Nach der erfolgreichen Abspaltung von IBM und dem Gang an die Börse kämpft der Managed-Infrastructure-Provider Kyndryl weiterhin damit, sicheres Fahrwasser zu erreichen. Grund ist die relativ geringe Marktkapitalisierung von 4,18 Milliarden Dollar - bei einem vergleichsweise sehr hohen Jahresumsatz von 19 Milliarden Dollar.
Zwar gehen die Kyndryl-Manager davon aus, dass sich ihr adressierbarer Markt durch die Abspaltung von IBM bis 2024 von 240 Milliarden Dollar vor dem Spinoff auf 510 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppeln wird. Dies ändert aber wenig an der Tatsache, dass Kyndryls klassisches Aufgabengebiet, der Betrieb der technischen Infrastruktur für Kunden, mit der zunehmenden Verlagerung des IT-Betriebs in die Cloud immer mehr Commodity wird. Die Einnahmen mit diesen Services sind zwangsläufig rückläufig, Potenzial hat dagegen die Unterstützung von Unternehmen bei zukunftsträchtigen Themen wie Intelligent Automation, Datenservices, Cloud-Services, Sicherheit und Ausfallsicherheit.
Kyndryl-Übernahme: Zahlreiche potenzielle Käufer
Trotz bereits erzielter Fortschritte, etwa in Form von neuen Großaufträgen und Kooperationen mit Microsoft und NetApp, um den adressierbaren Markt deutlich zu erweitern, hängt die geradezu mickrige Marktkapitalisierung von 4,2 Milliarden Dollar wie ein Damoklesschwert über Kyndryl. So gibt es laut Phil Fersht vom Analystenhaus Horses for Sources (HfS) gleich mehrere IT-Dienstleister, die eine Übernahme zu diesem Preis leicht schultern können. Kandidaten, die für einen solchen Deal ohne weiteres drei bis fünf Milliarden Dollar aufbringen, sind HfS zufolge etwa:
HCL,
Atos,
Infosys,
NTT,
Wipro,
verschiedene Hyperscaler oder
Private-Equity-Firmen.
Als Favoriten sieht HfS den indischen IT-Dienstleister HCL Technologies, der bereits Software-Produkte und damit verbundene Dienstleistungen wie Lotus und Domino von IBM übernommen und erfolgreich weitergeführt hat. Zwar habe die Integration einer Akquisition wie Kyndryl eine ganz andere Dimension als alles, was HCL bisher erlebt hat, so die Analysten. Es sei jedoch schwer vorstellbar, dass sie keine Chancen darin sehen, Kyndryl zu einem äußerst lukrativen Unternehmen zu machen und damit zu einem der größten Dienstleistungsanbieter auf dem Markt aufzusteigen.
Ein anderer Kandidat wäre Fersht zufolge Atos. Der französische IT-Dienstleister habe sich zwar bereits Anfang 2021 mit dem Übernahmeangebot von DXC die Finger verbrannt - das dreimal so teuer war, aber die gleiche Umsatzbasis wie Kyndryl aufwies. Nichtsdestotrotz sei es möglich, dass Atos Kyndryl als günstigen Ersatz für DXC sieht - zumal das IBM-Spinoff einen Zugang zum US-Markt und zahlreichen Talenten verspricht.
Auch für Infosys würde die Übernahme einen gewissen Sinn ergeben, so HfS. So verfüge Infosys über das nötige Kleingeld für den Kauf, eine starke Präsenz in den USA und plane stärker ins Cloud-Geschäft einzusteigen. Auf der anderen Seite habe sich Infosys in der Vergangenheit aber immer wieder mit Übernahmen schwer getan.
Zugang zu künftigen Cloud-Kunden
Als Außenseiter bringt Fersht Google Cloud Platform ins Spiel. So habe GCP Insidern zufolge vor einigen Jahren kurz vor der Übernahme von DXC gestanden, um für seine expandierende Google Docs/Collaboration-Plattform einen besseren Zugang zu Unternehmenskunden zu erhalten. Da die Kluft zwischen AWS und Microsoft Azure im Unternehmensbereich immer größer wird, sei es durchaus denkbar, dass Google einen erneuten Versuch mit Kyndryl unternimmt. Finanziell wäre der Kauf sicher kein Problem, allerdings lege der neue Google-Cloud-Chef Thomas Kurian den Schwerpunkt definitiv auf Software und nicht auf Dienstleistungen, so HfS. Ähnliche Ambitionen von anderen Hyperscalern, mit Hilfe von Kyndryl Kunden auf ihre Plattform bringen, hält Fersht für grundsätzlich möglich - wenn auch primär nur bei chinesischen Hyperscalern wie Alibaba oder Baidu und selbst dann nur mit viel Fantasie.
Daneben wäre der Zugang zu Kunden in Nordamerika und Europa sowie einem internationalen Talentpool aus Sicht der Analysten auch ein Anreiz für NTT und andere japanische Großkonzerne - vergleichbar mit der Übernahme des PC-Geschäfts von IBM durch Lenovo. Und auch im Private-Equity-Bereich sieht Fersht zahlreiche Szenarien, angefangen von der Entflechtung von Vermögenswerten bis hin zur Schaffung von Synergien für eine Reihe von Portfolio-Assets.
Bessere Kommunikation und mehr Strategie
Das wahrscheinlichere Szenario ist laut HfS jedoch, dass es Kyndryl gelingt, die Nerven der Anleger wieder zu beruhigen und die Marktkapitalisierung zu steigern. Dazu benötige es jedoch eine phantasievollere Strategie, die über eine Erweiterung des adressierbaren Marktes hinausgeht, so der Rat der Analysten.
Außerdem müsste Kyndryl effizienter arbeiten, um die Gewinnspanne deutlich zu verbessern. So belief sich die operative Gewinnspanne von Kyndryl (vorher IBM Global Technology Services) laut HfS-Berechnungen in den letzten zwölf Monaten auf lediglich 2,3 Prozent. Das ist weniger als DXC (5,2 Prozent), Atos (6,9 Prozent) oder NTT Data (7,6 Prozent) vorweisen, indische Dienstleister wie TCS, Infosys oder HCL schneiden mit einer operativen Marge von über 20 Prozent sogar deutlich besser ab.