Jeder wird mitgerissen und keiner kann sich entziehen ... so die Erkenntnis, wenn es um das Thema Digitalisierung geht. In vielen Gesprächen, die wir in den letzten Jahren geführt haben, wird Digitalisierung häufig als wenig greifbares Buzzword angesehen und vielfach als Schreckgespenst angesehen. Da helfen auch die unzähligen Vorträge zu Künstlicher Intelligenz (KI/AI), der Zukunft von Robotern oder das Fachsimpeln über Data Science, Drohnen & Neuroscience nur bedingt. Hier nun der Versuch, zu dem Überfluss an Informationen noch etwas beizutragen. Oder positiv ausgedrückt: Etwas Ordnung ins Chaos zu bringen.
Der Turing-Test
Alan Turing ist einer der Väter der Computertechnik. Er war es, der im zweiten Weltkrieg die deutsche Chiffrier-Maschine Enigma geknackt hat. Das galt als unmöglich, bis es Turing gelang. Er hat sich bereits in den vierziger Jahren des 20. Jahrhundert über künstliche Intelligenz Gedanken gemacht und 1950 das formuliert, was man heute den Turing-Test nennt. Also zu einer Zeit, als Computer noch voller Zahnräder und Relais waren.
Eine Testperson hat zwei Tastaturen. Über die eine kommuniziert sie mit einem Menschen, über die andere mit einer Maschine. Die Testperson weiß aber nicht, wer über welche Tastatur erreicht wird, und antwortet. Kann die Testperson nach einer eingehenden Befragung nicht beantworten, wer Mensch und wer Maschine ist, dann hat die Maschine den Test bestanden.
Das Einzige, was Turing nicht vorhergesehen hat, ist, dass digitale Assistenten wie zum Beispiel Alexa keiner Tastatur bedürfen, sondern bereits auf menschliche Sprache reagieren.
Noch können wir sehr schnell erkennen, ob wir mit einer Maschine sprechen. Bei dem Tempo der Entwicklung wird es aber von Jahr zu Jahr länger dauern, bis man sich sicher sein kann, ob man wirklich mit einer Maschine spricht. Chat-Bots bei Call Centern sind bereits auf dem Wege, Kunden immer besser zu betreuen. Und vermutlich werden diese Maschinen bereits in fünf Jahren in der Lage sein, zumindest den First Level Support komplett abzudecken.
Damit wäre der Turing Test bestanden!
Es wird immer schneller!
Als Konrad Zuse seine Computer konstruierte, war unter den ersten Geräten der Z3. Dieser Meilenstein der Computertechnik brachte es auf zwei Flops. Der Begriff Flops ist 'Computersprech' und bezeichnet die Anzahl von Fließkommaoperationen, die ein Computer pro Sekunde berechnen kann, also zum Beispiel Additionen. Der 1982 auf den Markt gebrachte C64 brachte es schon auf ganze 400 Flops. 400 Additionen pro Sekunde sind schon ein stolzer Wert. Eine Spielekonsole der neuesten Generation bringt es heute aber auf ganze 6 Billionen solcher Berechnungen (sechs Teraflops). Würde man eine Berechnung, die diese Konsole in 1 Sekunde schafft, einem C64 zumuten, bräuchte dieser dafür ganze 475 Jahre! Egal welche Rechenaufgabe dies sein könnte, würde in 475 Jahren sicher niemand mehr an dem Ergebnis Interesse haben.
Der Grund für diese rasante Entwicklung ist, dass das Mooresche Gesetz nach wie vor Gültigkeit besitzt. Moore - einer der Gründer von Intel - postulierte in den Siebziger Jahren, dass sich die Leistung von Computern in Abständen von ca. zwei Jahren verdoppeln wird. Die damit beschriebene exponentielle Entwicklung führt dazu, dass sich die Entwicklung der Rechenleistung immer schneller beschleunigt. Ein Ende ist nicht abzusehen.
