"In punkto Integration besteht nach wie vor Handlungsbedarf", sagte Jens Hungershausen, Vorstandsvorsitzender der Deutschsprachigen SAP Anwendergruppe (DSAG) zum Auftakt der auch in diesem Jahr virtuell abgehaltenen Jahreskonferenz der SAP-User-Group. Seit Jahren bemängeln die Nutzer die Integration der verschiedenen SAP-Anwendungen sowie von Partner- und Third-Party-Lösungen. Der Softwarekonzern gelobte schon 2019 Besserung und versprach seinen Kunden einen Schnittstellenausbau für End-to-end-Prozesse im SAP-Umfeld.
Zufrieden sind die Anwender damit allerdings noch nicht. Lediglich ein gutes Viertel der von der DSAG befragten Anwenderunternehmen beurteilt den derzeitigen Status quo in Sachen Integration als gut, 44 Prozent geben der SAP ein Befriedigend. Je 14 Prozent bewerten die Integration als lediglich ausreichend oder gar mangelhaft. "Das Ergebnis sollte von SAP als weiterer, deutlicher Weckruf verstanden werden", kommentierte Hungershausen dieses Ergebnis.
Auch bei der Harmonisierung der Datenmodelle hat SAP offenbar noch Arbeit vor sich. Lediglich 16 Prozent der befragten Nutzer bewerten die diesbezüglichen Fortschritte als sehr gut oder gut. "Harmonisierte Datenmodelle spielen im Hinblick auf eine intelligente, anwendungsübergreifende Vernetzung und Integration eine wesentliche Rolle", machte der DSAG-Chef klar. Dass nur 16 Prozent der Unternehmen damit zufrieden seien, deute auf einen großen Handlungs- und Aufklärungsbedarf hin.
"SAP liefert"
Christian Klein, der Vorstandsvorsitzende der SAP, verteidigte die Bemühungen des Softwarekonzerns. 2021 habe man bereits 280 Integrationen geliefert, im vierten Quartal dieses Jahres würden weitere 170 folgen. Generell mache SAP in Sachen Innovation gute Fortschritte. Im laufenden Jahr würden 3200 Innovationen in das eigene Softwareportfolio einfließen. Klein verwies auf ein Forschungs- und Entwicklungsbudget von rund fünf Milliarden Euro jährlich und stellte fest: "SAP liefert - bei Innovation und Integration".
Dass dies bei vielen Anwendern noch nicht so recht ankommt, könnte auch daran liegen, dass der Entwicklungs- und Innovationsfokus der Walldorfer vor allem auf der aktuellen Produktgeneration S/4HANA liegt. Nur ein Viertel der DSAG-Mitglieder setzt S/4HANA bereits ein, ein weiteres Fünftel steckt gerade in der Einführung. Die übrigen Unternehmen planen den Umstieg (37 Prozent), haben sich noch nicht entschieden (sechs Prozent) oder wollen gar nicht umsteigen (neun Prozent).
Das bedeutet aber auch, dass nach wie vor viele Betriebe mit älteren SAP-Releases arbeiten. Den Vorwurf, diese Anwender von der Innovations-Pipeline abzuschneiden, wollte SAP-Chef Klein nicht auf sich sitzen lassen. Er verwies beispielhaft auf regulatorische Anforderungen im Zuge des Brexit, die SAP in seine Altanwendungen eingepflegt habe. Dass solche gesetzlichen Veränderungen in der Software abgebildet werden, dürfte für die Nutzer älterer SAP-Applikationen allerdings selbstverständlich sein, zumal sie viel Geld für ihre Wartungsverträge zahlen. Ob sie jedoch auch in den Genuss der von Klein versprochenen KI-basierten Innovationen kommen, steht auf einem anderen Blatt.
Digitales Dilemma
Die aktuellen Zahlen belegen zwar, dass der S/4HANA-Zug Fahrt aufnimmt. So steigt der Anteil die Unternehmen, die bereits mit der aktuellen SAP-Software arbeiten, während die Zahl derer, die den Einsatz planen, allmählich abnimmt. Die Glücksgefühle der Betroffenen halten sich allerdings eher in Grenzen. Die Projekte gelten als aufwendig, teuer und sie ziehen sich meist über viele Jahre hin. Hungershausen stellte zudem fest, dass viele S/4HANA-Umsteiger noch immer eine rein technische Migration anstrebten und an organisatorischen Veränderungen kein Interesse hätten.
Der DSAG-Chef sprach von einem digitalen Dilemma, in dem viele Betriebe steckten. Sie müssten einen schwierigen Spagat schaffen zwischen der Existenzsicherung im Heute und der Vorbereitung auf das Morgen. Oft fehle es an Mut zur Veränderung. "Der Schwung von 2020 hat nachgelassen", konstatierte Hungershausen. Vielleicht fehle in manchen Fällen auch der Handlungsdruck, durch den Innovationen ausgebremst würden. Das könne sich später rächen.
