COVID treibt Cloud

Wohin der Zwang zum IT-Umbau führt

23.07.2020
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Gerhard Holzwart begann 1990 als Redakteur der COMPUTERWOCHE und leitete dort ab 1996 das Ressort Unternehmen & Märkte.  Ab 2005 verantwortete er den Bereich Kongresse und Fachveranstaltungen der IDG Business Media GmbH und baute „IDG Events“ mit jährlich rund 80 Konferenzen zu einem der führenden Anbieter von ITK-Fachveranstaltungen in Deutschland aus. Seit 2010 ist Gerhard Holzwart geschäftsführender Gesellschafter der h&g Editors GmbH und ist in dieser Funktion als Event Producer, Direktmarketingspezialist und ITK-Fachredakteur tätig.        

Flexible IT-Bezugsmodelle aus der Cloud sind erfolgskritisch für die digitale Transformation. Lesen Sie, welchen Weg deutsche Unternehmen dabei vorzugsweise einschlagen.
Wohin führt der Cloud-Weg deutscher Unternehmen?
Wohin führt der Cloud-Weg deutscher Unternehmen?
Foto: somsak nitimongkolchai - shutterstock.com

Applikationen und Services aus der Cloud zu beziehen, ist inzwischen auch in Deutschland selbstverständlich - vordergründig zumindest. Tatsächlich sind viele Anwender über das Stadium erster Cloud-Erfahrungen als Ausbaustufe früherer Managed Services noch nicht hinausgekommen. Vorbehalte gibt es in Hinblick auf regulatorische Hindernisse, Datensicherheit sowie die Migration von Legacy-Anwendungen. Die COVID-19-Pandemie hat die Betriebe nun zu schnellem Handeln gezwungen - und dabei wie ein Brennglas den Status in puncto Transformation offengelegt. Zu dieser Einschätzung gelangten Branchenexperten im Rahmen eines Roundtables "Hybrid IT" auf Einladung der COMPUTERWOCHE.

Hat das Coronavirus die Begeisterung das Digitalisierungstempo gebremst? Für Tobias Regenfuß, Executive Partner bei Accenture, ist dies nicht der Fall: "Die COVID-19-Pandemie hat vor allem den Trend zur Cloud positiv beeinflusst. Laut den Umfragen, die ich kenne, und aufgrund der Signale, die ich aus dem Markt empfange, investieren die CIOs eher mehr als weniger in die Cloud. Man hat während des Lockdowns gesehen, wie stark der Einsatz von Cloud-Technologien zur Resilienz der IT-Systeme beiträgt. Das betrifft nicht nur den Arbeitsplatz aus der Cloud, sondern auch Aspekte der IT Security und die Fähigkeit, Lastveränderungen flexibel abzufedern."

Dominic Schulz, Vice President Hybrid Cloud für die Region Deutschand, Österreich und Schweiz (DACH) bei IBM, sieht es ähnlich: "COVID-19 hat mit Sicherheit die Digitalisierung beschleunigt. Unternehmen, die bis dato bei der Transformation noch zurückhaltend agierten, mussten quasi über Nacht mehrere Gänge hochschalten. Da waren dann Themen wie der virtuelle Desktop oder High-Speed-Datentransfer der große Renner. Es war schon interessant zu sehen, wie plötzlich riesige Datenmengen zu ganz anderen Orten unterwegs waren - mit allen Auswirkungen auf Stabilität und Netzbandbreite."

Homeoffice Enabler Cloud

Die Cloud dürfte in den meisten Unternehmen tatsächlich das Managen des Lockdowns viel leichter gemacht haben. Das gilt zumindest für die flächendeckende Verlagerung der betrieblichen Abläufe ins Homeoffice, soweit diese nicht die klassische Fertigung und die Supply Chain betrafen. Peter Schmidt, Experte für Public Cloud bei Syntax, bestätigt das: "Alles, was ad hoc notwendig war, um den Betrieb des Unternehmens weitgehend aus dem Homeoffice heraus sicherzustellen, wurde mit höchster Priorität umgesetzt. Hier wäre vieles ohne die Public Cloud zumindest in dieser Geschwindigkeit nicht umsetzbar gewesen."

Doch Office-Anwendungen und Videokonferenzen sind etwas anderes als die Portierung von Kernanwendungen. Jürgen Brombacher, Senior Strategy Consultant bei Matrix Technology, legt den Finger in die Wunde: "Dass sich Office365, Videokonferenzen und Collaboration-Plattformen aus der Cloud im Zuge der Pandemie als Renner erwiesen haben, würde ich unterschreiben. Anders sieht es meines Erachtens bei Kernanwendungen und bei den klassischen Infrastrukturthemen aus. Viele Unternehmen sind schlichtweg noch nicht reif für die Cloud, jedenfalls im Legacy-Umfeld."

