BMW, Siemens, Zalando

Was Konzerne in der AWS-Cloud tun

22.12.2020
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Amazon Web Services (AWS) profitiert davon, dass immer mehr Anwender auf die Cloud setzen. Viele planen, auch ihre Kernsysteme zu verlagern. Davon versprechen sie sich neue Möglichkeiten im Umgang mit Daten und geringere Kosten.
Die AWS-Verantwortlichen haben gut Lachen - in den vergangenen Monaten verzeichnete der Cloud-Anbieter eine rege Nachfrage nach seinen Services.
Die AWS-Verantwortlichen haben gut Lachen - in den vergangenen Monaten verzeichnete der Cloud-Anbieter eine rege Nachfrage nach seinen Services.
Foto: Sundry Photography - shutterstock.com

Immer mehr Unternehmen entscheiden sich, größere Teile ihrer IT-Infrastruktur in die Cloud zu verlagern. Dabei geht es längst nicht mehr darum, einzelne Cloud-Services an die meist on-premises betriebene Kern-IT anzuflanschen. Viele Betriebe gehen dazu über, komplette IT-Landschaften in die Cloud zu verlagern. Die Corona-Pandemie habe die Cloud-Adaption in den zurückliegenden Monaten stark beschleunigt, konstatierte Andy Jassy, CEO von Amazon Web Services (AWS), anlässlich der in diesem Jahr virtuell abgehaltenen Kundenkonferenz re:invent. So vermeldete der weltgrößte Public-Cloud-Provider etliche neue Abschlüsse, darunter auch mit einigen namhaften Unternehmen aus Deutschland.

Zalando: ML treibt Kundenerlebnis

Bereits im Vorfeld der Hausmesse erklärte Zalando AWS zu seinem bevorzugten Cloud-Anbieter. Der Online-Modehändler will künftig seine gesamten Workloads für maschinelles Lernen in der AWS-Cloud betreiben. Mit Hilfe von Kaufdaten der Kunden möchte Zalando Funktionen für ein personalisiertes Einkaufserlebnis entwickeln - etwa individuelle Produkt- und Größenempfehlungen oder die Vorhersage zukünftiger Outfit-Präferenzen. Darüber hinaus sollen die ML-Dienste von AWS helfen, Lagerbestände genauer vorausplanen, um die Paketliefer- und Rückgabezeiten zu präzisieren und die Verfügbarkeit der neuesten Modetrends in Echtzeit zu prognostizieren.

Ein Beispiel: Mithilfe von Datenanalysen konnte Zalandos Size&Fit-Team Retouren wegen nicht passender Produkte deutlich reduzieren. Möglich seien zum Beispiel Prognosen, wie die Passform eines Kleidungsstücks durch das Material oder den Stretch beeinflusst wird, sowie Größenempfehlungen, die den jeweiligen Präferenzen eines Kunden entsprächen.

Mit Hilfe von Machine-Learning-Tools in der AWS-Cloud will Zalando Retouren reduzieren - gut für den Geldbeutel des Modehändlers, aber auch gut für die Umwelt.
Mit Hilfe von Machine-Learning-Tools in der AWS-Cloud will Zalando Retouren reduzieren - gut für den Geldbeutel des Modehändlers, aber auch gut für die Umwelt.
Foto: nitpicker - shutterstock.com

"Mithilfe dieser Plattform können wir die Zeit für die Entwicklung und Implementierung hochmoderner Personalisierungstools und neuer Produktfunktionen stark verkürzen und die Kundenerfahrung kontinuierlich verbessern", sagte Rodrigue Schäfer, Vice President Digital Foundation bei Zalando. Weitere AWS-Dienste würden dazu beitragen, die Betriebseffizienz in allen Phasen der Customer Journey zu steigern - von der Lagerverwaltung bis hin zum Retouren-Management.

Zalando nutzt ein breites Portfolio an AWS-Diensten: Mit AWS Lake Formation entstand ein Data Lake, der auf Amazons Storage-Dienst S3 basiert. Zusätzlich zum Data Lake kombiniert der Online-Händler Daten aus internen SAP-Anwendungen wie Buchhaltung, Lieferkettenmanagement und E-Commerce-Plattformen mit dem Analyseportfolio von AWS, einschließlich AWS Glue, Amazon Redshift und Amazon Athena.