Computer lernen, Computerspiele zu spielen
Um Maschinen darauf vorzubereiten, sich in der realen Welt zurecht zu finden, werden Computern normale Videospiele als Aufgabe gegeben. Der Algorithmus muss dann selbst herausfinden, was das Ziel des Spiels ist und wie erfolgreiches Handeln in der Spielewelt definiert wird. Per Kamera den Bildschirm erfassend, lernt das System beim Spielen, dass Geister in Pac-Man gefährlich sind, lernt, was zum Überleben dazu gehört. Das mag noch banal klingen - und auch banal sein.
In Spielen wie z.B. GTA wird es jedoch schon ungleich komplexer: In einer offenen Spielewelt mit Straßenverkehr, Flugzeugen, Wasserwegen unterschiedlichste Missionen zu bewältigen. Dafür ist es erforderlich, die Spielregeln zu verstehen. Eigentlich also ein Leben zu bewältigen.
Wenn Maschinen komplexe Open-World-Spiele meistern, dann werden sie auch - in einiger Zeit - in der Lage sein, sich in unserer realen Welt zu bewegen. Dies wird sicher zunächst in sozial beschränkten Rollen der Fall sein, wie z.B. der Paketzustellung, aber auch das wird nur ein Anfang sein. Bei der Zustellung von Paketen ist es zudem einfach, erfolgreiches Handeln zu messen: Zeit, Präzision der Zustellung lassen sich bewerten. Je komplexer die Rollen, desto schwieriger und werteabhängiger auch die Bemessung des Erfolgs.
Von diesen Werten ist abhängig, ob ich einen hilfsbereiten Pflegeroboter oder den Terminator vor mir habe: Es wird eine Frage der eingestellten Parameter sein. Für die Maschine wird es keinen Unterschied machen, ob sie sich in GTA 5 mit dem Auto bewegt oder in der realen Welt. Ein Unterschied besteht lediglich im Grad der Komplexität. Dieser Unterschied wird mit jedem neuen Teil der Spieleserie geringer: Unsere Welt steigt in ihrem Komplexitätsgrad nicht weiter an, jeder neue Teil der Spieleserie unterscheidet sich in Sachen Komplexität der Spielewelt enorm vom Vorgänger.
Es wird dunkler
Eines der Zauberworte der Digitalisierung ist 'Dunkelverarbeitung'. Damit werden Arbeitsabläufe bezeichnet, die ausschließlich von Maschinen durchgeführt werden. So werden in Versicherungen zunehmend Prozesse so weit automatisiert, dass vom Einscannen des Schriftstücks bis zum Begleichen des Schadens kein Mensch mehr beteiligt ist - nicht einmal an der Entscheidung, ob der Algorithmus die Bearbeitung eigenständig übernehmen kann. Einfache Schäden, mit eindeutiger Haftung, regelt die Maschine so schon komplett eigenständig.
Es zeichnet sich ab: bei einfachen Schäden funktioniert das bereits sehr gut und zuverlässig - und die Maschine lernt von Jahr zu Jahr dazu. Somit ist absehbar, dass per Dunkelverarbeitung immer komplexere Vorgänge übernommen werden. Dazu kommt, dass ein maschineller Algorithmus besser lernt als menschliche Kollegen es können: Kommt es an einem Standort einer Versicherung zu einer falschen Abrechnung eines Schadens, so kann der Fehler herausprogrammiert werden und wird nie wieder auftreten. In Deutschland gibt es derzeit ca. 5 Millionen Sachbearbeiter - diese Jobs werden mit Sicherheit zukünftig nicht alle entfallen, allerdings wird ein Großteil der aktuellen Tätigkeiten von Kollege Computer übernommen werden.
