Nach der Abspaltung von IBM zum 1. September hat der Managed Infrastructure Provider Kyndryl am 4. November den nächsten Schritt in die Unabhängigkeit unternommen: Er ist an der New Yorker Börse (NYSE) unter dem Ticker "KD" gelistet. Das Unternehmen geht mit 4.600 Kunden (einschließlich 75 der Fortune-100-Firmen) und mehr als einem Viertel der 350.000 IBM-Mitarbeiter (knapp 90.000) an den Start. Die übernommenen Aktivitäten sind laut IBM für 19 Milliarden Dollar Jahresumsatz gut. Der Auftragsbestand, also langfristige Wartungsverträge dieser Kunden, beläuft sich auf rund 62 Milliarden Dollar.
In Deutschland beschäftigt der IBM-Ableger mehr als 1.000 Mitarbeiter und zählt Dax-Unternehmen wie BMW, Daimler, Deutsche Bank oder Lufthansa sowie zahlreiche global operierende Mittelständler zu seinen Kunden.
"Bei der IBM war ich einfach langsamer"
Im COMPUTERWOCHE-Interview gab Markus Koerner, Präsident von Kyndryl Deutschland, einen Einblick in die Beweggründe für die Abspaltung und die Perspektiven der neuen Company.
Welche Vor-, aber auch Nachteile sehen Sie durch die Abspaltung von IBM für das Geschäft?
Markus Koerner: Die Grundidee, in einem integrierten globalen Konzern zu agieren, war immer, dass wir hohe Synergieeffekte zwischen den einzelnen Lines of Business realisieren, Skalierungseffekte heben und durch die Breite des Portfolios einem Kunden viel stärker End-to-End-Lösungen anbieten können - von Technologie bis zu Services. Wir haben aber in den letzten Jahren gerade durch die Digitalisierung und die starke Volatilität in den Märkten gesehen, dass das Modell "One size fits all" viel stärker auf einen stabilen Markt ausgerichtet ist
Also haben wir vor einem Jahr entschieden, wir machen das nicht durch einen Verkauf, sondern über eine Abspaltung, mit der Grundidee, zwei Marktführer zu etablieren. Wir haben uns dazu die Themen angeguckt, die uns behindert haben. Beispiel Preisdelegation: Ich hatte vorher als Geschäftsführer der IBM Deutschland für meinen Geschäftsbereich einen Delegation Letter mit 20 Punkten, in denen beschrieben wurde, was ich durfte und was nicht.
Ich konnte auch nur in zwei Prozent der Fälle über die Angebote selbst entscheiden, zu 98 Prozent musste ich sie irgendwo nach Europa, weltweit oder zwischendrin weitergeben. Jetzt habe ich nur noch vier Vorgaben zu beachten: den klassischen Contract Value, den Profit, Capex-Bedarf und Payback Period. Außerdem kann ich bei über 60 Prozent der Angebote selbst entscheiden, das heißt, die Geschwindigkeit hat deutlich zugenommen. Das ist ein deutlicher Vorteil.
Vermutlich mussten Sie als IBM-Tochter auch bevorzugt IBM-Produkte einsetzen?
Markus Koerner: Natürlich gab es im IBM-Verbund auch eine Konzernräson. Es wurde lieber gesehen, dass ich IBM-Software und -Hardware mit in meine Lösungen einbaue, als dass ich Fremdanbieter wie VMware oder NetApp einsetze. Allerdings haben die Digitalisierung und Covid die Volatilität stark beschleunigt. Wenn ich heute mitbekommen will, was im Markt passiert, reicht mir eine IBM nicht, da brauche ich ein Ökosystem mit ganz vielen Partnern. Das fängt mit den Hyperscalern an und geht über die Hard- und Softwarehersteller bis hin zur klassischen Application-Beratung. Genau dieses System hilft mir viel besser mitzubekommen, wohin der Markt geht und was die besten Lösungen sind. Die vielen Startups und die vielen neuen technologischen Lösungen kann ich jetzt viel besser in meine Lösungen einbauen als ich das bei IBM konnte. Dort war ich einfach langsamer.