Tatsächlich zeigt die DSAG-Umfrage zum Thema digitale Fortschritte, dass nur 54 Prozent zuversichtlich sind. Vor einem Jahr waren es noch 61 Prozent. Die Zahl derer, die nur langsam vorankommen, ist von 34 auf 38 Prozent gestiegen. Acht Prozent geben an, gar nicht voranzukommen beziehungsweise andere Prioritäten zu setzen. Vor einem Jahr waren es fünf Prozent.
Transformation - keine Frage Ob, sondern Wann
SAP-Chef Klein ermunterte die DSAG-Kunden denn auch zu einer mutigeren Transformation. Es gehe darum, Geschäftsmodelle und Prozesse auf den Prüfstand zu stellen und anzupassen, auch wenn diese in der Vergangenheit erfolgreich und profitabel funktioniert hätten. "Wir müssen jetzt handeln, um den Anschluss nicht zu verlieren." Der Manager entwarf das Bild eines tief vernetzten, intelligenten Unternehmens. Es gehe darum, Lieferketten neu zu denken. Vielerorts fehle es an Transparenz, Unternehmen bräuchten mehr Echtzeitsteuerung.
Klein zufolge geht es nicht mehr um die Frage ob, sondern wann sich die Unternehmen auf den Weg machten. Wenn sich Unternehmen schwer damit täten, liege dies auch daran, dass neue Business-Anforderungen mit einer komplexen IT-Realität kollidierten. Eine Brücke zwischen beiden Seiten will SAP mit seinem neuen Lösungspaket bauen. Das beinhaltet neben S/4HANA die Business Technology Platform (BTP) und, neu seit diesem Jahr, Business Process Intelligence (BPI), das im Wesentlichen auf den zugekauften Signavio-Lösungen basiert.
Der Weg in die Cloud ist für Klein alternativlos. Mit dem Anfang des Jahres vorgestellte Programm Rise with SAP wolle man den Kunden den Pfad dorthin ebnen. Anwender könnten sich damit ganz auf den digitalen Wandel ihres Geschäfts konzentrieren, während sich SAP um den Umstieg und Betrieb der dazugehörigen Software in der Cloud kümmere, lautet das Versprechen des Softwarekonzerns. Etliche Betriebe hätten sich bereits für dieses Programm entschieden, berichtet Klein, darunter der Einzelhändler Coop und Siemens Energy.
SAPs Cloud-Lösungen kommen nicht gut an
Doch so recht wollen die Anwender hier noch nicht mitziehen. Zwar stünden 46 Prozent der DSAG-Mitglieder der Cloud grundsätzlich positiv gegenüber. Das gelte aber nicht automatisch auch für SAPs Cloud-Lösungen. Laut Umfrage sprechen nur 30 Prozent der Kunden von positiven Cloud-Erfahrungen im SAP-Bereich. Mit Cloud-Lösungen anderer Hersteller haben dagegen 60 Prozent gute Erfahrungen gemacht. "Lediglich ein Drittel an Zustimmung ist ein überraschendes Ergebnis", sagte Hungershausen und empfahl SAP mehr Anstrengungen in Sachen Lizenzierung, Integration und Sicherheit. Beispielsweise benötigten Anwenderunternehmen bessere Testmöglichkeiten für SAP-Lösungen in der Cloud, ohne gleich mit einem Vertriebler über entsprechende Lizenzen verhandeln zu müssen.
SAP und DSAG betonten zur Jahrestagung der Anwendervertretung ihr gutes Verhältnis und verwiesen auf eine fruchtbare Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren. Doch in den Zwischentönen zeigte sich erneut, dass es an etlichen Stellen knirscht. Hungershausen sieht Diskussionsbedarf beim Thema Lizenzen und warnte vor einer digitalen Spaltung der Wirtschaft. Auch wenn die Folgen der Coronakrise in vielen Betrieben nicht so drastisch ausgefallen seien wie befürchtet, könne nicht jedes Unternehmen beliebig viel Geld in seine digitale Transformation stecken.
Sein österreichischer Kollege Walter Schinnerer verlangte von SAP mit Blick auf deren Cloud-Strategie mehr Wahlmöglichkeiten. Die Tatsache, dass SAPs Health-Lösung künftig nur noch als Cloud-Option angeboten werden solle, sei für die Kunden nicht akzeptabel. Bis Frühjahr 2022 erwartet Schinnerer eine Lösung für dieses Problem. Jean-Claude Flury als Vertreter der Schweizer SAP-Anwender sieht die Preismodelle von SAP kritisch und warnte den Softwarekonzern, sich seiner Kunden nicht zu sicher zu fühlen. Die Zeit der monolithischen Software-Suiten gehe zu Ende. Es gebe viele neue, flexible Anbieter am Markt, an denen sich auch eine SAP messen lassen müsse.