Reality Check 2022

Wo die Cloud versagt… und wo nicht

Kommentar  23.09.2022
Von 

David Linthicum ist ein US-amerikanischer Technologieexperte und Buchautor. Zu seinen Schwerpunktthemen gehören unter anderem Cloud Computing, SOA, Enterprise Application Integration und Enterprise Architecture.

Ein Jahrzehnt Cloud Computing: Lesen Sie, welche ihrer Versprechen die Technologie gehalten und welche sie gebrochen hat.
Auch für die Cloud gilt: Wo Licht ist, ist auch Schatten.
Auch für die Cloud gilt: Wo Licht ist, ist auch Schatten.
Foto: Liudmyla Guniavaia - shutterstock.com

Ich durchforste des Öfteren meine alten Präsentationen aus dem Jahr 2008 und davor, um die Cloud-Computing-Versprechen, die im Laufe der Zeit ausgesprochen wurden, einem Reality Check zu unterziehen. Seit dem Jahr 1999 bin ich im Umfeld von Cloud Computing tätig und habe entsprechend viele Veränderungen miterlebt. Die meisten dieser Changes betreffen allerdings die Wahrnehmung.

Anfänglich wurde die Cloud nur als eine weitere Möglichkeit gesehen, Anwendungen zu nutzen. Diese Applikationen (heute auch unter dem Begriff Software-as-a-Service bekannt) deckten Aufgaben wie Vertriebsmanagement, Buchhaltung oder Bestandskontrolle ab. Als revolutionär wurde die Cloud-Technologie nicht angesehen, schließlich existierte diese Form der Anwendungsnutzung schon seit Jahrzehnten - wenn auch in primitiverer Form. Völlig neu war hingegen die Möglichkeit, Remote-Ressourcen in den Bereichen Storage, Datenbanken und Ähnliches - oder besser ausgedrückt, Teile von Applikationen nach Bedarf - nutzen zu können. Dieses Feature verhalf der Cloud um das Jahr 2008 herum zum Durchbruch.

Inzwischen haben wir alle ausreichend Erfahrungen mit sämtlichen Spielarten der Cloud gesammelt, um besser beurteilen zu können, wo die Technologie ihre Versprechen hält und wo sie versagt hat.

3 große Cloud-Enttäuschungen

Enorm enttäuscht hat die Cloud vor allem in Sachen Kosten. In den Anfangstagen bewarben so gut wie alle Provider die Cloud als günstigere (oder wesentlich günstigere) Alternative zu herkömmlichen Systemen. Folglich erwarteten die Anwenderunternehmen erhebliche Kosteneinsparungen. Diese haben sich allerdings in den meisten Fällen nie realisiert, außer bei neuen Unternehmen, die zuvor keine IT-Investitionen getätigt hatten. Tatsächlich kam die Cloud-Rechnung in vielen Unternehmen einem Schock gleich. Das lag vor allem daran, dass keine FinOps-Programme einsetzt wurden, um die Cloud-Kosten effektiv zu managen. Zudem haben viele Unternehmen - teilweise bis heute - die Preisgefüge und Geschäftsbedingungen der Cloud-Anbieter nicht verstanden.

Die große Auswahl in Sachen Cloud hat auch eine Kehrseite: Die Möglichkeit, Tausende von Cloud Services zu nutzen - und noch mehr bei einem Umstieg auf Multi-Cloud - hat zu einer Überkomplexität geführt. Die lässt die Betriebskosten steigen und erhöht die Fehlerwahrscheinlichkeit. Diese zusätzlichen Risiken und Kosten behindern den von den Unternehmen angestrebten Cloud-Fortschritt erheblich.

Der Aufstieg des Cloud Computing hat den Fachkräftemangel zusätzlich verschärft - und dieses Problem kann man nicht den Cloud-Anbietern in die Schuhe schieben. Die rasche Umstellung auf Cloud Computing hat zu einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften geführt, so dass viele Unternehmen in Warteschleifen verharren. Zwar verlagern inzwischen viele Menschen ihre berufliche Laufbahn in Richtung Cloud, aber die Nachfrage nach Cloud Skills übersteigt weiterhin das Angebot - eine Entspannung ist nicht in Sicht.

3 große Cloud-Erfolge

Sicherheit in der Cloud gehört zu den Erfolgsgeschichten der Technologie. Vor circa fünf Jahren konnte Cloud Security die von herkömmlichen Systemen erstmals übertreffen - auch wenn viele das gar nicht mitbekommen haben. Ursächlich dafür sind vor allem die Gelder für Forschung und Entwicklung, die im Bereich Cloud-Sicherheit geflossen sind. Die Kehrseite der Medaille: Das Gros der Innovationsgelder entstammt den Sicherheitsbudgets für traditionelle Installationen. Deswegen hinken beispielsweise private Rechenzentren in Sachen Innovation in allen Entwicklungsbereichen der Anbieter hinterher.

Die Cloud kann zudem zu Business Agility verhelfen. Die meisten Unternehmen sind wegen vermeintlicher Kosteneinsparungen in die Cloud gewechselt, dann aber wegen der Agilität geblieben. Cloud Computing ermöglicht Unternehmen, die IT im Handumdrehen umzustellen. Insbesondere Unternehmen, die sich in den Innovationsmärkten von heute (beispielsweise Einzelhandel, Gesundheits- und Finanzwesen) bewegen, stellen schnell fest, dass Cloud-Systeme wegen ihrer Flexibilität zu einem echten Multiplikator werden können.

In Sachen Zuverlässigkeit bietet die Cloud Industriestandard. Die meisten Cloud-Gegner haben einst argumentiert, es wäre nicht schlau alles auf eine Karte zu setzen, die sich im Nachhinein als unzuverlässig erweisen könnte. Das ist - allgemein betrachtet - nicht eingetreten. Natürlich gab es einige schwerwiegende Ausfälle zu verzeichnen, die waren aber nicht annähernd so zahlreich und langwierig wie von den Pessimisten prophezeit. Die Corona-Pandemie war schließlich der erste große Stresstest für die dominanten Cloud-Anbieter. Viele Unternehmen wollten besonders schnell migrieren, um Mitarbeiter an Zweigstellen und in Rechenzentren anzubinden. Dabei haben sich die Cloud-Anbieter insgesamt gut geschlagen und sich als zuverlässig erwiesen. (fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation InfoWorld.