Sie sehen aber sicher auch Nachteile als Kyndryl?
Markus Koerner: Ein Nachteil, der sich aber über die Zeit relativieren wird, ist das Branding. Ein IBM-Brand ist im B-to-B-Markt fest etabliert. Kyndryl dagegen ist erst mal nicht so bekannt. Wir haben zwar große Kunden, etwa die Deutsche Bank, Deutsche Bahn, Lufthansa, BMW oder Daimler, aber in der Breite wird es eine Zeit dauern, bis wir Kyndryl so etabliert haben wie eine IBM.
Das ist für mich aber nicht so schlimm, denn mit Kyndryl habe ich eine deutliche Differenzierung: IBM ist eine Technologie-Firma, eine Hightech-Firma, wir sind ein People Business, bei uns geht es um die Kundenzufriedenheit. Der Net Promoter Score ist für mich daher eines der wichtigsten Elemente, denn wir haben langfristige Verträge, die laufen 5 bis 10 Jahre.
...über die man dem Kunden im Gedächtnis bleiben muss.
Im klassischen Technologiegeschäft habe ich Sell & Install und dann komme ich zum nächsten Lifecycle wieder - um es etwas plakativ auszudrücken. Wir hingegen sind Teil der Wertschöpfungskette unserer Kunden. Wenn wir nicht funktionieren, und wir die Wertschöpfungskette nicht optimal bedienen und die Schnittstellen, dann funktioniert extrem wenig. Dieser Teil der kritischen Infrastruktur und Teil der Wertschöpfungskette unserer Kunden zu sein, ist ein ganz wichtiges Element und von daher macht mir das Branding weniger Sorgen.
Ich bin kein B-to-C, wenn ich zwei, drei große Transaktionen im Jahr habe, dann reicht mir das zum Wachstum. Eine davon haben wir kürzlich zusammen mit NetApp und BMW abgeschlossen - eine Leading-Edge-Lösung rund um Storage. Außerdem habe ich einen Backlog, der trägt mich die nächsten fünf, sechs Jahre, ohne dass ich etwas verkaufen muss und alle meine Mitarbeiter wären ausgelastet.
Unter dem Strich sehen Sie die Abspaltung also eher positiv?
Markus Koerner: Branding ist ein Thema, aber in Summe bedauere ich nicht, unabhängig zu sein, die Vorteile überwiegen deutlich den Branding-Nachteil. Auch das breitere Ökosystem: Ich kann mit einer VMware, einer Lenovo oder Dell zusammenarbeiten und für Kunden Lösungen bauen, die extrem gut passen - vorher war ich stark an den blauen IBM-Stack gebunden. Das bin ich jetzt nicht mehr, denn ich bin ja kein Hersteller. Ich kann jetzt auch mit den Hyperscalern zusammenarbeiten, aktuell diskutieren wir mit Microsoft, wie wir dabei helfen können, deren Kunden stärker in die Azure Cloud zu bringen, weil wir viele Migrationsprojekte in die Cloud haben.
Bedeutet das gegebenenfalls auch den Umzug aus der IBM Cloud?
Markus Koerner: Es kommt auf die Situation an. Wenn die IBM-Cloud nicht passt, werden wir uns das sehr wohl überlegen. Wenn die IBM-Cloud passt, und sie zeichnet sich durch eine sehr hohe Stabilität und eine sehr hohe Resilienz und Verfügbarkeit aus, dann eher weniger. Aber Fakt ist: Ich habe heute schon viele Kunden, die in der AWS-Cloud, Microsoft Azure oder der Google-Cloud sind. Jede Cloud agiert anders, hat andere Stärken und Schwächen, da braucht man eine passende Lösung.
Aber wir migrieren heute schon bei Hard- und Software von Nicht-IBM auf IBM und umgekehrt - je nachdem, was das Beste für den Kunden ist und wie wir am flexibelsten und stabilsten produzieren können. Das eröffnet uns ein ganzes Universum an Lösungsmöglichkeiten.
"Sind die Kunden zufrieden, kommt das Wachstum von alleine"
Wieviel Wachstum steckt in dem Geschäft, bzw. wie soll künftig Wachstum erzielt werden?
