Wie viele andere global agierende Unternehmen betrieb auch der deutsche Logistikdienstleister DHL für nahezu jedes Land, indem er tätig ist, eine eigene Karriere-Webseite. Insgesamt entstanden so knapp 200 Webpräsenzen, die lediglich zum Teil mit Bewerber-Tracking-Systemen integriert waren und vor allem dazu genutzt wurden, standardisierte Bewerbungsformulare zu übermitteln. Das resultierte für den Konzern vor allem in zwei Dingen: einer inkonsistenten Arbeitgebermarke und einer mangelnden Anziehungskraft auf Bewerber mit besonders benötigten Skillsets. Von den nicht wettbewerbsfähigen Reaktionszeiten auf Bewerbungen ganz zu schweigen.
Um dieses Problem zu lösen, entschloss sich DHL dazu, mit Hilfe von generativer künstlicher Intelligenz (Generative AI; GenAI) eine einheitliche Karriereplattform für alle Länder aufzusetzen. Dazu schloss der Konzern eine Partnerschaft mit dem im US-Bundesstaat Philadelphia ansässigen HR-Startup Phenom, das eine KI- und Automatisierungsplattform auf SaaS-Basis anbietet. Auf Seiten von DHL zeichnet Meredith Wellard, Vice President Group Learning, Talent and HR Platforms beim Konzern, für das KI-Projekt verantwortlich. Die Personalchefin war auf die Technologie (und den Startup-Partner) aufmerksam geworden, nachdem ihre Kollegen bei DHL Express mit der Phenom-Plattform erste Erfolge verzeichnen konnte. Wellards logische Schlussfolgerung: das Projekt auf das gesamte Unternehmen auszuweiten.
Heute verfügt DHL über eine einheitliche Karriere-Webseite - die dennoch weiterhin von den nationalen Standorten an die jeweiligen kulturellen Begebenheiten angepasst werden kann. Die Resultate dieser Umstellung können sich sehen lassen. Seit dem Start der neuen Karriereplattform:
ist die Zahl der Stellensuchenden um 25 Prozent (pro Stelle) gewachsen;
haben 800.000 Jobsuchende mithilfe KI-gestützter Funktionen innerhalb von 5 Millisekunden eine relevante Stelle gefunden;
wurden mehr als 200.000 Webseiten-Besucher in weniger als 14 Minuten nach Start der Session zu Bewerbern.
Die Kollegen unserer US-Schwester Computerworld.com hatten die Gelegenheit, mit DHL-Personalchefin Wellard ausführlich über das Generative-AI-Projekt des Logistikkonzerns zu sprechen. Im Interview - das Sie nachfolgend auszugsweise lesen - gibt sie Einblicke, wie das Projekt im Detail umgesetzt wurde und welche Schwierigkeiten es dabei zu bewältigen gab. Zudem hat die HR-Managerin auch noch einige Tipps für andere Unternehmen parat, die mit GenAI für die Zukunft planen.
"Unsere Arbeitgebermarke war etwas ad hoc"
Würden Sie uns zunächst ein wenig Kontext zu Ihrem Werdegang bei DHL geben?
Meredith Wellard: Ich bin seit 18 Jahren im Unternehmen und habe mich in den vergangenen fünf Jahren in unserem Corporate Center um diverse Themen gekümmert, beispielsweise unsere Arbeitgebermarke, die Art und Weise, wie wir uns in den Märkten positionieren oder auch wie wir neue Mitarbeiter gewinnen, binden und weiterentwickeln können. Natürlich habe ich mich auch mit dem Bereich Offboarding beschäftigt - obwohl das bei uns gar nicht so oft relevant wird.
Wann fiel der Startschuss für Ihr GenAI-Projekt und mit welchen Hürden hatten Sie diesbezüglich zu kämpfen?
Wellard: Wir haben im Laufe des Jahres 2019 mit dem Projekt losgelegt. Damals war die Technologie noch relativ neu für uns - wir haben also die ersten zwölf Monate vor allem damit verbracht, in Sachen künstliche Intelligenz und Machine Learning zu lernen.
Für jedes Team, das mit neuen Technologien experimentiert, ist es meiner Meinung nach wichtig, einen Lernprozess anzustoßen - bevor man von vermeintlich glanzvollen Dingen wie überschwänglichen Sales Pitches vereinnahmt wird. Parallel zu unseren Lernbemühungen haben wir auch noch unser Bewerbermanagementsystem auf Vordermann gebracht - quasi das Backend für unseren Recruiting-Prozess.
Speziell unsere Express-Abteilung bei DHL hat jede Menge Arbeit in die KI-Recherche gesteckt und so das Startup Phenom aufgetan. Die Kollegen wollten der Plattform des Unternehmens eine Chance geben und haben ausprobiert, ob das für sie funktioniert. Der resultierende Erfolg ließ schließlich den Gedanken aufkommen, dieses Projekt auf globaler Ebene auszurollen.
