4 Szenarien für 2030

Wie der Mittelstand künftig künstliche Intelligenz nutzt

26.02.2020
Von 
Christiane Pütter ist Journalistin aus München.
Mittelständische europäische Unternehmen optimieren im Idealfall fünf Wertschöpfungsstufen mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI). Die Universität des Saarlandes beschreibt vier Szenarien für den KI-Einsatz im Jahr 2030.
  • Derzeit erklärt nur gut jeder dritte Mittelständler aus Europa, sich mit Künstlicher Intelligenz (KI) zu beschäftigen
  • Die Unternehmen könnten und sollten folgende Bereiche unterstützen: Eingangs-/Ausgangslogistik, Produktion, Marketing/Vertrieb, Service/Kundendienst und Unternehmensinfrastruktur
  • Die Universität des Saarlandes hält vier Szenarien im Jahr 2030 für möglich: KI-Insellösungen, KI-Paradies, KI-Assistenz oder eine neue KI-Eiszeit
Die Universität des Saarlandes sieht beim europäischen Mittelstand großen Aufholbedarf in puncto Künstliche Intelligenz (KI).
Die Universität des Saarlandes sieht beim europäischen Mittelstand großen Aufholbedarf in puncto Künstliche Intelligenz (KI).
Foto: Universität des Saarlandes

"Großen Aufholbedarf" in Sachen Künstliche Intelligenz (KI) bescheinigt die Universität des Saarlandes dem europäischen Mittelstand. Im Auftrag der Roland-Berger-Stiftung für europäische Unternehmensführung hat die Universität den Status Quo der KI-Nutzung analysiert und Szenarien für die kommenden Jahre entwickelt. Die Wissenschaftler haben dafür Entscheider aus rund 200 Betrieben in acht Ländern sowie 20 KI-Experten befragt.

Die Frage, ob sie sich bereits mit KI beschäftigt haben, bejahen 34 Prozent der Unternehmen. 43 Prozent verneinen, 24 Prozent sind sich nicht sicher. Gleichzeitig halten 38 Prozent ihren Wissensstand über KI für ausreichend oder fortgeschritten. 15 Prozent geben ihren Mitarbeitern die Möglichkeit, sich zu qualifizieren, weitere 24 Prozent planen, dies zu tun. Zwölf Prozent haben eine KI-Strategie ausgearbeitet.

Hemmnisse beim KI-Einsatz vor allem auf wirtschaftlicher Seite

Wer KI anwendet, will primär Kosten sparen (33 Prozent) und die Effizienz steigern (29 Prozent). Insgesamt 18 Prozent wollen außerdem den Umsatz steigern, dreizehn Prozent neue Geschäftsfelder erschließen oder neue Produkte entwickeln. Lediglich zehn Prozent bieten bereits Produkte an, die mit KI angereichert sind. Hemmnisse beim KI-Einsatz sehen die Befragten vor allem auf wirtschaftlicher Seite (40 Prozent). Konkret geht es dabei etwa um fehlende Fachkräfte oder innerbetriebliche Widerstände gegen KI-Lösungen wegen eines drohenden Arbeitsplatzabbaus. Weiter nennen sie rechtliche (Datenschutz) und technologische (fehlende Bandbreite) Hemmnisse (21 beziehungsweise 19 Prozent).

Die Experten skizzieren das Idealbild eines "Mittelständlers von morgen". Dieser unterstützt sein Unternehmen auf fünf Wertschöpfungsstufen durch KI: erstens Eingangs- und Ausgangslogistik (autonome Fahrzeuge erledigen viele Routine-Arbeiten wie die komplette physische Lagerhaltung, KI plant Routen und prognostiziert Bedarfe), zweitens Produktion (KI-Systeme unterstützen den Menschen bei komplexen Abläufen, einfache Arbeiten übernehmen Roboter ganz), drittens Marketing/Vertrieb (vollautomatisierte Online-Werbung begleitet den zielgruppengerechten und gut getimten Marktauftritt), sowie viertens Services/Kundendienst (Assistenzsysteme verringern den Personalbedarf) und fünftens die Unternehmensinfrastruktur (KI übernimmt Standardprozesse wie Steuern, Controlling und Vertragsgestaltung).

Vier Szenarien für 2030

Soweit das Ideal. Weil auch ganz andere Entwicklungen denkbar sind, entwerfen die Wissenschaftler vier mögliche Szenarien für den Mittelstand im Jahr 2030:

1. Eine neue KI-Eiszeit: Eisige Zeiten könnten für KI anbrechen, wenn erstens die technisch-ökonomische Entwicklung zu langsam voranschreitet und es deshalb keine bezahlbaren Standardlösungen gibt und KI zweitens von der Gesellschaft und Anwendern abgelehnt wird. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, einen Ordnungsrahmen zu schaffen. Dieser sorgt für Transparenz beim KI-Einsatz und regelt den Datenschutz.

2. KI als Assistenz: Dieses Szenario baut auf der Vorstellung einer KI-Eiszeit auf. Zwar haben die Anbieter die nötigen Standardlösungen geschaffen. Die Firmen setzen sie auch ein. Gleichzeitig ist es aber nicht gelungen, menschliche Ängste vor KI abzubauen. Dadurch kann die Technologie ihr Potenzial nicht entfalten und bleibt im Status assistierender Arbeiten stecken.

Für die Zukunft um 2030 sind vier KI-Szenarien denkbar.
Für die Zukunft um 2030 sind vier KI-Szenarien denkbar.
Foto: Universität des Saarlandes

3. KI als Insellösungen: Auch dieses Bild basiert auf der KI-Eiszeit. In diesem Fall wurde zwar gesellschaftliche und juristische Akzeptanz geschaffen, aber die technologische Entwicklung hält nicht Schritt. Es mangelt an Standardsoftware, so dass mittelständische Firmen mit individuell entwickelten Insel-Lösungen arbeiten müssen. Umfassendere Vorteile ziehen am ehesten große KI-affine Konzerne aus der Technologie.

4. Im KI-Paradies: In diesem Szenario haben die Unternehmen große Teile ihrer Arbeit mittels künstlicher Intelligenz automatisiert und optimiert. Die Menschen erkennen die Vorteile von KI, die verfügbaren Lösungen sind ausgereift und bezahlbar.

Per Breuer aus dem Vorstand der Roland-Berger-Stiftung kommentiert: "Das Ergebnis der Studie ist speziell für Europa relevant, denn der industrielle Mittelstand bildet in vielen europäischen Ländern das Rückgrat der Wirtschaft. Gleichzeitig zeigt die Studie aber auch, dass der Mittelstand noch einen großen Aufholbedarf hat, was den Einsatz künstlicher Intelligenz anbelangt."