IBM-Manager Schulz schlägt in dieselbe Kerbe: "Wenn man bei vielen Unternehmen, die eine Cloud-First-Strategie für sich postulieren, genauer hinschaut, stehen diese zum Teil noch in den Startlöchern. Es zeigt sich oft, dass IT-Infrastrukturen, Anwendungen und Prozesse noch nicht auslagerungsfähig sind." Hinzu kämen Bedenken hinsichtlich regulatorischer Anforderungen und Datenschutz.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'Hybrid IT Management'

Legacy-Migration polarisiert

Warum aber sind nach mehr als einer Dekade Cloud Computing Themen wie Migration, Sicherheit und Compliance immer noch aktuell? Ein Grund dürfte sein, dass die Migration essenzieller Workloads in die Cloud nach wie vor als zu komplex und zu teuer gilt. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass in diversen Branchen, vornehmlich bei den Banken und Versicherungen, bis dato alte Großrechneranwendungen das Rückgrat der meisten unternehmenskritischen Transaktionen bilden, häufig in Form über Jahrzehnte gewachsener Silos.

Brombacher formuliert es so: "Gerade im Umfeld der Banken und Versicherungen nehme ich eine sehr heterogene Einstellung wahr. Einerseits sehe ich großes Interesse an den Themen Hybrid beziehungsweise Public Cloud. Andererseits gibt es weiterhin große Bedenken hinsichtlich Sicherheit und regulatorischer Anforderungen. Trotz des neu verabschiedeten Standards freunden sich derzeit nur wenige Unternehmen damit an, Teile ihrer Legacy-Anwendungen und Kernsysteme auszulagern. Sie scheuen den Aufwand, die vermeintlichen Kosten und insbesondere das Auditing."

David Reher, Berater bei der Brockhaus AG, urteilt ähnlich: "Grundsätzlich sehe ich zumindest in der Versicherungswirtschaft nicht, dass der eigene Großrechner zur Disposition steht. Die vielen zum Teil selbst entwickelten Programme zur Bestandsverwaltung sowie das Thema Datensicherheit - zum Beispiel sensible Patientendaten - sprechen hier eindeutig dagegen."

Legacy-Anwendungen bremsen also noch immer die Transformation - in einer Zeit, in der technologisch alles in Richtung agile Methoden, Microservices und Container-Technologie weist. Immerhin: Es geht heute nicht mehr um die Frage, ob, sondern wie sich die Cloud-Migration realisieren lässt. IT-Entscheider überlegen, wie sie neue Plattformen, Automatisierung, gut orchestrierte Hybrid-Cloud-Szenarien sowie eine grundlegende Anwendungsmodernisierung umsetzen können.

Laut aktuellen Umfragen - unter anderem der jüngsten IDG-Studie "Managed Services 2020" - planen immer mehr Betriebe, einen signifikanten Teil ihrer Infrastruktur- und Applikationslandschaft in die Public Cloud auszulagern. Große Konzerne wie Deutsche Bahn und Volkswagen gelten hier als prominente Vorreiter. In diesen Unternehmen wandern Altanwendungen in die Cloud-Umgebungen der Hyperscaler, gleichzeitig werden auch neue "Cloud-Native"-Anwendungen entwickelt und betrieben.

Studie "Hybrid IT Management": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema Hybrid IT Management führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Frau Regina Hermann (rhermann@idgbusiness.de, Telefon: 089 36086 384) und Frau Nicole Bruder (nbruder@idg.de, Telefon: 089 360 86 137) gerne weiter. Informationen zur Hybrid IT Management-Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

"Die Cloud ist kein Allheilmittel"

Doch damit die Cloud-Migration gelingt, kommen IT-Organisationen nicht drum herum, für eine ausreichende Datenqualität zu sorgen und ihr Applikationslandschaft in Ordnung zu bringen. Über all dem steht die Notwendigkeit einer verbindlichen Prozess- und Digitalstrategie. Noch einmal Jürgen Brombacher: "Es ergibt wenig Sinn, via Lift & Shift alles in die Cloud zu bringen und danach erst aufzuräumen - in der Hoffnung, dass es dann irgendwann billiger wird. Diese Hoffnung trügt und führt zu der Erkenntnis, dass die Cloud kein Allheilmittel ist und bei mangelnder Vorbereitung und fehlender Strategie zunächst eher alles teurer wird."

