Umweltministerium legt vor

Wie Digitalisierung grün werden soll

03.03.2020
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Digitale Technologien sollen keine Umweltprobleme schaffen, sondern diese lösen. Deshalb hat der Bund eine umweltpolitische Digitalagenda vorgelegt. Umweltschützer erwarten aber mehr.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat eine umweltpolitische Digitalagenda vorgelegt. Damit will die SPD-Politikerin im Wesentlichen zwei Ziele ins Visier nehmen: die Digitalisierung in umweltverträgliche Bahnen zu lenken, und die Chancen der Digitalisierung für den Umweltschutz zu nutzen. Die Digitalagenda sei die erste Strategie in Europa, die Digitalisierung und Umweltschutz konsequent miteinander verbindet, lobt das Ministerium seine Initiative. Entwickelt wurde sie vom Bundesumweltministerium gemeinsam mit rund 200 Spezialisten aus verschiedenen Instituten und Verbänden.

Digitalisierung und Umweltschutz sollen näher zusammenrücken.
Digitalisierung und Umweltschutz sollen näher zusammenrücken.
Foto: stockwerk-fotodesign - shutterstock.com

"Mit dieser Digitalagenda leisten wir echte Pionierarbeit", beteuerte Schulze in Berlin. "Umweltschutz gehört in jeden Algorithmus." Dafür brauche es mehr Steuerung, betonte die Ministerin, "denn ungesteuert wird die Digitalisierung zum Klimaproblem". Mit den richtigen Leitplanken könne die Digitalisierung aber auch helfen, den Klimawandel einzudämmen und das Artensterben zu stoppen.

Digitalagenda 2020: Regeln für Hardwarehersteller

Die Agenda des Bundesumweltministeriums umfasst mehr als 70 Maßnahmen. So soll unter anderem das Umweltbundesamt ein Register für Rechenzentren erstellen. Die dort gesammelten Daten sollen Grundlage für künftige Effizienzvorgaben dienen. Smartphones und Tablets sollen durch neue Regeln auf EU-Ebene eine längere Nutzungsdauer bekommen. Im Rahmen der EU-Ökodesign-Richtlinie soll vorgeschrieben werden, dass Hersteller Akkus und Displays austauschbar machen und für eine bestimmte Frist Ersatzteile oder Updates anbieten müssen. Das BMU setzt sich in diesem Rahmen auch für eine "Garantieaussagepflicht" ein. "Hersteller sollen künftig sagen müssen, wie lange ihr Produkt garantiert halten wird. Dann wissen die Kundinnen und Kunden beim Kauf gleich, woran sie sind", so die Ministerin.

IT - Klimakiller oder Klimaretter?

An anderer Stelle lässt die Agenda die Zügel deutlich lockerer. Für umweltfreundlicheres Online-Shopping schlägt Schulze Selbstverpflichtungen der Händler vor. Diese können Umweltschutzkriterien in ihre Such-Algorithmen einbauen oder Produkte mit dem Blauen Engel gesondert anzeigen. Streaming-Dienstleister könnten sich dazu verpflichten, Rechenzentren zu 100 Prozent mit Ökostrom zu betreiben und die Abwärme sinnvoll zu nutzen.

Den Wissenschaftlern vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) sind diese Vorschläge zu weich. Sie sehen weiteren Handlungsbedarf. "Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen beruhen auf 'weichen' Instrumenten, während die Ziele durch verbindliche Regulierung wesentlich effektiver erreicht werden könnten", sagte Tilman Santarius, Digitalisierungs-Experte am IÖW und am Einstein Center Digital Future der Technischen Universität Berlin. Damit Hardware länger hält, strebe das BMU nur eine "Garantieaussagepflicht" der Hersteller an. Zielführender wäre, die Garantiedauer für Verbraucher/innen zu verlängern und Garantieansprüche zu verbessern, forderte der Wissenschaftler.

Auch an anderer Stelle sieht Santarius Nachbesserungsbedarf. Für die großen Stromfresser Rechenzentren möchte sich das BMU nur für eine 'einheitliche statistische Erfassung' einsetzen, anstatt verpflichtende Energieeffizienz- und absolute Verbrauchsstandards für Rechenzentren zu entwickeln. "Hier sollte im Laufe des Prozesses nachgebessert werden. Sonst könnte etlichen der vorgeschlagenen Maßnahmen am Ende die Verbindlichkeit und Wirkungstiefe fehlen, um tatsächlich die Weichen für eine umweltgerechte Digitalisierung zu stellen", kritisierte Santarius. Die Digitalagenda liefere zu wenige Ansatzpunkte, wie wachsende Stromverbräuche abgemildert werden könnten, moniert der IÖW-Sprecher. Es fehlten etwa strikte Verbrauchsstandards für Rechenzentren beziehungsweise verbindliche Anforderungen, dass deren Abwärme sinnvoll für die Wärmeversorgung genutzt wird, oder die Forderung, dass neue Rechenzentren mit 100 Prozent Ökostrom betrieben werden müssen.

