Die Marktwirtschaft verzahnt sich in den vergangenen 70 Jahren zunehmend mit unserer Gesellschaft. Während die Markt-Mechanismen ursprünglich für wirtschaftliche Abläufe vorgesehen waren, haben wir den freien Markt zum Mantra unserer Gesellschaft erklärt und ziehen in den letzten Jahrzehnten immer mehr Aspekte unseres Lebens in den Einfluss der Märkte. Zentrale Infrastrukturen wie die Bahn und Telekommunikation der nationalen Staaten sind genauso privatisiert worden wie die Wasser- und Energie-Versorgung in weiten Teilen der Welt. Unter dem Schlagwort der Privatisierung haben wir freie marktwirtschaftliche Prinzipien in immer mehr Bereichen eingeführt. Und unsere Staaten haben Gefallen daran gefunden, weil sie mit diesem Prinzip Wachstum dokumentieren können.
In der (bislang) letzten Stufe haben wir nun menschliche Hilfeleistungen wie die Pflege von Menschen den marktwirtschaftlichen Prinzipien unterworfen. Staaten können daher die Leistungen der Menschen in diesem Bereich nicht nur den Wachstumszahlen hinzurechnen, sondern erfreuen sich an den zusätzlichen Steuereinnahmen dieser jetzt der Wirtschaftsleistung zugeschlagenen menschlichen Arbeit.
Marktwirtschaft und Politik: Verflechtungen
Möglich wurde dieser Vorgang über Jahrzehnte nicht nur durch die Glorifizierung der freien Marktwirtschaft als Prinzip, sondern auch durch den Drehtüreffekt zwischen Politik und Wirtschaft. Politiker arbeiten nach einigen Jahren in Wirtschaftsunternehmen und Manager übernehmen als erfahrene Marktkenner Aufgaben in der Politik.
Zum Schutz der Demokratie gibt es die verfassungsrechtlich geregelte Gewaltenteilung, die uns vor einem überstarken Staat schützen soll. Aber an die Durchmischung von Politik mit den Prinzipien der Markwirtschaft hat weder in der amerikanischen Verfassung noch beim Entwurf unseres vorbildlichen deutschen Grundgesetzes jemand denken können. Platon allerdings hat schon vor über 2000 Jahren in seinem Demokratie-Entwurf strikt die Trennung von Macht und Volk gefordert. Politiker waren in seinem Idealdesign eine eigene Kaste.
Stern der Marktwirtschaft: Das Internet
Es gibt nur einen Bereich, der nicht erst in die marktwirtschaftliche Welt transformiert werden musste, weil er von Anfang an komplett in der Macht von Giganten stand: Das Internet mit Infrastruktur-Elementen wie Suchmaschinen, Werbenetzwerken und Betriebssystemen für PCs und mobile Endgeräte. Die Unternehmen "hinter dem Internet" sind in den letzten Jahren zu faktischen Monopolisten aufgestiegen und sie prägen mit dieser Wahrnehmung unser Bild der Digitalisierung. Dabei bedeutet Digitalisierung nicht automatisch Datenmonopole und Verzicht auf informationelle Selbstbestimmung. Die digitale Welt bietet eine Reihe neuer Möglichkeiten, die Auswirkungen auf unser Zusammenleben als Gesellschaft und unser Wirtschaftssystem haben. Und dafür müssen wir neue Regeln und Umgangsformen entwickeln:
Unendliche Vernetzung: Menschen und Märkte sind über den ganzen Erdball in Echtzeit verbunden
Grenzkosten von Null setzen marktwirtschaftliche Basiskonzepte außer Kraft
durch Plattformen entstehen Netzwerkeffekte zwischen Nutzern und Serviceanbietern
Habit Forming: Menschen passen ihre Gewohnheiten der perfekten digitalen Verhaltenskontrolle an
Vor gut 100 Jahren wurden mit dem Sherman Antitrust Act gegen Rockefeller und Carnegie zunächst in den USA, später auch in anderen Staaten, Monopolgesetze gegen zu starke marktwirtschaftliche Interessen und zur Einschränkung der Marktmacht Einzelner eingeführt und angewendet. Anstelle darüber zu streiten, wie man mehr als 100 Jahre alte Konzepte auf die faktischen Monopole von Silicon Valley-Unternehmen anwendet, könnte man heute einfach die Gesetze so anpassen, dass sie auch die Aspekte der digitalen Welt erfassen.