Jeder wird mitgerissen
Es ist praktisch nicht mehr möglich, sich der Digitalisierung zu entziehen: Ob beruflich oder privat, das Leben wird von digitalen Geräten und den darauf laufenden Medien gesteuert. Wer nicht mitmacht, der ist raus. Das gilt für den Bewerber, der seine Mappe nicht mehr als Papierversion versenden kann, genauso wie für den Kunden einer Versicherung, der nur noch über ein Webportal Kontakt mit seiner Versicherung aufnehmen kann.
Anfangs machen nur die First Mover bei einer Entwicklung mit - die digitale Avantgarde. Wenn sich diese dann aber erst einmal durchgesetzt hat, ist auch in diesem Bereich gesellschaftliche Teilhabe nicht mehr möglich, ohne die entsprechende App zu laden und zu nutzen; und im Zweifel auch - wohl oder übel - die eigenen Daten dem Anbieter anzuvertrauen, auch wenn man diesem nicht vertraut. Als Väter von Kindern im Schulalter könenn wir mit Fug und Recht sagen: In der Schule wird man ohne WhatsApp schnell einsam. Dieser Zwang für die Late Follower ist nicht erstaunlich, werden diese doch von den restlichen 80% der Bevölkerung belächelt, die die neuen Techniken bereits internalisiert haben. Noch nie in der Geschichte der Menschheit ist man zum alten Eisen gelegt worden, wenn man so lebt, wie es 20 Jahre früher noch ganz normal war.
Dieses Mitreißen hat aber nicht nur mit sozialem Druck zu tun: Immer stärker wird erkennbar, dass staatliche Behörden über digitale Technik die Überwachung und Steuerung der Bevölkerung fördern. Kameras mit Gesichtserkennung in öffentlichen Räumen sind nur das bekannteste Beispiel. Weiter am Horizont, aber in China bereits konkret für 2020 geplant, ist das Social Scoring: Erwünschtes Verhalten wird über einen Punktestand belohnt, abweichendes Verhalten mit Punktabzug bestraft.
Dieser Punktestand bedeutet keine Verurteilung vor Gericht, wird aber gewaltige Auswirkungen haben: Karrierechancen, Kreditvergabe, Partnerwahl sind nur drei Bereiche, in denen der Score die Lebenschancen eines Menschen bestimmen wird. Und das alles gesteuert durch einen Algorithmus, vollautomatisch, zuverlässig, unentrinnbar. Ob sie bei Rot über die Straße gehen und die Gesichtserkennung dies registriert, die Parteizeitung aufmerksam gelesen wird, Termine pünktlich eingehalten werden... All das kann potenziell in den persönlichen Wert einfließen. Da übrigens chinesische Tech-Giganten für die Realisierung stehen, sollten Sie nicht zu häufig im Internet gekaufte Artikel zurücksenden. Vielleicht senkt das schon den Social Score.
Das Leben ist eine Plattform
Angebot und Nachfrage zusammen zu bringen war in der Menschheitsgeschichte stets eine wichtige Aufgabe und über Jahrtausende hinweg wurde diese erfolgreich gelöst: Märkte, fliegende Händler und dann im 20. Jahrhundert das Warenhaus, Shopping-Malls und Konsumtempel gaben Konsumenten einen Ort, an dem sie kaufen konnten, was sie benötigen. Wir denken bei Angebot und Nachfrage immer direkt an den Handel, aber es geht um mehr: Bedarfsdeckung, Befriedigung verschiedenster Bedürfnisse.
Ob Mietauto, Hotelzimmer, Partnersuche, Recruiting oder auch Schichteinteilung: Überall müssen Angebot und Nachfrage zusammengebracht werden. Früher in vielfältiger Weise menschlicher Arbeit vorbehalten, haben Plattformen diese Aufgabe innerhalb weniger Jahre übernommen. Amazon ist nur das augenfälligste Beispiel dieser Entwicklung. Apps zur Schichteinteilung, zum Taxiruf oder zur Suche nach einem Ehepartner arbeiten am gleichen Thema: Angebot und Nachfrage zusammen zu bringen.
