Process Mining ist mittlerweile in beinahe allen DAX-Unternehmen angekommen und auch viele Mittelständler setzen auf diese Analysemethodik, um mehr Transparenz in ihre Prozesse zu bekommen. Doch die Technik entwickelt sich derzeit rapide weiter. Der Ausbau geht in Richtung Advanced Process Mining mit zusätzlichen Funktionen und neuen Möglichkeiten.
Mit neuen Facetten wie eingebauten ETL-Tools, Predictive Process Analytics und Task Mining wird es nicht gerade leichter, das Potenzial von Process Mining für das eigene Unternehmen richtig einzuschätzen. Beim Start gilt es, auf die Fallstricke zu achten und die Projekte von Anfang an in die richtige Spur zu setzen. Das betrifft vor allem das Data Engineering und Fragen rund um die Datenhoheit liegen.
Process Mining - Technik oder Methode?
Process Mining ist - abgrenzend von klassischer Business Intelligence - eine Darstellung von Daten, die durch Prozessflussdiagramme gekennzeichnet ist. Die so rekonstruierten Prozessdaten werden in einem Process Mining Tool grafisch insbesondere über Prozessflussdiagramme dargestellt, die gefiltert und auf ihre Wegepunkte und Flusszeiten analysiert werden können.
Technisch gesehen, steckt hinter Process Mining im Kern eine Graphenanalyse, wobei Prozessaktivitäten, Knotenpunkte und die Verkettungen über Vorgänge die Kanten der Graphen darstellen, mit Parametern wie der Häufigkeit des Auftretens oder der verstrichenen Zeit zwischen den Aktivitäten. Im weiteren Sinne umfasst Process Mining jedoch darüber hinaus die ganze Analyse der Prozesse, auch auf der KPI-Ebene sowie der Muster-Erkennung, zum Beispiel von Betrugsmustern.
Dabei darf man nicht aus den Augen lassen, dass Process Mining keine spezifischen Prozessmodelle reinmodelliert, sondern diese lediglich aus den operativen IT-Systemen herausarbeitet. Wer beispielweise seinen Kanban-Prozess nicht in der technisch-validierten Prozessdarstellung wiederfindet, der verfügt tatsächlich nicht über die Umsetzung dieses Konzepts der Prozessorganisation.
Ein gängiges Feature vieler Tools ist deswegen der Abgleich der rekonstruierten Ist-Prozesse mit theoretischen Prozessmodellen (Soll-Prozesse). Auch kann Process Mining dazu eingesetzt werden, bestehende Prozesse zu analysieren und deren Worst- und Best-Practise via Analyse aller Prozessvarianten zu identifizieren. Daraus lässt bei Bedarf auch ein neuer Soll-Prozess entwickeln.
Bekannte Anbieter für derartige Tools sind unter anderen Celonis, Signavio, UiPath, PAF, MEHRWERK, Fluxicon und Lana Labs. Die Werkzeuge unterscheiden sich stark voneinander, im Hinblick auf Funktionsumfang, Cloud- und Enterprise-Fähigkeit. Process Mining ist ein Schlagwort, das sich auch etliche BI-Tool-Anbieter auf die Fahnen schreiben. Dabei ist Process Mining eine Analysemethodik, bei der es um die Rekonstruktion von Prozessen aus Log-Daten und anderen Datenspuren in IT-Systemen geht.
Auch wenn die Wortanlehnung offensichtlich ist - Process Mining hat kaum etwas mit Data Mining zu tun. Letzteres bildet eine Methodensammlung für mathematische Algorithmen des unüberwachten maschinellen Lernens, zum Beispiel DBSCAN, K-Means oder PCA. Interessant ist jedoch, dass die mathematischen Data-Mining-Methoden sowie Predictive Analytics inzwischen auch in Process Mining Einzug halten, dazu aber später mehr.
Gegenwärtig lässt sich Process Mining als ein Verfahren beschreiben, das mindestens einen Data Engineer bedingt, der Daten über SQL oder eine Programmiersprache wie Python in ein Protokoll zusammenführt. Es geht dabei vor allem um Data Engineering. Datenreihen werden als Prozessaktivitäten (Events) pro Zeitstempel (Timestamps) über identifizierte Vorgangsnummern (Case-IDs) miteinander verknüpft. Auf Grundlage dieser Vorarbeit können die Prozesse dann analysiert werden.
Die Tool-Anbieter für Process Mining lieferten ursprünglich lediglich die Spitze des Eisbergs. Auch wenn sie für bestimmte IT-Systeme und klassische Prozesse, vorwiegend im Bereich des Working Capital Managements für Standard-ERP-Lösungen, längst Schnittstellen und automatisierte Datenaufbereitung anbieten, sind die meisten Process-Mining-Projekte immer noch mit viel Arbeit auf der Rohdaten-Ebene verbunden.
Process Mining fällt unter Business Intelligence
Process Mining und Business Intelligence werden bis dato meist getrennt voneinander besprochen und angewendet. Business Intelligence (BI) behandelt insbesondere die strukturierte Bereitstellung von zumindest tagesaktuellen Reportings beziehungsweise Dashboards, die über die gegenwärtige Unternehmenssituation quantitative Auskunft geben. Business Intelligence funktioniert klassischerweise rückblickend oder kann in nahezu Echtzeit über die gegenwärtige Situation berichten, so wie es auch bei Process Mining der Fall ist. Process Mining bildet eine Teildisziplin der BI, die ihren Fokus nicht auf allgemeine oder finanzorientierte KPIs, sondern auf prozessspezifische KPIs setzt.
