Seit über zehn Jahren, so David Heinemeier Hansson in seinem Blog, steht das Projekt-Management-Tool Basecamp mit einem Bein in der Cloud, und die E-Mail-Plattform HEY laufe seit ihrer Einführung vor zwei Jahren ausschließlich in der Cloud. Dabei habe man sowohl in der Amazon- als auch in der Google-Cloud umfangreiche Erfahrungen gesammelt und auf virtuellen Maschinen und Kubernetes gearbeitet. Dort habe man alles gesehen, was die Cloud zu bieten hat, und das meiste davon auch ausprobiert. Und das Resümee? Für Hansson ist das Mieten von Rechenleistung für mittelständische Unternehmen (meist) ein schlechtes Geschäft. Bei Basecamp seien die erhofften Einsparungen durch eine geringere Komplexität nie eingetreten. Deshalb sei es jetzt Zeit, etwas zu ändern, befindet er.
Für die Cloud sprechen laut Hansson vor allem zwei Gründe - wobei für Basecamp und Hey immer nur einer relevant gewesen sei. Den ersten Grund sieht Hansson darin, dass ein Unternehmen wirklich Komplexität reduziert, wenn seine Anwendung einfach und wenig frequentiert ist, so dass sich Managed Services lohnen. Dies sei ein hervorragender Weg für ein Unternehmen, um anzufangen, wenn es noch keine Kunden hat. Und auf diesem Weg könne man weit kommen, wenn man einmal Kunden habe. Allerdings drohe die Gefahr, dass mit steigenden Kunden die Cloud-Rechnungen in die "Stratosphäre" anstiegen.
Der zweite Fall sei, dass der Verbrauch sehr unregelmäßig ist, also wilde Schwankungen oder gewaltige Verbrauchsspitzen auftreten. Oder anders formuliert, wenn die Grundlast nur einen Bruchteil des größten Bedarfs ausmacht. Oder wenn ein Unternehmen keine Ahnung habe, ob es zehn oder hundert Server benötigt. In solchen Fällen gehe nichts über die Cloud, wie Hansson selbst beim Start von HEY erfahren musste, als sich plötzlich statt der prognostizierten 30.000 User in sechs Monaten 300.000 Nutzer in drei Wochen für den Dienst anmeldeten.
Teure Vorsorge
Aber keine dieser beiden Bedingungen treffe heute noch zu - für Basecamp galten sie nie. Doch man habe weiterhin in der Cloud gearbeitet und zuweilen einen fast absurden Aufpreis für die Möglichkeit gezahlt, Komplexität zu reduzieren und Lastspitzen abzufedern. Hansson vergleicht dies mit einer Erdbebenversicherung, für die man ein Viertel des Hauswertes zahlt, obwohl man gar nicht in der Nähe einer Verwerfungslinie wohnt. Sicher könne das Fundament irgendwann einmal Risse bekommen, weil weit weg ein Superbeben stattfindet - aber ist die Versicherung dann noch verhältnismäßig?
Hansson verdeutlicht dies am Beispiel von HEY: "Wir zahlen über eine halbe Million Dollar pro Jahr für Datenbank-(RDS-) und Suchdienste (ES) von Amazon. Ja, wenn man E-Mails für mehrere zehntausend Kunden verarbeitet, gibt es eine Menge Daten zu analysieren und zu speichern, aber der Preis erscheint mir immer noch ziemlich absurd. Wissen Sie, wie viele wahnsinnig leistungsstarke Server Sie mit einem Budget von einer halben Million Dollar pro Jahr kaufen könnten?"
Einsparungen bleiben aus
Das Gegenargument laute dann immer: Der Kunde müsste die eigenen Maschinen verwalten und das sei in der Cloud viel einfacher! Es könnten also Arbeitskosten gespart werden. Doch davon will Hansson nichts wissen, denn der Betrieb eines wichtigen Dienstes wie HEY oder Basecamp in der Cloud sei alles andere als "einfach". So seien einige Dinge einfacher, andere dafür aber komplexer. Letztlich habe Hansson noch von keinem Unternehmen in vergleichbarer Größenordnung gehört, das es sein IT-Team wesentlich habe verkleinern können, nur weil es in die Cloud umgezogen ist.
Allerdings sei es ein wunderbarer Marketing-Coup, verkauft mit Analogien wie "Sie betreiben ja auch kein eigenes Kraftwerk, oder?" oder "Sind Infrastrukturdienste wirklich Ihre Kernkompetenz?". Dazu noch ein dicker Anstrich mit NEU-NEU-NEU und die Cloud erstrahlte so hell, dass nur noch Idioten auf die Idee kämen, ihre eigenen Server in ihrem Schatten zu betreiben, so Hansson weiter.
Obszöne Gewinne der Cloud-Provider
In der Zwischenzeit mache der Anbieter mit der Vermietung von Servern obszöne Gewinne. So betrage die Gewinnspanne von AWS - wie Hansson vorrechnet - fast 30 Prozent (18,5 Milliarden Gewinn bei 62,2 Milliarden Dollar Umsatz), und das trotz enormer Investitionen in künftige Kapazitäten und neue Dienste. Diese Gewinnspanne werde noch weiter steigen, denn "das Unternehmen plant, die Nutzungsdauer seiner Server von vier auf fünf Jahre und die seiner Netzwerkausrüstung von fünf auf sechs Jahre zu verlängern".
Laut Hansson ist es immer teuer, seine Computer von jemand anderem zu mieten. Leider werde das nie offen gesagt. Die Cloud werde als "Computing on Demand" verkauft, was futuristisch und cool klinge - ganz und gar nicht so alltäglich wie das "Mieten von Computern", auch wenn es meistens genau darum gehe.
Hansson ist aber nicht nur am Thema Kosten interessiert, sondern auch am Internet der Zukunft. Er findet es geradezu tragisch, dass dieses theoretisch dezentrale Weltwunder heute größtenteils auf Computern laufe, die einer Handvoll Großkonzernen gehörten. Wenn eine der primären AWS-Regionen ausfalle, sei anscheinend das halbe Internet ebenfalls offline. Das sei nicht das, was die DARPA seinerzeit entworfen habe.
Weg mit den Marketing-Sprüchen
Hansson hält es daher für seine Pflicht, mit seinen Beteiligungsunternehmen gegen den Strom zu schwimmen. "Wir haben ein Geschäftsmodell, das unglaublich gut damit vereinbar ist, Hardware zu besitzen und sie über viele Jahre abzuschreiben", argumentiert der Basecamp-Partner, "und Wachstumswege sind meist vorhersehbar." Doch in einem ersten Schritt sollten Unternehmen die aus seiner Sicht unsinnigen Sprüche des Cloud-Marketings - wie etwa den Vergleich mit Energieversorgern - in die Tonne treten. Bis vor kurzem habe noch jeder Betrieb seine eigenen Server betrieben. Die Tools, die die Cloud ermöglichten, seien auch für eigene Maschinen verfügbar.