Kaum drehte die COVID-19-Pandemie unser Büroleben von rechts auf links, wurde dafür mit "New Normal" ein Begriff kreiert, um den Zustand von Home-Office, digitalen Meetings und remote Führung zu etikettieren. Das zeigt, wie wir unsere Welt (voreilig) mit neuen Begriffen traktieren und einen Ausnahmesituation gleich als einen neuen Realitätsstatus deklarieren. Das Ganze ohne sich die Zeit zu nehmen, akute Ausnahmezustände von mittelfristigen Entwicklungen zu differenzieren und sich profund mit dem Thema zu beschäftigen.
Ein Jahr später fällt uns das jetzt auf die Füße, weil sich das New Normal seit dem 1. Juli 2021 wieder auf altem rechtlichen Terrain bewegt. Denn seither ist die bundesweite Corona-Arbeitsschutzordnung zur Home-Office-Pflicht perdu. Jetzt geht es in Sachen Home-Office wieder um das Spiel der freien Kräfte. In ihm steckt Zündstoff. Während das Gros der Angestellten nicht mehr hinter den Status vor Corona zurück will, gibt es bei den Arbeitgebern kein einheitliches Bild.
Wie hybrid, bleibt offen
Aussagen aus den DAX-30-Unternehmen sprechen Bände: Hybrid wird die künftige Arbeitswelt natürlich sein, glauben wir der Telekom und ihren Aussagen gegenüber tagesschau.de: "Es gibt kein Zurück in die alte Welt. Die Zukunft unserer Arbeit ist hybrid. Wir wollen die Vorzüge des Büros und die des mobilen Arbeitens bestmöglich miteinander verbinden." Nur wie hybrid, ist offen. Für die Deutsche Bank beispielsweise bleibt das Büro die erste Option. Und der Chemiekonzern BASF schiebt die Frage, wie hybrid die neue Arbeitswelt werde, auf dezentrale Vereinbarungen: "Ob und wie mobil gearbeitet werden kann, besprechen Mitarbeiter und Führungskraft unter Berücksichtigung der betrieblichen Gegebenheiten."
Reichlich vage. Noch ist also nicht klar, ob hybrid in Großkonzernen zu einer Mogelpackung oder ernsthaften Option wird. Aus mittelständischen Unternehmen fehlen klare Aussagen. Doch ist anzunehmen, dass hier die Präsenz vor Ort dominierend bleibt, leben sie doch vom direkten Austausch zwischen den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und weniger von formalen Regeln. Ganz zu schweigen, dass ihre digitalen Infrastrukturen häufig das Arbeiten von zu Hause noch nicht abdecken, auch wenn sich durch Corona einiges getan hat.
Bei aller Diskussion um die neue Arbeitswelt, wird ein Begriff in der ganzen Diskussion um hybrides Arbeiten peinlichst vermieden, nämlich Kontrolle. In (vermeintlich) agilen Zeiten ist er schlicht verpönt. Gleichwohl schwingt er unterschwellig mit. Viele Arbeitgeber alter Prägung - in meinen Augen bilden sie die Mehrheit - trauen dem Home-Office-Frieden nicht: Arbeiten ihre Mitarbeiter wirklich acht Stunden oder machen sie zu viel dolce vita. Von wegen transformatorische Führung als neue Königsdisziplin für Manager - viele Führungskräfte zehren nach wie vor davon, ihre Untergebenen zu kontrollieren. Soll versus Ist, hinterlegt mit griffigen Kennzahlen. Nicht mehr zu überblicken, ob ihre Teams Gas geben, muss für Old-Style Manager ein Gräuel sein.
Hybrides Arbeiten braucht gute Führung
Allerdings funktionieren hybride Modelle nur dann gut, wenn die neue Art der Führung wirklich gelebt wird. Darauf verweist eine Studie der TU Wien (basierend auf 20 Interviews mit Unternehmen). Dort heißt es: Wenn hybrides Arbeiten zur Regel werde, sei "gute Führung der Schlüsselfaktor". Sie erzeuge Vertrauen trotz digitaler Distanz und orchestriere eine "Zusammenarbeitskultur".
