Bosch Halbleiterwerk Reutlingen

Wie sich 5G auf die Produktion auswirkt

12.08.2020
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Welche Auswirkungen hat der neue Mobilfunkstandard 5G auf die Produktion - etwa durch elektromagnetische Wellen? Gemeinsam mit Ericsson will Bosch es in seinem Reutlinger Werk herausfinden.
Um flexiblere Fertigungskonzepte zu realisieren, setzt Bosch bei der Fabrik der Zukunft auf 5G.
Um flexiblere Fertigungskonzepte zu realisieren, setzt Bosch bei der Fabrik der Zukunft auf 5G.
Foto: Hill

Egal, ob Siemens im Nürnberger Automotive Showroom und Testcenter, der Maschinenbauer Trumpf oder Mercedes Benz in der Sindelfinger Factory 56, immer mehr deutsche Unternehmen testen mittlerweile konkrete 5G-Anwendungen für die Smart Factory von morgen. Mit von der Partie ist auch die Stuttgarter Bosch Gruppe. So setzen die Schwaben etwa bei ihrer Vision der Fabrik der Zukunft auf 5G, um neue und flexiblere Fertigungskonzepte zu realisieren. "5G ist ein Standard der Superlative", zeigt sich Andreas Müller, Leiter des Bereichs "Communication und Network Technology" innerhalb der zentralen Konzernforschung bei Bosch und Vorsitzender der "5G Alliance for Connected Industries and Automation" (5G-ACIA), überzeugt.

5G als Booster für Industrie 4.0

Für viele gilt 5G deshalb mittlerweile als Schlüsselfaktor für die Digitalisierung der Produktion, wenn technische Assistenzsysteme Einzug halten, Sensoren eine Vielzahl von Daten senden und der Vernetzungsgrad zwischen Menschen, Maschinen sowie Anlagen weiter steigt. "Der neue Mobilfunkstandard sorgt für einen Schub bei Industrie 4.0", unterstreicht Michael Bolle, Bosch-Geschäftsführer und CDO/CTO. Doch bei aller Euphorie sollte nicht vergessen werden, dass die neue Mobilfunktechnik noch eine Vielzahl an offenen Fragen aufweist. Wie ist es etwa um die Verträglichkeit von 5G mit bestehenden Produktionsanlagen bestellt? Stören hier womöglich die elektromagnetischen Wellen?

Im Halbleiterwerk Reutlingen testet Bosch 5G auf seine Verträglichkeit mit der Halbleiterproduktion. Bis Herbst soll hier ein 5G-Testnetz aufgebaut werden.
Im Halbleiterwerk Reutlingen testet Bosch 5G auf seine Verträglichkeit mit der Halbleiterproduktion. Bis Herbst soll hier ein 5G-Testnetz aufgebaut werden.
Foto: Bosch

Genau dies will Bosch jetzt gemeinsam mit Ericsson in Form von Verträglichkeitstests in seinem Reutlinger Halbleiterwerk untersuchen. "Die Halbleiterfertigung ist äußerst komplex und sensitiv. Über 1000 Tests durchlaufen Wafer, ehe die mikroskopisch kleinen Elemente in unterschiedlichen Produkten zum Einsatz kommen, beispielsweise in Airbags, Smartphones oder E-Bikes. Elektromagnetische Wellen können bei der Fertigung Störquellen sein. Wir testen, wie sich 5G auf die Produktion auswirkt", erklärt Bosch-Forscher Müller. Für Bosch gehören Halbleiter zu den Schlüsseltechnologien, die das Unternehmen etwa für IoT oder seine zahlreichen Steuergeräte für den Automobilsektor benötigt.

Neben Verträglichkeitstest sind ferner Kanalmessungen geplant. Sie sollen Erkenntnisse liefern, wie sich eine optimale Netzabdeckung gewährleisten lässt, also wo und wie engmaschig beispielsweise Sendeantennen in einem Werk platziert werden müssen. Auf Basis dieser Ergebnisse plant Bosch bis Herbst, ein 5G-Testnetz in Reutlingen zu errichten und erste 5G-Anwendungen umzusetzen. Dabei sollen die Ingenieure prüfen, wie sich Maschinen und Anlagen anstelle von WLAN oder einer Verkabelung effizienter und besser per 5G vernetzen lassen. Einsatzfelder hierfür sind etwa autonome Transportsysteme, die über eine lokale Cloud gesteuert werden oder der Fernzugriff auf Maschinen und die Kommunikation von industriellen Anlagen untereinander.

"Von Tag eins an 5G-ready"

Die Tests in Reutlingen finden im Rahmen des mit über 10 Millionen Euros dotierten EU-Forschungsprojekts 5G-SMART statt. Ziel des Projektes, das von Ericsson und ABB koordiniert wird, ist es, das Potenzial des neuen Kommunikationsstandards in realen Produktionsumgebungen zu erproben und zu bewerten. Über Reutlingen hinaus werden dazu unter anderem am Ericsson-Standort im schwedischen Kista sowie auf dem 5G-Industry Campus Europe des Fraunhofer IPT in Aachen 5G-Anwendungen für die Fertigung getestet.

Bosch selbst will die in Reutlingen gewonnenen Erkenntnisse für die künftige Planung von 5G-Netzen nutzen - etwa im neuen Halbleiterwerk Dresden, nach Reutlingen die zweite Waferfab in Deutschland. "Wir bauen in Dresden die weltweit erste 5G-fähige Halbleiterfabrik von Bosch. Von Tag eins an wird das Werk 5G-ready sein", sagt Bolle. In die neue Waferfab investiert das Unternehmen nach eigenen Angaben rund eine Milliarde Euro - dies sei die größte Einzelinvestition der Firmengeschichte. Ende 2021 soll in Dresden die Produktion anlaufen. Dabei betrachte Bosch die Mikroelektronik als Wegbereiter für Industrie 4.0 - und zwar auf unterschiedlichen Ebenen. Zum einen sei Industrie 4.0 ohne intelligente Sensorik undenkbar, zum anderen zähle die Halbleiterfertigung selbst zu den Vorreitern einer vernetzten Produktion. Sie sei nahezu vollautomatisiert.

In Dresden baut Bosch seine erste 5G-fähige Waferfab.
In Dresden baut Bosch seine erste 5G-fähige Waferfab.
Foto: Bosch

Deshalb spielen bei der Herstellung der Chips im künftigen Werk Künstliche Intelligenz und 5G eine besondere Rolle: Die hochautomatisierten Fertigungsanlagen analysieren ihre Prozessdaten selbst, um ihre Abläufe zu optimieren. Damit soll sich die Qualität der Chips bei sinkenden Fertigungskosten erhöhen. Zudem könnten die Planungs- und Prozessingenieure jederzeit auf diese Fertigungsdaten zugreifen, um die Entwicklung neuer Halbleiterprodukte zu beschleunigen oder Toleranzen in der Herstellung frühzeitig zu minimieren.