Im nächsten Schritt haben wir ein Pilotprojekt aufgesetzt, das wir 'Skydiver' genannt haben. Dazu hat uns der rasante Change und das nicht geringe Risiko des Unterfangens inspiriert. Es hat jedoch alles funktioniert, wir konnten die Kooperation mit Phenom besiegeln und 2021 innerhalb von nur sechs Monaten eine erste Version unserer Karriereseite auf die Beine stellen. Die unterstützte zunächst fünf Sprachen und konsolidierte rund 70 von 200 Einzel-Webseiten. Heute, drei Jahre später, sind sämtliche Seiten und rund 40 Sprachen integriert.
Können Sie uns erklären, warum Sie überhaupt 200 einzelne Karriere-Webseiten betrieben haben?
Wellard: Wie Sie wissen, beschäftigen wir rund 600.000 Mitarbeiter und sind in praktisch jedem Land der Welt vertreten - genauer gesagt in 220 Ländern. Dabei arbeiten wir mit einem dezentralen Modell. Die 'Macht' verbleibt also in den Händen der jeweiligen Länderniederlassungen. Schließlich müssen diese sicherstellen, für die lokalen Märkte relevant zu sein, das ist in der Dienstleistungsbranche extrem wichtig.
Unser Leitsatz lautet seit jeher: 'So global wie nötig, so lokal wie möglich'. Allerdings haben wir ersteres ein bisschen vernachlässigt, als wir jedem Land das Go für eine eigene Karriereseite gegeben haben. Als wir dann anfingen, uns mit der KI-Technologie und entsprechenden Partnerschaften zu beschäftigen, wurde uns bewusst, dass jede Menge Arbeit auf uns zukommt, um die Recruiting-Web-Landschaft zu harmonisieren und alle Karriereseiten zusammenzuführen. Schließlich wurden einige dieser Präsenzen auch mit viel Liebe und Sorgfalt auf lokaler Ebene aufgebaut und gepflegt. Aber die Klickraten waren unterirdisch, weil sie in der Google-Suche auf Ergebnisseite 17 auftauchten.
Deshalb war es uns aber auch sehr wichtig, dafür zu sorgen, dass die lokalen Niederlassungen trotz der Vereinheitlichung weiterhin die Möglichkeit haben, ihre Webinhalte zu lokalisieren. Dabei geht es auch um mehr als nur Sprache, sondern auch darum, wie die visuellen Elemente und die zur Verfügung stehenden Jobs präsentiert werden und welche Interaktionsmöglichkeiten die Benutzer haben. Um es etwas konkreter zu machen: Wir haben lange darüber geforscht, welche Erfahrung die Nutzer in den einzelnen Ländern von einer Karriereseite erwarten. Nehmen Sie Dänemark und Japan: Diese beiden Länder sind nicht nur kulturell höchst unterschiedlich - auch die Erwartung an die visuelle Darstellung der Inhalte unterscheidet sich stark.
Wir mussten also all diese kulturellen Präferenzen berücksichtigen und gleichzeitig in unseren Business Units darüber aufklären, dass es für HR-Profis nicht selbstverständlich ist, SEO zu beherrschen oder zu wissen, worauf es bei Bildmaterial und User Experience ankommt. Einige Personaler sind möglicherweise fit in diesen Bereichen, aber eben bei weitem nicht alle.
Gibt es weitere Problemstellungen, mit denen Sie konfrontiert waren?
Wellard: Das größte Problem war definitiv unsere Sichtbarkeit, die unter den unzusammenhängenden Webseiten litt. Das zweite große Problem hing mit unseren Marken zusammen. Wir haben eine wirklich starke Consumer-Marke - jeder kennt DHL und die typischen Farben Rot und Gelb. Das ist einprägsam und die Marke bedeutet sowohl unserer Belegschaft als auch unseren Kunden und Partnern viel. Verglichen damit war unsere Arbeitgebermarke leider etwas ad hoc: Verschiedene Leute kreierten Dinge, die sie für gut und repräsentativ hielten, aber es gab keine Standardisierung. So konnte das Employer Branding in Deutschland völlig anders aussehen als beispielsweise in Südamerika. Es hat einfach nicht funktioniert.
Wir mussten unsere Marke also mit dem Ziel neu ausrichten, eine bessere Sichtbarkeit zu erlangen. Wir sind ein großartiges Unternehmen, aber wie soll man gewährleisten, dass diese Botschaft bei Bewerbern ankommt, wenn man dem Markt keine kohärente Story bieten kann? Davon abgesehen wollten wir mit dem Projekt auch dem Missbrauch unserer Marke für betrügerische Zwecke Einhalt gebieten. Bei derart vielen eigenständigen Karriere-Webseiten steigt das Potenzial für Missbrauch. Es war also auch ein Compliance-Thema.
Ein weiterer Punkt, den wir angehen mussten, war es schließlich, unser Bewerberpublikum zusammenzubringen. Die Motivation dahinter: Wenn wir einen Supply-Chain-Spezialisten rekrutieren, es aber noch drei andere starke Bewerber gab, wollen wir diese nicht wieder in den Arbeitsmarkt 'entlassen', sondern sie für andere, offene Stellen im Unternehmen begeistern - besonders in Zeiten ausgeprägten Fachkräftemangels.