RPA

Wie Software-Roboter die digitale Transformation ausbremsen

02.07.2019
Von   IDG ExpertenNetzwerk
Als CEO von Camunda, einem Anbieter von Software zur Prozessautomatisierung, ist Jakob Freund verantwortlich für die Vision und Strategie des Unternehmens. Neben einem MSc in Informatik ist er Co-Autor des Buches „Real-Life BPMN“ und ein gefragter Referent auf Technologie- und Branchenveranstaltungen.
Software-Roboter springen in immer mehr Unternehmen ein, um wiederkehrende Aufgaben zu erledigen, die sich wegen fehlender Schnittstellen (API) anders nur schwer automatisieren lassen. Doch was kurzfristig Schmerzen lindert, kann langfristig gefährlich sein.

54 Prozent der Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz wollen bis 2020 zehn oder mehr Abläufe von Software-Robotern erledigen lassen. Sechs Jahre später sollen bereits mehr als die Hälfte aller Back-Office-Arbeiten durch Robotic Process Automation (RPA) wegfallen. Das prognostizieren ISG Research und A.T. Kearney in zwei unabhängigen Studien. Weil solche Aufgaben häufig immer die gleichen sind und einfachen Regeln folgen, klingt das plausibel. Zudem kostet RPA nicht viel und lässt sich schnell einführen.

Was RPA leisten kann

Diese Vorteile veranlassen Unternehmen dazu, RPA auch dafür einzusetzen, große Legacy-Systeme zu bedienen und die bislang damit beschäftigten Mitarbeiter mit anderen Aufgaben zu betrauen. Das gilt besonders für Anwendungen, die nur über ein grafisches User Interface (GUI) verfügen, nicht aber über eine Schnittstelle, um sie direkt anzusteuern. Auf viele ältere CRM- oder ERP-Systeme trifft das zu. Sie sind zu teuer, um sie sofort zu ersetzen. So ein Projekt verschlingt zudem mehrere Monate Arbeit, bevor das neue System zuverlässig läuft. Ein Software-Roboter, der die vormals manuellen Eingaben übernimmt, zahlt sich deshalb sehr schnell aus.

Eine BPMN-Workflow-Engine steuert einen Vorgang mit RPA-Tasks.
Eine BPMN-Workflow-Engine steuert einen Vorgang mit RPA-Tasks.
Foto: Camunda

RPA-Flows erlauben darüber hinaus, Software ohne API in einen Workflow einzubinden und von einer Workflow-Engine steuern zu lassen. Das Beispiel in der oben stehenden Abbildung zeigt, wie ein Software-Roboter Daten in ein CRM-System einträgt. Passiert länger als eine Stunde nichts, schaltet die Workflow-Engine einen Sachbearbeiter ein, der den Vorgang prüft. Ansonsten vervollständigt die Workflow-Engine die Kundendaten über ein weiteres System, das über eine API eingebunden ist. Dann trägt Kollege Roboter diese Daten ins ERP-System sein. Liegt der Bestellwert über der Schwelle von 100.000 Euro, übergibt die Workflow-Engine erneut an einen Sachbearbeiter, der den Vorgang endgültig freigibt oder ablehnt.

Dieses Vorgehen erlaubt, auch Software ohne API in einen digital automatisierten Prozess zu integrieren. Dadurch entweicht der Druck, schnell und mit hohem Kapitaleinsatz zu handeln, um Altsysteme sofort abzuschalten.

Drei große RPA-Risiken

Die Vorteile von RPA liegen also auf der Hand, doch es drohen auch Gefahren. Die entstehen etwa dann, wenn sich Chefs verleiten lassen, immer mehr Software-Roboter auf veraltete Systeme zu setzen, um Kosten für neue IT zu umgehen. Eine aktuelle Umfrage von Camunda zeigt, dass viele Banken auf den ersten Blick so zu verfahren scheinen. 83 Prozent der Institute nutzen RPA, um lange bestehende IT-Systeme weiter betreiben zu können. Fast die Hälfte stimmt dieser Aussage voll oder voll und ganz zu. Immerhin sagen aber 78 Prozent, sie nutzen RPA, um die nicht mehr zeitgemäßen Systeme nach und nach abschalten zu können.

Drei Gründe sprechen dafür, dass sich die Banken damit auf dem richtigen Weg befinden. Erstens ist RPA eine zerbrechliche Angelegenheit. Sobald sich an der Oberfläche (GUI) auch nur ein kleines Detail ändert, muss der Software-Roboter neu programmiert werden. Je mehr über RPA-Lösungen auf ein Altsystem zugegriffen wird, desto größer ist dieses Risiko und desto mehr Aufwand kann das nach sich ziehen. Wenn die Software-Roboter plötzlich ihren Dienst quittieren, muss die IT Zeit aufwenden, das Problem zu finden und zu lösen.