Gerade für eine solche Kultur halten Unternehmen das Büro für wichtig: "Wir sind überzeugt, dass sich Innovationen, die Kreativität der Teams und ein Wir-Gefühl am stärksten vor Ort entfalten", vertritt die Allianz einen klaren Standpunkt. Das ist nachvollziehbar. Bei allem Hype um New Normal entstehen aus einzelnen Monaden keine gemeinsamen Welten, geschweige denn richtungsweisende Ideen. Genauso wenig lässt sich eine gemeinsame analoge Teamzeit kalendarisch festschreiben. Nach dem Motto, am Dienstag sind wir alle im Büro und machen einen auf Gemeinschaft. Das funktioniert nicht. Teamspirit und neue Ideen entstehen nicht verordnet, sondern spontan.
- Tipps zur virtuellen Mitarbeiterführung
Seit der Pandemie gehört virtuelle Mitarbeiterführung zu den Standartaufgaben für jeden Vorgesetzten. Wir haben die wichtigsten Learnings aus dieser Zeit zusammengefasst. - Unterschiedliche Arbeits- und Lebensumstände anerkennen
Zu den größten Herausforderungen zählen die unterschiedlichen Voraussetzungen, womit Teammitglieder bei der Heimarbeit konfrontiert sind. Nicht jeder hat ausreichenden Raum für ein separates Home-Office. Dazu kommen Ablenkungen wie Kinder, Haustiere oder bei Singles ein Gefühl der Isolation. All das hat Einfluss darauf, wie und zu welchen Zeiten Mitarbeiter ihre Aufgaben am besten erledigen können. Vorgesetzte, die offen Verständnis für individuelle Situationen zeigen, schaffen die Grundlage einer vertrauensvollen Zusammenarbeit. - Stress-Level steuern
Permanenter Stress im Home-Office ist keine gute Voraussetzung, um kontinuierlich gute Arbeit zu leisten. Wer als Führungskraft vermittelt, dass es okay ist, nicht immer perfekt zu funktionieren, nimmt Mitarbeitern etwas den Druck in der Gewöhnung an die neue Normalität. Vielen fällt es mit dieser Gewissheit leichter, Deadlines einzuhalten und den Erwartungen zu entsprechen. - Regelmäßigen Kontakt pflegen
Ein tägliches Gespräch mit Chefin oder Chef - ist das nicht zu viel der Kommunikation? Nein, denn insbesondere bei der digitalen Mitarbeiterführung ist die Regelmäßigkeit des Austauschs entscheidend. Nur so lässt sich einschätzen, ob alles wie besprochen läuft und sich alle im Team den Anforderungen gewachsen fühlen. Missverständnisse und Fehler passieren - ähnlich wie im Büro - vor allem, wenn zu wenig kommuniziert wird. - Neue Technologien nutzen
Nur mit Personen, zu denen man regelmäßigen Kontakt pflegt, können Beziehungen entstehen. Das funktioniert im Zeitalter des digitalen Austauschs über zahlreiche Kommunikationskanäle. Moderne Videokonferenz-Tools wie Zoom, Teams, Google Meet etc. ermöglichen eine Kommunikation von Angesicht zu Angesicht und machen sichtbar, wie es allen Teammitgliedern geht. - Kommunikationsregeln festlegen
Dezentral organisierte Teamarbeit funktioniert am effektivsten, wenn sich alle über die Grundregeln der Kommunikation einig sind. Vorgesetzte können für klare Verhältnisse sorgen, indem sie Häufigkeit, Zweck und Timing des Austauschs und die dafür priorisierten Kanäle festlegen. Videokonferenzen sind in der Regel die erste Wahl für die tägliche Gruppenbesprechung. Gerade größere Gesprächsrunden lassen sich durch simple Tricks so strukturieren, dass auch Meetings mit hoher Teilnehmerzahl geordnet und effektiv ablaufen. Wenn es um dringliche Angelegenheiten oder Nachfragen geht, sind andere Kanäle wie Instant Messaging der bessere Weg. Unified-Communications-Plattformen ermöglichen eine Vielzahl von Anwendungen und Kommunikationskanälen. - Erwartungen definieren
