Softwaremodernisierung

Wege aus der Legacy-Falle

13.04.2018
Von 
Christiane Pütter ist Journalistin aus München.
Nicht selten schluckt die Pflege von Legacy-Anwendungen mehr als die Hälfte der IT-Budgets. Doch Sparen ist nur ein Motiv, warum Entscheider das Thema Modernisierung angehen. Ein anderer: Die Generation, die sich mit den Altlasten auskennt, verabschiedet sich in den Ruhestand. Erfahrungen von sieben Experten.
  • Die Pflege alter Anwendungen bindet in den meisten Unternehmen einen zu hohen Anteil der IT-Budgets
  • Neben den Kosten ist das Ausscheiden betagter Experten ein Problem: Niemand kennt sich mit der Legacy-Altlast aus
  • Je stärker Kunden über Websites und E-Commerce-Angebote direkt mit dem Unternehmen kommunizieren, desto hinderlicher werden wuchernde Altanwendungen

"Die Modernisierung von Legacys hat vor mindestens 30 Jahren angefangen - nur hat man damals noch eine andere Definition gewählt", sagt Frank Mang, Managing Director bei Accenture. Den Status Quo in deutschen Unternehmen diskutierte er mit sechs weiteren Experten in den Räumen der COMPUTERWOCHE. Das Gespräch drehte sich am Ende um zwei Fragen: Warum packen Unternehmen die Legacy-Modernisierung ausgerechnet jetzt so massiv an? Und wie gehen sie dabei vor?

Zwei Hauptgründe kristallisieren sich sofort heraus: Kosten und Köpfe. Beispiel Finanzbranche: In der anhaltenden Niedrigzins-Phase stehen Banken unter dem Druck, Kosten senken zu müssen. "Also gehen sie massiv auf ihre Rechenzentren los", beobachtet Markus Stadler, Sales Director DACH & Luxembourg bei TmaxSoft. Manchmal könnten sie hier bis zu zwei Drittel der Kosten einsparen. Unabhängig von der Branche: Ein Unternehmen mag lediglich fünf bis zehn Prozent seiner Anwendungen als Altlasten mitschleppen - doch diese fressen bis zu 70 Prozent der IT-Budgets.

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Der zweite Grund hängt damit zusammen, dass die Generation der "Baby Boomer" allmählich in Rente geht. Damit wird das verfügbare Cobol-, Assembler- und PL1-Know-how langsam knapp und teuer. Legacy-Umgebungen stellen aber meist keine übersichtlichen Landschaften dar, sondern wild gewachsene, heterogene Welten. Und in denen wuchert so einiges, das wenig strukturiert programmiert wurde und zudem schlecht dokumentiert ist. Wer daran mitgewirkt hat, verfügt über ein "Kopf-Monopol", das den Unternehmen im Falle eines Ausscheidens fehlt. Manche Entscheider wollen ihre Altsysteme daher am liebsten gar nicht anfassen, solange sie nur laufen.

Ist Legacy gleich Mainframe?

Accenture-Manager Mang weist allerdings darauf hin, dass die Aufräumarbeiten stets mit der Frage beginnen müssten: "Was verstehen wir eigentlich unter Modernisierung?" Der Begriff Legacy falle oft im Zusammenhang mit dem Mainframe. Inzwischen gebe es aber auch jede Menge Altanwendungen, die damit gar nichts mehr zu tun hätten. Björn Langmack, Geschäftsführer von Deloitte Innowake, möchte außerdem differenzieren: "Reden wir vom Mainframe oder von den Anwendungen, die darauf laufen?"

Erst nach Klärung dieser Punkte können Entscheider der Frage des "Wie" planen. Donald Fitzgerald, Managing Director bei EasiRun, nennt drei handfeste Beispiele für den Alltag in deutschen Unternehmen. Erstens: Das Unternehmen hat zehn Jahre lang nichts unternommen und sagt sich: Das wird dann schon irgendwann abgelöst. Zweitens: Die Verantwortlichen glauben, das Problem werde sich irgendwann von selbst erledigen, weil das IT-Team immer schon einen Weg gefunden hat. Drittens: Die Legacy-Anwendungen sind eine Blackbox, die Mitarbeiter verstehen die Komplexität nicht. Irgendwann kollabiert dann das Ganze.

Drei Varianten des "Wie"

Geht es um Lösungen, zeigt sich, dass es keine einfachen Antworten gibt. Deloitte-Manager Langmack nennt drei typische Szenarien. So setzten manche Kunden einfach auf Standardsoftware und hofften nach dem Motto: "Wir führen SAP ein" das Problem zu lösen. Andere schrieben alles neu, was aber nur Sinn gebe, wenn die Applikationen modernisiert und nicht nur eins zu eins übersetzt würden. Und schließlich gebe es eine Reihe von Unternehmen die migrierten: zum Beispiel von Cobol auf Java. Letzteres löse auch das Mitarbeiter-Thema, wie Langmack anfügt.