Er kenne keinen CIO, so der Matrix-Technology-Manager weiter, der bereit wäre, jetzt Mehrkosten in Kauf zu nehmen und sich damit auf eine sehr unsichere Wette einzulassen. Also gehe es darum, "den eigenen Transformationsprozess so zu gestalten, dass Anwendungen, Plattformen, Prozesse und vor allem auch Daten und deren Verwendung so transparent gemacht und gemäß Schutzbedarf kategorisiert werden, dass man sinnvoll die eigene IT clustern und portionsweise in eine Private, Public und/oder Hybrid Cloud auslagern kann".

Peter Schmidt von Syntax sieht das ähnlich. "Man sollte die Diskussion über die Public Cloud nicht um ihrer selbst willen führen, sondern immer fragen: Was verbinde und bezwecke ich damit? Will ich nur in Teilbereichen mit neuen Cloud-nativen Anwendungen smarter und agiler werden? Oder will ich stattdessen oder ergänzend auch das eigene Data Center zur Disposition stellen? Die Antworten fallen in jedem Unternehmen zwangsläufig unterschiedlich aus, setzen aber immer eine vorhandene Cloud-Strategie und Governance voraus. Eine Migration in die Cloud ist nicht nur ein Prozess- und Technologiethema, sondern in erster Linie eine Strategiefrage und eine Führungsaufgabe."

Auch für Heinz Bruhn, Solution Director bei Rackspace, ist in den Anwenderunternehmen noch einiges an vorbereitenden Maßnahmen für einen erfolgreichen Weg in Richtung Hybrid-IT zu erledigen. Ungeachtet dessen ist für den Experten das eigene Data Center eher ein Auslaufmodell. Bruhn: "Es sollte schon erlaubt sein, darauf hinzuweisen, dass der Betrieb eines eigenen Data Centers auch ein signifikantes CAPEX Thema darstellt. Die betriebswirtschaftlichen Aspekte werden angesichts der aktuellen Krise ja noch wichtiger. Ich würde insofern nicht per se unterschreiben, dass die alte Legacy-Welt und der eigene Host auf ewig eine Bestandsgarantie haben müssen. Es wird vielmehr eine Symbiose zwischen dem eigenen RZ und der Cloud-Welt geben. Die Beschleunigung der Digitalisierung führt bei Unternehmen zu wesentlich mehr Cloud-Native-Anwendungen und Software-as-a-Service-Lösungen, um die entsprechenden Benefits daraus zu generieren."

Von der Bedeutung der Hybrid Cloud

Der Weg zu einer Hybrid-IT ist also nicht trivial und in der Regel mehrstufig. Die Hybrid Cloud könnte dabei probates Mittel zum Zweck sein, Containertechnologie ein wichtiges Migrationsinstrument. Mit Hilfe von Kubernetes lassen sich monolithische Anwendungen zergliedern, verpacken und auf andere Plattformen transportieren. Für viele IT-Entscheider und Infrastrukturverantwortliche ist das der entscheidende Hebel für die Modernisierung der eigenen Anwendungslandschaft.

Gleichzeitig vereinfacht sich die Modernisierung von Workloads, da Entwickler diese in einer Service-orientierten Architektur neu gestalten und sukzessive durch verteilte "containerisierte" Anwendungen ergänzen oder ersetzen können. All das vollzieht sich mit dem übergeordneten Ziel, die eigene IT flexibler, schneller, kosteneffizienter und kundenorientierter aufzustellen.

Dabei stellt sich jedoch schnell die Frage nach dem Entstehen neuer Komplexität. Für Accenture-Manager Regenfuß muss das nicht zwingend der Fall sein: "Ob bei der Transformation in eine Hybrid-Cloud-Welt die Komplexität zunimmt, hängt stark vom jeweiligen Unternehmen und vom gewählten Ansatz ab. Ein sauberes Enterprise-Architecture-Management ist hier wichtig, um auf Basis von harten Daten die richtigen Weichen zu stellen. Dort, wo mit Blick auf Infrastruktur und Daten Intransparenz vorherrscht, gibt es jetzt großen Nachhol- und Beratungsbedarf. Unabhängig davon muss sich jedes Unternehmen fragen: Habe ich die nötigen Ressourcen und Skills für ein Multi-Cloud-Provider-Management?"

Grundsätzlich sieht der Accenture-Mann die hybride Cloud als wichtigen Zwischenschritt einer erfolgreichen Cloud-Migration, indem er feststellt: "Unternehmen, die die Reise in die Public Cloud erfolgreich umsetzen, wählen einen intelligenten Ansatz, der skalierte Lift & Shift-Programme mit gezielter Modernisierung kombiniert. Es ergibt ja keinen Sinn, jetzt sofort den Unternehmen zu raten, alles neu in Cloud-Native zu programmieren. Das ist fast immer zu teuer - und man muss genauer hinschauen, wo der Mehrwert liegt. Die hybride Cloud ist weiterhin erforderlich, weil nicht alles in die Public Cloud kann oder ein Business Case darstellbar ist."

