Es ist immer wieder ein Schauspiel, das tausende Schaulustige nach Papenburg und in den Nordwesten Deutschlands lockt: Ein neues Kreuzfahrtschiff verlässt die Meyer Werft, um sich auf der Ems gen Nordsee zu schieben. Für das 1795 gegründete Unternehmen mit seinen etwa 3.700 Beschäftigten und den zwei weiteren Werften in Rostock und im finnischen Turku ist das allerdings nichts Neues. Für die IT der ganzen Unternehmensgruppe zeichnet Paul Meyer verantwortlich, promovierter Wirtschaftsinformatiker und ein Vertreter des Familienunternehmens.
Digitaler Entwurf einer schwimmenden Stadt
Der CIO hat im Wettbewerb CIO des Jahres mit seiner Plattform "MeyPLM" (PLM = Product Lifecycle Management) voll überzeugt. Um zu verstehen, was Meyer und sein Team leisten, ist es hilfreich sich vor Augen zu halten, wie aufwändig und komplex der Bau eines Kreuzfahrtschiffs von mehr als 300 Metern Länge ist und wie viele unterschiedliche Gewerke abgebildet werden müssen. Der Bau eines solchen Schiffes gleicht dem einer schwimmenden Stadt: 30.000 Tonnen Stahl, 2.500 Kilometer Kabel und 250 Kilometer Rohre, mehr als 40.000 Quadratmeter Teppich, 220 Tonnen Farbe und viele andere Komponenten wie zum Beispiel Motoren, Klimaanlage, Satellitenkommunikation, Pumpen etc.
Damit die Bauteile am richtigen Platz landen, braucht es jede Menge Zeichnungen. Der Umfang der Stammdaten und der Stücklisten hat außergewöhnliche Ausmaße. Entscheidend für den Erfolg ist der digitale Entwurf: Zunächst entsteht ein Modell des Stahlkörpers im 3D-Format, dann werden die verschiedenen Teile in diesem Raum angeordnet und die Kabel und Rohre – virtuell – verlegt.
Catia und Cadmatic zu einer Plattform verschmolzen
Die MeyPLM-Plattform setzt sich aus zwei mächtigen Produkten zusammen, die an den individuellen Bedarf angepasst wurden: Dassault Systemes 3DExperience (Catia) in der neuen Version V6 und die Schiffbaulösung von Cadmatic. Doch die Ingenieure und Designer konnten nicht warten, bis alle Module und Systemteile vollständig entwickelt und aufgesetzt waren.
Um im Zeitplan des Kreuzfahrtschiffprojekts nicht ins Hintertreffen zu geraten, wurde schon in einer frühen Design-Phase eines Kreuzfahrtschiffs mit den 3D-Konstruktionsarbeiten auf der Plattform begonnen. Zu diesem Zeitpunkt waren andere Teile des Systems noch nicht voll konfiguriert und Schnittstellen sowie Anpassungen mussten noch programmiert werden. Der Ozeanriese, der 2022 abgeliefert werden soll, wird über 340 Meter lang sein und ein ausgeklügeltes Entertainment- und Tourismuskonzept für 1.250 Passagiere anbieten.
"Für uns ist MeyPLM der Aufbruch in eine neue Ära", sagt Paul Meyer. Das Unternehmen sei auf die detaillierten Designinformationen der Plattform angewiesen, um die Fertigung mit Konstruktionsdaten für die Arbeitsvorbereitung zu versorgen. Die automatisierten Anlagen, darunter Brenn-Schneidemaschinen, Laserschweißanlagen und Schweiß-Roboter erfordern eine spezielle, maschinengerechte Aufbereitung der 3D-Informationen. Besonders erfolgskritisch war dem CIO zufolge die enge Verzahnung der IT-Aktivitäten mit den Ingenieursarbeiten in den technischen Büros der Werft.
Meyer Werft wirft Prinzipien über den Haufen
Um schnell voranzukommen, verabschiedete sich die Meyer Werft von Abteilungsdenken und klassischer Projektarbeit. Ein Steuerkreis wurde eingerichtet, um die zentralen Architekturentscheidungen zu treffen. Das verantwortliche Projektteam teilten die Papenburger in mehrere kleine gemischte Teams für jedes Gewerk auf. Die Weiterentwicklung und den Betrieb der Plattform legte das IT-Team im Sinne des DevOps-Ansatzes zusammen. (kf/rs)
Die Jury sagt:
"Die Meyer Werft ist weltweit die erste, die ein komplettes Kreuzfahrtschiff auf der neuen V6-Version baut", kommentiert Accenture-Chef Frank Riemensperger. Er hält diese "Virtual-Design-Einführung mitten im Betrieb" für einzigartig, dort gehe es in großen Schritten voran in Richtung Digital Twin und Industry 4.0 im Schiffbau. Andere Juroren würdigten die enorme Leistung, komplexeste Business-Herausforderungen durch IT-Einsatz beherrschbar zu machen. |