Oft werden beim Übergang von der klassischen Büroarbeit ins Home-Office Aufgaben innerhalb eines Teams neu verteilt oder kommen neue hinzu. Damit Mitarbeiter diese erfüllen können, muss klar sein, was genau von ihnen erwartet wird. Manchen mag es außerhalb der gewohnten Büroatmosphäre anfangs schwerfallen, Aufträge zu priorisieren. Gemeinsam kann geklärt werden, welche Aufgaben Priorität haben und zu schaffen ist. Einfach davon auszugehen, dass jeder weiß, was zu tun ist, ist kontraproduktiv. Besser ist, von Anfang an eine Feedback-Schleife zu vereinbaren, um Erwartungen anzupassen und in den bekannten Applikationen zu dokumentieren. - Ein gemeinsames Ziel verfolgen
Teams funktionieren vor allem dann, wenn alle Mitglieder eine gemeinsame Mission verfolgen. Das dabei entstehende Gemeinschaftsgefühl hilft auch, Unsicherheiten zu überwinden und mit ungewohnten Arbeitssituationen umzugehen. Wenn jeder weiß, was er zum gemeinsamen Erfolg beiträgt, ist das die beste Motivation, Höchstleistungen zu erbringen. Erfolge sollten außerdem gewürdigt werden. - Auf die Ergebnisse konzentrieren
Wie lassen sich Engagement und Selbstverantwortung fördern? Indem Führungskräfte sich auf die gewünschten Ergebnisse konzentrieren und Teammitgliedern den Freiraum lassen, selbst einzuteilen, wie sie zum Ziel kommen wollen. Voraussetzung dafür ist ausreichend Zeit und zuvor aufgebautes Vertrauen. Ist das der Fall, lässt sich auf diesem Weg nicht nur die Kreativität der Mitarbeiter fördern, sondern auch kräftezehrendes Mikromanagement vermeiden. Virtuelle Brainstorms lassen sich beispielsweise in Breakout-Räume aufteilen. Kleinere Teams können dadurch in separaten Sitzungen arbeiten und ihre Ideen sammeln, die anschließend in der größeren Runde präsentiert werden. - Strikte Kontrollmechanismen vermeiden
Regelmäßige Kommunikation und klare Zielvorgaben sind wichtig. Sie dürfen aber nicht dazu führen, dass Mitarbeiter das Gefühl bekommen, im Home-Office überwacht zu werden. Vorgesetzte, die mehrmals täglich penible Rückmeldungen zu erledigten Arbeitsschritten einfordern, signalisieren damit fehlendes Vertrauen. Sie riskieren zudem, dass Teams den Fokus verlieren. Beratung und Betreuung sind besser als strikte Kontrolle. - Neue Team-Mitglieder integrieren
Als neues Mitglied in ein dezentral arbeitendes Team zu kommen, kann zur Herausforderung werden, weil sich die Dynamik einer Gruppe anfangs schwerer erspüren lässt. Umso wichtiger ist es, Neulingen zu Beginn ihrer Tätigkeit das Gefühl zu geben, Teil der Gruppe zu sein. Unternehmen, die bereits über längere Erfahrung in dezentralem Arbeiten verfügen, haben dies zum festen Bestandteil ihres Onboardings gemacht. - Das Wir-Gefühl stärken
Selbst in gut funktionierenden Arbeitsumfeldern kann es gelegentlich zu Unsicherheiten, Unzufriedenheit oder Ängsten der Mitarbeiter kommen. Die Aufgabe von Führungskräften besteht darin, Teams davor zu schützen. Das gelingt am besten, wenn auch die sozialen Aspekte der gemeinsamen Arbeit berücksichtigt werden. Dafür braucht es keine verpflichtenden gemeinsamen Kaffeepausen, aber von Zeit zu Zeit die Gelegenheit für einen lockeren Austausch, der Mitarbeitern das Gefühl gibt, trotz der Distanz wahrgenommen zu werden. Virtuell lässt sich der Teamgeist auch fördern, wenn zur Abwechslung mal eine Happy Hour, ein virtuelles Quizzen oder ein gemeinsames Essen per Videochat organisiert wird.