Doch diese Plattformen machen zunehmend mehr - und dieser zusätzliche Nutzen heißt: Matching. Ein Algorithmus prüft, ob die potenziellen Eheleute auch wirklich zusammenpassen. Vielleicht ist dieser Algorithmus sogar gut und die Ergebnisse helfen bei der Partnerwahl, um aus einer Vielzahl möglicher Kandidaten den oder die passende zu finden.
Aber was genau bedeutet passend? Dem Algorithmus müssen verschiedene Annahmen zugrunde liegen, z.B. die Hypothese, dass eine Beziehung zwischen zwei Menschen dann harmonisch und mit hoher Wahrscheinlichkeit von Dauer ist, wenn die beiden Menschen sich möglichst ähnlich sind. Das mag sogar stimmen. Trotzdem ist es so, dass Plattformen filtern und bestimmte Varianten damit gar nicht anbieten. Möglich sogar, dass die Angebote zu mir passen, aber da ich nie alle Optionen sehen kann, werde ich es auch nicht erfahren!
Hollywood lässt grüßen
Noch vor kurzer Zeit war die allgemeine Wahrnehmung, dass Science Fiction mehr Fiction als Science beinhaltet. Tatsächlich arbeiten aber auch Zukunftsforscher und Physiker an Drehbüchern mit. Das gilt sicher nicht für Trash Filme, dürfte aber bei großen, ernst zu nehmende Produktionen durchaus zutreffen: In Minority Report werden Täter bereits vor der Tat verhaftet, um diese zu verhindern. Predictive Policework geht bereits heute so weit, den wahrscheinlichen Ort für kommende Verbrechen zu prognostizieren.
In den USA werden Algorithmen bei der Entscheidung eingesetzt, ob Häftlinge auf Bewährung entlassen werden. Die Maschine berechnet die Wahrscheinlichkeit aufgrund biografischer Daten und trifft die Entscheidung über Freiheit oder Gefängnis. Sicher: Menschen haben über den Algorithmus entschieden, Kriterien definiert und Schwellenwerte gesetzt, dann aber übernimmt die Maschine eigenständig, ohne weiteren menschlichen Eingriff.
Eine weitere Entwicklung aus dem gleichen Film: Drohnen identifizieren Passanten. Sobald man sich in der Öffentlichkeit bewegt, wird ein Mensch technisch durch Drohnen identifiziert, was auf eine lückenlose Kontrolle hinausläuft. Auch hier haben wir bereits Ansätze zu einer solchen Entwicklung: Das derzeit wertvollste Startup in China hat das Ziel, mit Hilfe von Kameras im öffentlichen Raum alle Passanten zu identifizieren. Eingedenk der Tatsache, dass es bereits heute mit Hilfe hochauflösender Kameras möglich ist, aus einer Distanz von zwölf Metern einen Retina-Scan durchzuführen, könnte es sein, dass es gar nicht notwendig ist, Drohnen fliegen zu lassen, um alle Passanten zu identifizieren. Kameras an Laternenmasten könnten künftig völlig ausreichend sein.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen: ja. Dank der zunehmenden Digitalisierung nahezu aller Bereiche des Lebens und Arbeitens, sind wir konfrontiert mit unglaublichen Umwälzungen. Nichts wird mehr so sein, wie es mal war. Wir bewegen uns aus einer linearen in eine exponentielle Welt, in der Technologie frei verfügbar ist und viele der Science-Fiction-Visionen von vor 15 oder 10 Jahren plötzlich Realität werden. Es ist dabei an uns, diese Entwicklungen als Chance zu erkennen - sowohl gesellschaftlich, als auch auf Unternehmens- und Organisationsebene. Lassen Sie uns gemeinsam Digitalisierung als Chance erkennen und unsere Zukunft aktiv mitgestalten.
Es liegt in unserer Hand.