Zweitens droht sich die Schatten-IT in den Fachabteilungen auszuweiten, sofern RPA dort unkontrolliert eingesetzt wird. Und diese Tendenz besteht: 81 Prozent der Banken geben an, dass sie freier darin sein wollen, RPA in den Fachbereichen einzusetzen. Hintergrund ist, dass die Manager mehrheitlich glauben, RPA sei noch nicht ausgereizt, es ließe sich noch viel mehr damit machen. Damit könnte sich ein Problem der 90er Jahre wiederholen, als Fachbereiche mit auf eigene Faust eingesetzten Excel-Workarounds ganze Gesamtsysteme aushebelten.

So nutzen Banken Softwareroboter. Die Grafik zeigt, dass RPA vor allem als Brückentechnologie eingesetzt wird.
So nutzen Banken Softwareroboter. Die Grafik zeigt, dass RPA vor allem als Brückentechnologie eingesetzt wird.
Foto: Camunda

IT-Abteilungen wären dann damit beschäftigt, Software-Roboter zu warten und zu reparieren, die sie nicht selbst entwickelt und eingeführt haben. Heute wissen schon 61 Prozent der befragten Führungskräfte und Projektleiter gar nicht mehr, wie viele Software-Roboter überhaupt im Einsatz sind.

Drittens droht der positive Effekt zu verpuffen, wonach RPA die Arbeit neu strukturiert und Mitarbeitern mehr Kontakt zu Kollegen, Geschäftspartnern und vor allem Kunden verschafft. Dieser Spielraum geht in der Praxis schnell wieder verloren, weil RPA zum ressourcenfressenden Selbstzweck wird. Plötzlich gründen sich RPA-Arbeitsgruppen, um Know-how aufzubauen, Erfahrungen auszutauschen und weitere RPA-Projekte aufzusetzen. Die Fachkollegen beschäftigen sich mit Softwareentwicklung - von Regressionstests über Deployments bis hin zum Bugfixing.

Mitarbeiter einbinden

RPA wirft zahlreiche offene Fragen in Banken auf. Vor allem fehlt es an qualifiziertem Personal.
RPA wirft zahlreiche offene Fragen in Banken auf. Vor allem fehlt es an qualifiziertem Personal.
Foto: Camunda

Ein weiteres Risiko besteht darin, dass RPA nichts zur Verbesserung der bestehenden IT-Infrastruktur beiträgt. Weil die alten Systeme weiter betrieben werden, bleiben die mit RPA automatisierten Vorgänge abhängig von der häufig mangelnden Performance veralteter Komponenten. Vor diesem Hintergrund kann sich RPA zu einem Fliegenfänger entwickeln, an dem frische Ideen hängen bleiben.

Das Beratungshaus Etventure hat in einer Studie offengelegt, dass viele Unternehmen bei der Digitalisierung nicht vorankommen, weil sich die Belegschaft dagegen wehrt. Obwohl jeder dritte Befragte die digitale Infrastruktur als bestenfalls ausreichend oder sogar mangelhaft beschreibt, bleibt die digitale Transformation in den Kinderschuhen stecken. 58 Prozent machen dafür Mitarbeiter verantwortlich, die ihre gewohnten Strukturen verteidigen - und dazu gehören auch die langjährig genutzten IT-Systeme.

Mit RPA gehen Unternehmen scheinbar einen großen Schritt in Richtung digitaler Transformation, weil plötzlich immer mehr Dinge automatisch ablaufen. Doch tatsächlich bleiben die überholten Systeme weiterhin im Einsatz und treiben so die technischen Schulden in die Höhe, anstatt sie abzubauen.

Software-Roboter einzuführen, sollte allein von der IT-Abteilung gesteuert werden und einem klaren Plan folgen. Dafür empfiehlt sich eine RPA-Policy, die regelt, zu welchem Zweck ein Software-Roboter programmiert wird. Dabei spielt die Frage, wie lange bestimmte Systeme noch verwendet werden sollen, eine Schlüsselrolle.

Wenn beispielsweise das CRM-System in drei Jahren abgeschaltet werden soll, lässt sich die Einsatzdauer eines Software-Roboters ziemlich genau voraussagen - und sehr leicht dem bis dahin eingesparten Aufwand gegenüberstellen, den eine weiterhin manuelle Bearbeitung mit sich brächte. Die Unternehmen dürfen dabei aber nicht unterschätzen, wie wichtig es ist, mit der Belegschaft über solche Vorhaben zu sprechen. Alle Mitarbeiter möchten wissen, was ihre Aufgaben im digitalisierten Unternehmen sein werden.