Markus Koerner: Wachstum ist für mich ein Nebeneffekt des Net Promoter Score. Wenn die Kunden zufrieden sind, dann kommt das Wachstum von alleine. Für die großen Kunden sind dabei Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit extrem wichtig, um sie zufrieden zu stellen. Das Wachstum kommt auch durch das Ökosystem. Nehmen wir NetApp, mit denen wir vor drei Wochen den BMW-Deal gewonnen haben: Gemeinsam gehen wir jetzt systematisch die Kunden an, um diese Best-of-Breed-Lösung zu replizieren. Wir machen auch viel mit VMware. Hier gab es früher Restriktionen, weil die Company ein Konkurrent der IBM-Tochter Red Hat war. Im Markt jedoch ist VMware deutlich stärker verbreitet als Red Hat. Wenn ich also mit VMware länger zusammenarbeite, erschließe ich mir einen viel größeren Kundenkreis.
Insgesamt versprechen wir uns von dem erweiterten Ökosystem 175 Milliarden Dollar mehr Marktpotenzial. Das sieht man auch bereits in Deutschland: Wir haben kürzlich bei der Deutschen Bank eine große Transaktion mit anderen Partnern gewonnen. Und man darf nicht vergessen: Hier in Deutschland steigerten wir in jedem der letzten vier Quartale unseren Umsatz gegenüber dem Vorquartal und das wird sich fortsetzen. Wir haben eine Aufbruchstimmung.
Sehen die Mitarbeiter das auch so?
Markus Koerner: Wir hatten uns natürlich Sorgen gemacht, ob wir zum Betriebsübergang am 1.9. alle Mitarbeiter mitnehmen können, weil diese sind unser wichtigstes Kapital. Tatsächlich gab es ein paar Widerspüche gegen diesen Betriebsübergang. Aber die lagen im niedrigen zweistelligen Bereich. Das waren Kollegen, die bald in Pension gehen und lieber ihre Betriebsrente von der IBM bekommen wollen als von Kyndryl. Aber die Zahl der Mitarbeiter, die wir auch gerne mitgenommen hätten, die aber widersprachen, lag deutlich unter 10.
In einem Bericht der Wirtschaftswoche stand, dass Stand 1. September nur rund 1.300 Mitarbeiter zu Kyndryl wechselten, statt der geplanten 2.500.
Markus Koerner: Ich nehme an, hier sind Zahlen verwechselt worden. Ich verantwortete ja früher auch den Geschäftsbereich TS (Technical Support). Es war natürlich nicht beabsichtigt, dass dieser mit zu Kyndryl geht, weil die Wartung der IBM-Hardware-Systeme muss ja beim Hersteller bleiben. Also von daher: Die Zahlen waren nicht korrekt, wir sind genau mit der Menge von Leuten angekommen, wie wir es geplant hatten.
Haben Sie konkretere Zahlen?
Markus Koerner: Wir haben im Moment über 1.000 Mitarbeiter. Dazu zählen über hundert Mitarbeiter, die wir seit Mai eingestellt haben. Das heißt, wir sind trotz des War for Talents attraktiv und das sehen auch unsere Mitarbeiter. Bis Jahresende will ich weitere 50 Mitarbeiter einstellen, im nächsten Jahr geht es dann weiter, weil wir uns im Moment - zumindest hier in Deutschland - auf Wachstumskurs befinden.
Es gibt zudem noch über 3.000 Mitarbeiter in Offshore-Centern, vor allen in Osteuropa, die nur für Kyndryl Deutschland arbeiten. Seit zwei Jahren haben wir in den Centern dedizierte Teams, die direkt nach Deutschland berichten und letztendlich nur für deutsche Kunden arbeiten. Dies soll sicherstellen, dass wir auch bei diesen Mitarbeitern eine hohe Integration und ein hohes Verständnis für eine Kundensituation haben. Diese Umstellung hat uns extrem bei der Qualität geholfen.
Als Grund für die Abspaltung führte IBM an, dass man sich auf zukunftsträchtige Themen wie Cloud und KI fokussieren will.Wieviel Innovation steckt denn in dem Managed Service Business?