Winfried Busch, Vorstandsmitglied von Aracom, warnt allerdings vor allzu großem Optimismus. Seine Kunden kennen alle Trends von der Cloud über Container-Technologien bis hin zu Micro-Services-Architekturen. Fakt ist laut Busch, dass jede "neue Welt" irgendwann Legacy ist: Neue Software inklusive Dokumentation sei nach sieben bis zehn Jahren in der Regel wieder "zerfranst". Daher gebe es auch immer wieder die Situation, das Unternehmen abhängig von einzelnen Köpfen seien - nur auf einem anderen technologischen Level.

RoI tritt in den Hintergrund

Entscheidend ist letztendlich immer die Frage: Kann die eingesetzte Software das Geschäft des Unternehmens ausreichend abbilden? Durch den Online-Kontakt zu den Kunden hat sich viel geändert, auch Banken und Versicherungen beginnen, das zu verstehen. Online-Banking oder der Abschluss von Policen im Netz generieren immense Datenmengen, deren Verarbeitung die Infrastruktur in den Unternehmen gerecht werden muss. Dieser Change ist in vollem Gange. Kevin Giese, Manager Enterprise Solutions DACH bei Microfocus, berichtet sogar von einer solch starken Dynamik, dass oft ohne Rücksicht auf einen potenziellen Return on Investment (RoI) investiert werde.

Doch Legacy-Modernisierung betrifft nicht nur den Finanzsektor. Fast jeder in der Diskussionsrunde kennt beispielsweise auch Automobilhersteller, die hoffen, dass ihre alten Anwendungen zu retten sind. Generell sind Maschinenbau und Automotive zwar weiter als Banken und Versicherungen. Für interne Prozesse wie die Produktionssteuerung verlassen sie sich aber meist auch auf eine langjährig gewachsene Lösung im eigenen Data Center.

Zum Thema Legacy-Modernisierung führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multiclient-Studie unter IT-Entscheidern durch. Die Studie soll zeigen, wie deutsche Manager das Thema Legacy-Modernisierung in ihren Unternehmen angehen. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, dann hilft Ihnen Frau Nicole Bruder (nbruder@idg.de, Telefon: 089 36086 137) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download.

Mehrfache Sicherheitsbedenken als Hemmnis

Können Cloud-Lösungen ein Ausweg aus der Legacy-Falle sein? Ja, aber nicht immer und überall, denn die Abhängigkeits- und Sicherheitsthematik beschäftigt die Anwender weiter massiv. Wer etwas produziert, kann sich keine Minute Ausfall seiner Produktionsstraße leisten. Und wer mit Kundendaten hantiert, will auf keinen Fall in die Schlagzeilen, weil er Entschuldigungsbriefe wegen Datenmissbrauchs schreiben muss. Deshalb spielen Risk, Governance und Security bei der Legacy-Modernisierung von der ersten Minute an eine Hauptrolle.

Auch die Abhängigkeitsdiskussion ist nicht beendet, im Gegenteil. "30 Jahre lang hat IBM entschieden, wie die IT-Architektur aussieht", schmunzelt Deloitte-Manager Langmack unter zustimmendem Nicken der anderen Experten. Ähnlich sieht es mit Oracle aus. Heute reden die Kunden immer mehr über OpenSource und OpenStack.

Das Prinzip einer "IT der zwei Geschwindigkeiten" (auch bimodale IT) kann weiterhelfen, wenn die Legacy-IT stark abgekapselt ist und eine Bremswirkung ausübt. Nach diesem Prinzip, das der US-Marktforscher Gartner geprägt hat, hält ein Teil der IT-Mannschaft die Altsysteme am Laufen, während eine zweite, agile IT schnelle Reaktionen auf kurzfristige Marktveränderungen möglich machen soll. Acenture-Manager Mang findet den Ansatz, der oft kritisiert wurde, durchaus brauchbar. "Nicht immer ist eine Plattform die einzige Lösung. Wir können doch nicht alles über einen Kamm scheren!"

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Fazit

Wie auch immer die Legacy-Modernisierung aussehen wird - sie beginnt mit der Klärung von Treibern, Auslösern und Zielen. Das geht nicht ohne Abstimmung und Zusammenarbeit von IT und Fachbereichen. Ebenso wenig ohne eine gemeinsame Vorstellung davon, wohin sich der Markt und das Unternehmen bewegen.

Technologie hin, Architektur her - letzten Endes, so überlegt Duke Golden, Key Account Manager bei Kaspersky Labs, erfordert die Legacy-Modernisierung einen Mentalitätswandel. "Jede Firma wird künftig eine IT-Firma sein", sagt er. "Und jeder Mitarbeiter muss Technologie-Affinität und auch eine gewisse Risiko-Bereitschaft mitbringen!"