Ist das Home-Office das Maß aller Dinge?
Und wie sieht es bei den Mitarbeiter aus, die 2020 binnen weniger Tage aus dem Nichts in eine neue Arbeitswelt katapultiert wurden? Ratsam wäre es auch für sie, tiefer darüber nachzudenken, ob das Home-Office wirklich das Maß aller Dinge für sie ist. Klar war es anfangs großartig, sich nicht bewegen zu müssen und alles bequem von zu Hause zu erledigen. Doch längst nicht für alle. Für Familien mit zwei berufstätigen Elternteilen, ist das Home-Office teils ein Horror. Wer erhält den ruhigen Arbeitsplatz, wer nimmt in der Küche Platz? Wer erledigt die Hausarbeit, wer kümmert sich um die Kinder? Hier haben sich viele private Dramen im Home-Office abgespielt. Vielleicht hat die räumliche Trennung zwischen Arbeit und Privatsphäre nach wie vor etwas Gutes. Sie sorgt für ein kostbares Gut, nämlich die Trennung von zwei Lebensbereichen. Im Home-Office vermengen sich Arbeit und Privatsphäre, was Menschen oft nicht guttut. Denn dadurch verschwinden Grenzen, die in der Vergangenheit Schutz geboten und Endpunkte gesetzt haben.
Egal, aus welcher Perspektive wir das Home-Office betrachten, steht es an, New Normal in einen anderen Zustand zu wandeln. Die Corona-Verordnung ist abgelaufen, die gesellschaftliche Lage normalisiert sind. Organisationen kommen nicht umhin, das Thema ernsthaft zu verhandeln und können sich nicht mehr hinter Arbeitsschutz- und Arbeitsstättenverordnungen verschanzen. Gefragt sind Akteure, die das Terrain neu sondieren und ausmessen: die Wünsche der Mitarbeiter nach mehr Home-Office mit denen des Unternehmens nach hoher Produktivität und gemeinsamer Kultur sowie nach Kosteneinsparungen für überflüssige Büroflächen.
Auf den Gesetzgeber zu hoffen, er möge es wie die Niederlande anno 2015 über ein Rahmenwerk richten, ist in Deutschland momentan keine Option. In dieser Legislaturperiode ist das Thema vom Tisch. Stattdessen könnten Betriebsvereinbarungen entstehen. Nur, wer treibt den Prozess? Betriebsräte gibt es nicht überall und wie steht es mit ihren eigenen Aktien in diesem Spiel? Sind sie nicht auch an einem Zurück zur analogen Welt im Sinne ihrer originären Interessen interessiert. Oder wird der HR-Bereich, der so oft unsichere und ambivalente Lagen mit bürokratischen Regelungen erschlägt, zum Anwalt des Themas und lotet beide Parteien aus?
Gar nicht so einfach. Doch gibt es keine klaren und verbindlichen Regeln, die gleichzeitig geschmeidig genug sind, um sie auf Spezifika zu adaptieren, laufen Unternehmen Gefahr, dass das Home-Office ein Privileg für Hochleistende und Unersetzliche wird. In diesem Sinne wäre es dann kein Allgemein-, sondern ein Luxusgut, das sich jeder hart erarbeiten muss. Gewährt von den unmittelbaren Führungskräften. (pg)