Einige Anbieter arbeiten bereits seit längerem daran, Process Mining mit Business Intelligence zu verbinden und beide Disziplinen integriert in einer Lösung anzubieten. Die äußere Erscheinung der Business Intelligence ist dabei gekennzeichnet von Dashboards, die über BI-Tools Informationen mit Tabellen, Balkendiagrammen und Histogrammen darstellen. Sie zeigen Daten in absoluten und relativen Werten sowie ihre Verteilungen.
Dem gegenüber stehen Anbieter von klassischen BI-Tools, wie etwa Qlik, MicroStrategy, Tableau und Microsoft. Teilweise gehen die Process-Mining-Anbieter hier enge Kooperationen ein.
PAF (Process Analytics Factory) setzt beispielsweise mit seinem Produkt "PAFnow" ganz auf den Microsoft-Stack und PowerBI, welches um ein PAFnow-Plugin ergänzt zu einem flexibel zu nutzenden Process Mining Tool wird. Dieser Plugin-Ansatz hat den Vorteil, dass der Anwender das weit verbreitete BI-Tool PowerBI, welches zudem über eine große User-Community und viele Schnittstellen verfügt, direkt auch für Process Mining einsetzen kann.
Mehrwerk geht einen ähnlichen Weg und bietet Process Mining als Erweiterung zu QlikSense an, ebenfalls ein verbreitetes BI-Tool des Software-Unternehmens QlikTech. Laut Mehrwerk legt diese Lösung den Schwerpunkt auf die Synergie von BI und Process Mining sowie auf die einfache Datenaufbereitung sowie Data Governance über Qlik.
Lana Labs setzt für die Integration auf offene Schnittstellen, um die nahtlose Einbindung in individuelle IT-Landschaften zu ermöglichen. Die Software erlaubt es, durch seine Schnittstellen Process-Mining-Ergebnisse in die im Unternehmen bestehenden BI-Dashboards (Qlik, PowerBI, Tableau, etc.) zu integrieren.
- Lars Schwabe (Associate Director bei Lufthansa Industry Solutions
„Die Erfolgsquote von Predictive-Analytics-Projekten ist gestiegen, da die Firmen endlich die notwendigen Vorarbeiten geleistet haben, beispielsweise die Schaffung von modernen Datenarchitekturen. Außerdem sind inzwischen sowohl das Personal fachkundiger und die Tools besser geworden." - Daniel Eiduzzis (Solution Architect Analytics bei Datavard)
„Technisch müssen sich die Unternehmen öffnen und sollten sich nicht sklavisch einem Hersteller verpflichten. Heute geht es vielmehr darum, in Abhängigkeit vom jeweiligen Use Case das ideale Instrument zu identifizieren, mit dem die Fragestellungen bestmöglich bedient werden. Daher kann ein Best-of-Breed Ansatz hier sinnvoll sein.“ - Jan Henrik Fischer (Bereichsleiter Business Intelligence & Big Data bei Seven Principles)
„Mit Methoden der Predictive Analytics und der parallel weiter steigenden Digitalisierung werden wir Prozesse besser verstehen. Dies wird ausnahmslos alle Bereiche eines Unternehmens betreffen. Das größte Potenzial liegt dabei sicherlich in der Optimierung der Kundenprozesse. Durch ein tieferes Verständnis für seine Bedürfnisse werden wir in der Lage sein, den Kunden effizienter und besser zu bedienen sowie seine Loyalität zu steigern.“ - Vladislav Malicevic (Vice President Development & Support bei Jedox)
„Viele Unternehmen experimentieren bereits seit längerem mit Predictive Analytics. Bislang mangelte es oft an konkreten Anwendungsfällen mit einem klaren Mehrwert, dem sogenannten Business Case. Aber die nächste Phase im Technologie-Lebenszyklus hat bereits begonnen, und Firmen führen nicht mehr nur rein innovationsgetriebene Experimente durch. Sie verknüpfen Predictive-Analytics- und KI-Projekte zunehmend mit einem bereits im Vorfeld klar definierten Mehrwert für bestimmte Fachbereiche oder Geschäftsprozesse, inklusive der erwarteten Ergebnisse und den möglichen Auswirkungen auf bisherige Prozesse.“
Zukünftig werden BI-Systeme auch um prädiktive Analysen ergänzt. Dazu gehören beispielsweise Forecasting-Modelle für Umsätze, Gewährleistungs-Inanspruchnahmen oder Einkaufsbedarfe. Auch Process Mining wird heute bereits um Methoden aus der Data Science ergänzt, um mit Predictive Analytics (Supervised Machine Learning) beispielsweise Durchlauf- beziehungsweise Wartezeiten vorherzusagen und mit Data Mining (Unsupervised Machine Learning) etwa Anomalien in Prozessketten zu erkennen, die für Prozessoptimierung oder auch für Betrugserkennung eine Rolle spielen können. Mittlerweile haben Celonis mit seinen Operational Apps sowie auch UiPath, Lana Labs, Mehrwerk und PAFnow punktuell erste Funktionen des maschinellen Lernens integriert.
Insgesamt ist dies erst der Anfang einer kontinuierlichen Weiterentwicklung. Zudem können auch erfahrene Data Scientists auf Grundlage des Event-Logs manuell ansetzen und eigene Ideen noch individueller verwirklichen.
Aber auch die anderen Tool-Anbieter arbeiten an der Integration von Machine Learning. Zum Beispiel ermöglicht Lana Labs über seine R-/Python-Integration den Nutzern, neben eigenen Machine-Learning-Funktionen, auf vielfältige KI-Algorithmen zuzugreifen und Process Mining um eigene Entwicklungen zu erweitern. Andere Provider ziehen hier nach und die Lösungen auf Basis von PowerBi und QlikSense profitieren ebenfalls von der R-/Python-Integration dieser BI-Software.