dem setzen wir das Umgebungsrecht entgegen. Das bedeutet, dass wir bestimmte unveräußerliche Rechte in unserer Gesetzgebung auch direkt im Software-Code berücksichtigen müssen.
CW: Über diese Art der Diskussion liest man übrigens sehr wenig.
Hofstetter: Das ist natürlich momentan noch sehr akademisch. Aber das kommt jetzt langsam.