Als Thomas Mannmeusel und seine IT-Kollegen beim Automobilzulieferer Webasto zwischen 2010 und 2016 weltweit die gesamte Applikationslandschaft für das OEM-Geschäft standardisierten und modernisierten, wollten sie vor allem Ordnung schaffen. ERP, CAD, PLM, MES und BI sollten global einheitlich und aus einem Guss sein, damit Webasto seine global gefertigten Dach- und Heizlösungen für Autos einfach und schnell entwickeln und an die weltweiten OEM-Partner liefern könnte, so der Plan.
Das Vorhaben gelang, doch zum Ende dieses Harmonisierungsprogramms fiel eine wohl noch wichtigere Entscheidung: Das Projektteam blieb zusammen und zeichnet heute konzernweit dauerhaft für das Verbessern der globalen Unternehmensprozesse verantwortlich. Es entstand der Bereich "Global Process Optimization (GPO)", dem Mannmeusel heute neben seiner Aufgabe als CIO vorsteht.
Die Jury sagt:
"Das ist ein Change-Projekt zur Etablierung einer starken Vernetzung von IT und Business. Es zeigt, wie der CIO den Einfluss der IT im Unternehmen steigern und die IT als strategisch relevante Einheit positionieren kann." |
Unter der Regie des promovierten Wirtschaftswissenschaftlers entwickelte Webasto parallel zu den klassischen Abteilungsstrukturen eine weltweite virtuelle Prozessorganisation. Darin sind heute sämtliche betrieblichen Funktionsbereiche angesiedelt, auch die IT. Ein globales Team aus IT- und Prozessexperten repräsentiert diese Funktionsbereiche, geführt werden sie jeweils von einem Global Process Director. Diese Prozessdirektoren folgen zwei Berichtswegen: Zum einen sind sie den konzernweit verantwortlichen Chefs der Fachabteilungen, etwa Finanzen, Personal oder Forschung und Entwicklung, unterstellt. Zum anderem berichten sie an den gleichberechtigt agierenden konzernweiten GPO-Chef und CIO, Thomas Mannmeusel.
Was kompliziert klingt, ist es auch: An Gesprächen zu Zielvereinbarungen oder Leistungsbeurteilungen sind immer mindestens zwei Führungskräfte aus verschiedenen Bereichen beteiligt. Mannmeusel selbst berichtet in seiner Rolle des CIO an den Finanzchef, in seiner Funktion als Enterprise Vice President GPO aber sowohl an den CEO als auch an den CFO.
Doch der Aufwand hat sich gelohnt: Webasto bricht mit seiner neuen Matrix-Struktur Silos auf, nimmt übergreifende, agile Teams stärker in die Verantwortung für ihre Ergebnisse und treibt Innovationen zügiger voran. Der Münchner Konzern ist vor allem schneller und effizienter geworden, hat viele Abstimmungsprozesse näher an die Arbeitsebene verlagert und beschleunigt. Noch ist das Ende der Fahnenstange nicht in Sicht: Eine nächste Produktivitätsstufe soll 2022 erreicht werden, wenn es interdisziplinäre Prozess- und Produktteams geben wird, die im DevOps-Modus Ende-zu-Ende-Prozesse gestalten, betreiben und verbessern werden.
Vorstände teilen sich ein Büro
Mannmeusel leugnet nicht, dass es für viele Mitarbeiter ungewohnt ist, zwei Teams gleichzeitig anzugehören (Funktion und GPO-Organisation). Teamidentität und organisatorische Heimat verlören an Bedeutung, was manche Kollegen nur schwer verinnerlichen könnten. Die organisatorischen Fliehkräfte zurück in die funktionalen Silos seien immer wieder spürbar. Deshalb ist das Management ständig gefordert aufzuzeigen, dass diese Form der crossfunktionalen Zusammenarbeit erfolgskritisch für Webasto ist.
Vorstände und Executives arbeiten daher eng zusammen und setzen entsprechende Signale. Sie teilen sich seit rund zwei Jahren ein gemeinsames offenes Büro, tauschen sich ständig informell aus und leben so einen funktions- und hierarchieübergreifenden Teamgeist vor. Neu eingestellten Mitarbeitern muss die ungewohnte Struktur im Detail erklärt werden - von "gestandenen GPO-Veteranen", wie Mannmeusel sagt. Die Tatsache, dass es kein klassisches Kunden-Lieferanten-Verhältnis zwischen IT und Business gibt, sei nicht immer leicht vermittelbar.
Doch der CIO verfolgt unbeirrt seinen Weg. "Seit ich in der IT bin, irritieren mich die Diskussionen unter dem Motto IT versus Business'", bekennt der Münchner. "Ich vertrete den Standpunkt IT is Business is IT." Ihm sei es immer wichtig gewesen, die klassische IT-Organisation aus den Demand-Supply-Strukturen herauszuholen und zu einem "agilen, eng vermaschten virtuellen Business-Transformation-Team" zu entwickeln. Es gehe darum, Unternehmensprozesse ständig zu verbessern und die Basis für Produkt- und Prozessinnovationen zu legen. Das sei nur möglich, wenn die ITler unmittelbar in die Unternehmensprozesse und deren Gestaltung eingebunden würden.