IBMer Schulz pflichtet ihm bei: "Die Hybrid Cloud ist ein wichtiger Zwischenschritt, um die Migration in Richtung Cloud einzuläuten. Dies zeigen auch Studien, die belegen, dass Stand heute erst rund 20 Prozent der Mission-Critical-Anwendungen in die Cloud ausgelagert wurden."

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"Nicht weniger, sondern noch mehr Digitalisierung"

Aus IT-Management-Sicht benötigen Firmen also in jedem Fall ein einheitliches Betriebsmodell für Private und Public Clouds. Große Anbieter wie VMware, HPE oder Google adressieren diesen Bedarf mit mächtigen Hybrid-Cloud-Management-Suites, die den Anwendern ein Höchstmaß an Flexibilität und Wahlfreiheit in der Cloud ermöglichen sollen. Übergeordnetes Ziel soll es sein zu verhindern, von einer Abhängigkeit in die andere zu geraten: von der proprietären Welt des eigenen Großrechners in die der Entwicklungsumgebungen großer Hyperscaler. Unternehmen sollten vielmehr in der Lage sein, ihre Private Cloud weiterhin intern zu nutzen und für bestimmte Anwendungen oder bei saisonalen Lastspitzen in die Public Cloud auszuweichen. Außerdem bietet sich die Möglichkeit, interne Rechenzentren sowie Private Clouds zu konsolidieren und sukzessive mehr Workloads in die Public Cloud zu migrieren.

Vor allem für den Mittelstand dürfte ein Wechsel in die Public Coud vorerst keine Option sein - sowohl aufgrund der wirtschaftlichen Situation infolge der Corona-Pandemie als auch aufgrund der eigenen IT-Historie. Oft besteht eine enge Beziehung zu Systemhäusern und Anbietern von Managed Services. Dennoch beobachtet Rackspace-Manager Bruhn auch hier interessante Markttendenzen: "Ich nehme wahr, dass bei den IT-Budgets die Vergabe in kleineren Tranchen erfolgt, um den Erfolg eines Hybrid-Cloud-Ansatzes durch Proof of Concepts schnell zu überprüfen. Wir sehen daher immer häufiger, dass jetzt kleinere Schnellboot-Projekte initiiert werden, aber immer mit einem strategischen Background."

Den Kunden müssten also die richtigen organisatorischen und technischen Lösungen entlang der jeweiligen strategischen Planungen angeboten werden, um schnell das gewünschte Niveau an Modularität, Skalierbarkeit oder Automatisierung zu erreichen, so Bruhn weiter.

Auch Peter Schmidt zeichnet ein heterogenes Bild des deutschen Mittelstandes: "Viele unserer Kunden betreiben ihre IT quasi noch im eigenen Keller und hatten bisher keine Public-Cloud-Ansätze. Aber wir werden von genau diesen Firmen immer wieder überrascht, die uns nun sagen, wir haben jetzt eine Cloud-First-Strategie. Hier entwickeln wir auf dem Weg zu einem ,All-in' häufig zunächst Hybrid-Cloud-Szenarien. Die spannende Frage ist dann, wie viel am Ende von der Vision des ,All-in' übrig bleibt."

Bleibt abschließend die Frage, inwieweit die COVID-19-Pandemie und der konjunkturelle Einbruch nicht doch Bremsspuren in den Digitalisierung-Roadmaps der Unternehmen hinterlassen haben. Viele Bänder standen still, Mitarbeiter sind in Kurzarbeit, IT-Budgets stehen zumindest auf dem Prüfstand. Viele Projekte sind derzeit gestoppt, die CIOs fahren auf Sicht. Dennoch sind sich alle Branchenkenner in einem Punkt einig: Die Digitalisierung ist alternativlos.

Marcus Borchert, Managing Consultant bei Adesso, bringt es auf den Punkt: "Wir haben gesehen, dass viele Unternehmen größte Mühe hatten, während des Lockdowns die eigenen Mitarbeiter im Homeoffice so auszustatten, dass sie produktiv arbeiten konnten. Gleichzeitig sind viele strategische Themen zunächst auf Eis gelegt. Ich würde mir wünschen, dass jetzt aber vielerorts die Erkenntnis gereift ist, dass die richtige Antwort auf die COVID-19-Pandemie nicht weniger, sondern noch mehr Digitalisierung ist."

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