BMW: Die Data-Lake-Drehscheibe

Auch BMW hat eine strategische Kooperation mit AWS angekündigt. Als Teil einer weitreichenden Zusammenarbeit will der Autobauer Daten aus Geschäfts- und Betriebsbereichen in über 100 Ländern in die AWS-Cloud umziehen. Der Umzug beinhalte zudem eine Reihe von zentralen IT-Systemen und Datenbanken, beispielsweise aus dem Vertrieb, der Produktion und der Wartung, hieß es. Die Ziele der Münchner: Die Agilität der Softwareentwicklung erhöhen, neue Erkenntnisse durch Datenanalysen gewinnen und schneller neue Kundenerlebnisse schaffen.

Zentraler Baustein von BMWs Cloud-Datenstrategie ist ebenfalls ein auf Amazon S3 basierender Data Lake. BMWs "Cloud Data Hub" soll Dreh- und Angelpunkt für die Verwaltung von unternehmensweiten Daten und Datenlösungen in der Cloud werden. Mitarbeiter aus allen Unternehmensbereichen könnten hier analytische und datengetriebene Anwendungen implementieren und betreiben, so der Plan der BMW-Verantwortlichen. Dafür würden auch verschiedene AWS-Dienste wie der Machine-Learning- (ML-)Service Sagemaker mit eingebunden, um Entwicklungs-, Produktions-, Verkaufs- und Fahrzeugleistungsdaten auch in Größenordnungen von mehreren Petabytes abzufragen, zu verarbeiten und anzureichern.

BMW verspricht sich davon beispielsweise, die Nachfrage nach Fahrzeugmodellen und Ausstattungsoptionen weltweit besser prognostizieren sowie die Planung im Einkauf, in der Produktion und im Vertrieb optimieren zu können. AWS Sagemaker soll BMW künftig auch dabei helfen Fahrzeugdaten zu analysieren, um die Betriebseigenschaften und Leistung von einzelnen Teilen vorherzusagen sowie auf dieser Basis proaktiv Wartungsempfehlungen zu geben. Zulieferer könnten so exakter über potenzielle Probleme in ihren Fertigungsprozessen informiert werden.

"Wir stellen Daten in den Mittelpunkt unserer Arbeit", sagte Alexander Buresch, CIO und Senior Vice President BMW Group IT, zur ausgeweiteten Zusammenarbeit mit AWS. Dafür sollen bis zu 5.000 Softwareentwickler von BMW in AWS-Technologien geschult werden, um die gesamte Belegschaft des Autobauers weltweit in die Lage zu versetzen, Daten besser zu nutzen. Rund 2.000 Mitarbeiter sollen speziell für AWS-Dienste mit Schwerpunkt auf maschinelles Lernen und Datenanalyse zertifiziert werden.

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Geplant ist zudem die projektbasierte Zusammenarbeit von BMW-Entwicklern und -Mitarbeitern mit den Profis von AWS Professional Services. Beispielsweise planen die Partner, eine Lösung für die Verarbeitung natürlicher Sprache (Natural Language Processing) zu entwickeln, die für die in der Automobilindustrie verwendete Terminologie optimiert ist und Daten aus verschiedenen Textquellen automatisch extrahieren, verarbeiten und übersetzen kann.

Siemens: SAP in der AWS-Cloud

Siemens Smart Infrastructure, ein Geschäftsbereich der Siemens AG mit Fokus auf Energieverteilung, Gebäudeautomation und -Steuerungssysteme, kündigte an, seine SAP-Infrastruktur in die AWS-Cloud zu verlagern. Bis Ende 2021 sollen über 20 Enterprise-Resource-Planning-(ERP) und Supply-Chain-Management-(SCM)-Systeme, die auf SAP HANA basieren, migriert werden. Die Ziele der Münchner: Durch die Verlagerung dieser Workloads in die Amazon-Cloud sollen die Hardware-Refresh-Zyklen deutlich verkürzt und die Grundlage für die zukünftige Transformation des Unternehmens mit SAP S/4HANA-Technologie geschaffen werden. Außerdem will man agiler beim Testen und Bereitstellen neuer Systeme werden.

Die Smart-Infrastructure-Sparte könnte als Testballon für den gesamten Siemens-Konzern dienen. Es sei die erste Migration von SAP-Systemen im Produktionsmaßstab in die Cloud im gesamten Konzern der Siemens AG, hieß es. Siemens Smart Infrastructure rechnet eigenen Angaben zufolge mit erheblichen Kosteneinsparungen im Laufe der nächsten drei Jahre.