Bitkom drängt auf erneuerbare Energien

Damit dies gelingt, fordern die IT-Anbieter staatliche Unterstützung. "Wir brauchen eine effektive Förderung der Energieeffizienz von Rechenzentren", forderte Achim Berg, Präsident des Bitkom. Der Lobbyvertreter räumte ein, dass die Digitalisierung viel Energie und Ressourcen verbraucht. Derzeit betrage der Strombedarf der Rechenzentren in Deutschland gut 12 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr - das sei in etwa so viel wie die Stadt Berlin jährlich an Energie verbraucht. Auch könne der Bedarf klimafreundlicher gestaltet werden. "Die Digitalisierung wird umso nachhaltiger und umweltschonender, je mehr sie über grünen Strom versorgt wird", so Berg. "Die Bundesregierung muss deshalb den Ausbau erneuerbarer Energien massiv vorantreiben."

Grundsätzlich könne die Digitalisierung für mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit sorgen, warb der Bitkom-Präsident für seine Branche. Er verwies auf Smart Grids als Grundlage für die Energiewende, smarte Mobilitätsdienstleistungen mit einem CO2-Einsparpotenzial von bis zu 12 Millionen Tonnen sowie Smart Farming, wodurch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln um bis zu 80 Prozent reduziert werden könne.

Achim Berg, Präsident des Bitkom, bezeichnete die umweltpolitische Agenda als das richtige Signal zur richtigen Zeit.
Achim Berg, Präsident des Bitkom, bezeichnete die umweltpolitische Agenda als das richtige Signal zur richtigen Zeit.
Foto: Bitkom

Berg bezeichnete den Kampf gegen den Klimawandel als eine riesige Herausforderung. "Die umweltpolitische Digitalagenda setzt deshalb das richtige Signal zur richtigen Zeit." Sie erkenne digitale Technologien als wirksame und notwendige Instrumente für mehr Nachhaltigkeit an. "Digitalisierung kann ein Schlüssel sein, um viele der drängenden ökologischen und sozialen Probleme zu lösen - und gleichzeitig Wirtschaft und Verwaltung zu stärken."

Digitalisierung mit Maß und Ziel

Auch wenn sich Umweltschützer und IT-Anbieter beide den Kampf gegen den Klimawandel auf die Fahnen schreiben. Über das 'Wie' dürfte es in Zukunft sicher noch den einen oder anderen Disput geben. Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts, das an der Digitalagenda des BMU mitgearbeitet hat, sprach vom "Grundprinzip der Digitalisierung mit Maß und (!) Ziel". Man müsse Digitalisierung intelligent lenken und nutzenorientiert einsetzen. Wie dringend das Ganze ist, daran ließ Fischedick keinen Zweifel. "In diesem Jahrzehnt wird sich entscheiden, ob wir den Hebel noch umlegen und die Nachhaltigkeitsziele erreichen können."

Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts, plädiert für eine Digitalisierung mit Maß und Ziel.
Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts, plädiert für eine Digitalisierung mit Maß und Ziel.
Foto: Wuppertal Institut/C. Hasken

Florian Kern, IÖW-Experte für Umweltpolitik, forderte eine konzertierte Aktion aller Ministerien in der Regierung. Beispielsweise machten die vom BMU geförderten 'Leuchtturmprojekte für Künstliche Intelligenz' (KI), die Umwelt- und Klimaschutz dienen sollen, weniger als zehn Prozent der bundesweiten Fördermittel für KI im Jahr 2019 aus. Zahlreiche von anderen Ministerien geförderte Projekte verfolgten dagegen keine Nachhaltigkeitsziele oder seien sogar kontraproduktiv, kritisiert der Umweltschützer. "Um tatsächlich eine nachhaltige Digitalisierung zu erzielen, ist es dringend erforderlich, dass alle Ressorts der Bundesregierung sich die Zielsetzung der Digitalagenda zu eigen machen. Dies erfordert eine enge Abstimmung der Ressorts und eine kohärente Politik."

Umweltministerin Schulze lässt durchblicken, dass weitere Anstrengungen nötig seien. "Wir stehen vor großen Herausforderungen, sowohl im Umweltschutz, als auch bei der Digitalisierung. Darum ist es wichtig, die Umwelt- und die Digitalisierungsexpertise zusammenzubringen." Die Politikerin verspricht, am Ball zu bleiben: "Wie jede Software ist auch die Umweltpolitische Digitalagenda nur dann nützlich, wenn sie ein ständiges Update bekommt."