Markus Koerner: Extrem viel, wenn Sie die Aktionen, die wir jetzt gerade fahren, betrachten. Wir sammeln von allen Systemen, die wir weltweit betreiben, Log Files, lassen sie durch Künstliche Intelligenz - in diesem Fall Watson - analysieren und speisen dazu noch Herstellerdaten von Hard- und Software und von Systemherstellern ein und machen dann Predictive Analytics. Weil wir bei über 4000 Kunden ja sehr viele Daten haben, wissen wir genau, wo Anomalien sind, wo es beispielsweise Anzeichen für einen Systemausfall gibt oder dass ein Netzwerk zu überlasten droht. Oder wir erkennen plötzliche Veränderungen in einem Netzwerk, die darauf schließen lassen, dass jemand einzudringen versucht.
Ein anderes Thema ist Zero Touch: Nach wie vor ist der Mensch die größte Fehlerquelle, weshalb Automatisierung - wir nutzen hier Red Hat Ensible - für uns ein ganz wichtiges Thema darstellt. Wir automatisieren dort, wo wir können, standardisieren damit und stellen dadurch einen extrem sicheren und stabilen Betrieb zur Verfügung. Das heißt, Innovation ist bei uns ein ganz wichtiger Bestandteil des Geschäfts, ohne Innovation wären wir gar nicht lebensfähig, weil wir dann gar nicht in dieser Skalierung arbeiten könnten.
Was ist Ihr Alleinstellungsmerkmal gegenüber der Konkurrenz?
Markus Koerner: Erstens: Kaum jemand unserer Konkurrenten hat eine so hohe Präsenz in allen Märkten der Erde. Das ist ein elementarer, aber wichtiger Wettbewerbsvorteil, denn häufig ist die IT die größte Barriere, ins Ausland zu gehen:Wie finde ich einen IT-Provider, der mir hilft, die IT in der gleichen Qualität überall nach gleichen Standards zu implementieren und auch zu betreiben? Das stellen wir sicher. Wir sind in über 63 Ländern aktiv und ich begleite meine Kunden und die größten Verträge, die wir haben, auch dorthin, um sicherzustellen, dass sie eine einheitliche IT-Plattform und keinen Wildwuchs haben. Gerade für uns in Deutschland, wo wir Exportweltmeister sind, ist das ein ganz wichtiges Kriterium.
Das zweite Alleinstellungsmerkmal ist die große Kunden- und Umsatz-Basis, wir sind mit weltweit 19 Milliarden Dollar Umsatz der führende Player. Die nächstgrößeren Wettbewerber kommen nur auf einen Umsatz von 9 Milliarden Dollar oder weniger.Am Ende geht es beim Infrastrukturgeschäft um Skaleneffekte: Wie schaffe ich es, die Infrastruktur und die Teams, die für die Kunden arbeiten, besser auszulasten, teils auch durch Standardisierung? Hier kommt auch die bereits erwähnte Technologie zum Tragen: Je mehr Kunden ich habe, desto genauer kann ich mit Predictive Analytics Störungen vorhersagen.
"Wir sind ein Startup mit 10.000 Jahren Erfahrung"
Und am Ende: It's people business - das heißt Vertrauen zählt. Wir sind ein Startup mit 10.000 Jahren Erfahrung in Deutschland, alle meine Mitarbeiter haben im Schnitt 10 Jahre Erfahrung auf dem Buckel. Die Unterschrift unter einem Vertrag ist ja ein Vertrauensbeweis des Kunden uns gegenüber, und wir müssen in den nächsten fünf bis zehn Betriebsjahren beweisen, dass das Vertrauen gerechtfertigt war.Auf dem deutschen Markt sind wir als IBM und nun Kyndryl über 50 Jahre aktiv und unter den Kunden befinden sich viele Dax-Unternehmen, aber auch bekannte Mittelständler wie Braun Melsungen, Apleona oder Osram. Und dann haben wir auch internationale Player wie BP oder Vodafone. Diese Referenzen und das positive Votum unserer Kunden stellen einen extrem wichtigen Vorteil dar.