Digitalisierung

Was man von der Softwarebranche lernen kann - und was nicht

17.01.2018
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Philipp Depiereux ist Gründer und Geschäftsführer der Digitalberatung und Startup-Schmiede etventure.

Die Realität: Viel zu langwierig, viel zu teuer, viel zu perfekt

Soweit die Theorie. Umso erstaunlicher ist es, dass viele Softwareunternehmen genau den Faktor vergessen, der bei agilen Entwicklungsmethoden eigentlich im Fokus steht: den Nutzer. Gerade in Deutschland arbeiten Unternehmen - auch Softwareanbieter - noch immer vorwiegend nach Pflichten- und Lastenheft.

Von falsch verstandenem Perfektionismus getrieben, wird jahrelang in groß angelegten Projekten entwickelt und optimiert - oft im Geheimen und ohne auch nur einmal den Kunden nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu fragen. Das Ergebnis ist eine hoch komplexe “Monsterlösung”, die nach dem One-fits-all-Prinzip zwar viele Probleme löst, im Zweifel aber nicht genau die, vor denen der Kunde steht. Die Enttäuschung ist dann groß, wenn das vermeintlich perfekte Produkt nach dem Launch nicht von den Kunden angenommen wird.

Bestes Beispiel: Erst im vergangenen Jahr hatte die Bundesagentur für Arbeit ein millionenschweres IT-Projekt gestoppt. Die Software war vier Jahre lang entwickelt worden, bevor sich dann in ersten Tests zeigte, dass sie selbst minimalste Anforderungen - etwa die nachträgliche Änderung einer Kontonummer - nicht erfüllt. All das wäre mit einer nutzerzentrierten Herangehensweise vermeidbar gewesen. Hätte man den Kunden, also die Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit gefragt, welche Ansprüche er an die Software stellt, wäre zwar zunächst "nur" ein unfertiger Prototyp entstanden, den man aber dann kontinuierlich hätte optimieren können.

Digitale Transformation ist mehr als Software

Und auch in einer anderen Hinsicht ist eine zu starke Fokussierung auf die Softwarebranche eher kontraproduktiv. Denn gerade wenn Unternehmen zu sehr auf die Softwarebranche schielen, machen sie oft den Fehler, Digitalisierungsprojekte mit IT-Projekten gleichzusetzen.

Aussagen wie "Wir haben jetzt ein ERP-System, also sind wir digital" werden zum Mantra all jener, die die Ausmaße der digitalen Transformation nicht verstanden haben. Denn Digitalisierungsprojekte betreffen das gesamte Unternehmen - von Geschäftsmodellen über Prozesse bis hin zur Unternehmenskultur.

Technologie und Software sind ein wichtiger Faktor, aber längst nicht der einzige. Unternehmen machen also einen großen Fehler, wenn sie die IT-Abteilung mit der Aufgabe betrauen, die gesamte Organisation ins digitale Zeitalter zu führen. Stattdessen müssen Geschäftsführung und Vorstand die Treiber und Manager der digitalen Transformation werden - mit der IT alleine ist es nicht getan. (mb)