Die SAP-Migration zu AWS bezeichneten die Verantwortlichen als zentralen Bestandteil ihres strategischen Plans, die Modernisierung des Unternehmens zu beschleunigen. Auch Siemens Smart Infrastructure plant eine tiefe Verzahnung der einzelnen Lösungen. So sollen die SAP-Umgebungen mit verschiedenen AWS-Diensten aus den Bereichen Analytik und maschinelles Lernen integriert werden. So sollen neue Geschäftswerte erschlossen und Innovationen vorangetrieben werden. Das sei bis dato nicht möglich gewesen, da die SAP-Systeme vom Rest des Unternehmens in räumlich getrennten Rechenzentren abgeschottet waren, räumten die Verantwortlichen ein.

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Als Grundlage der neuen Cloud-basierten SAP-Umgebung wird Siemens Smart Infrastructure AWS-Instanzen der Amazon Elastic Compute Cloud (Amazon EC2) nutzen, darunter speicheroptimierte R5-Instanzen für Big-Data-Analyse-Workloads in Echtzeit sowie X1- und X1e-Instanzen, die für Hochleistungs- und In-Memory-Datenbanken sowie andere speicherintensive Unternehmensanwendungen entwickelt wurden. Darüber hinaus nutzen die Münchner eine Reihe weiterer AWS-Dienste, darunter die MySQL- und PostgreSQL-kompatible relationale Cloud-Datenbank Amazon Aurora, den Serverless-Compute-Service AWS Lambda und Amazons Graph-Datenbank Neptune.

Star Alliance: Datengesteuert in der AWS-Cloud

Star Alliance, ein Airline-Verbund mit 26 Fluggesellschaften, darunter auch die Lufthansa, will seine gesamte IT-Infrastruktur in die Cloud verlagern. Zusammen mit Tata Consultancy Services (TCS) sollen alle Daten, Plattformen und geschäftskritischen Anwendungen in die AWS-Infrastruktur migriert werden. Eigene Rechenzentren sollen geschlossen werden. Die Star-Alliance-Verantwortlichen gehen davon aus, mit diesem Schritt die Gesamtbetriebskosten ihrer IT-Infrastruktur um 25 Prozent senken zu können.

Offenbar haben auch die Erfahrungen aus der jüngeren Vergangenheit die Verantwortlichen veranlasst, sich noch mehr auf die Cloud einzulassen. Star Alliance arbeitet bereits mit AWS zusammen. Im Zuge der Reisebeschränkungen in Folge der Corona-Pandemie sei es gelungen, den Aufwand für Infrastrukturessourcen um 30 Prozent herunterzufahren, indem die AWS-Nutzung flexibel nach unten skaliert wurde, hieß es in einer Mitteilung.

Nun wollen sich die Fluggesellschaften mit Hilfe von AWS darauf vorbereiten, ihren Betrieb für die Zeit nach Corona möglichst flexibel und effizient wieder hochzufahren. Die Pandemie habe gezeigt, wie wertvoll es sein könne, eine flexible und agile Infrastruktur in der Cloud zu haben, sagte Jeremy Drury, Head of Digital & Technology bei Star Alliance. "Niemand hätte vorhersagen können, was bisher im Jahr 2020 passiert ist, aber durch unsere Zusammenarbeit mit AWS konnten wir unsere Ziele schnell anpassen und unsere Ausgaben zurückfahren."

Die Flugbranche hat die Corona-Pandemie besonders heftig gebeutelt. Der Großteil der Flugzeugflotten blieb am Boden. Im Vorteil waren die Anbieter, die ihre IT-Ressourcen flexibel zurückfahren konnten.
Die Flugbranche hat die Corona-Pandemie besonders heftig gebeutelt. Der Großteil der Flugzeugflotten blieb am Boden. Im Vorteil waren die Anbieter, die ihre IT-Ressourcen flexibel zurückfahren konnten.
Foto: Anton_Ivanov - shutterstock.com

"Bei der Anpassung und Skalierung unseres Unternehmens als Reaktion auf die globale Pandemie war es noch nie so wichtig wie heute, unsere Effizienz zu erhöhen und unsere globale IT-Infrastruktur flexibler zu gestalten", ergänzte Jeffrey Goh, CEO der Star Alliance, und kündigte an: "Wir wollen Modelle zum maschinellen Lernen einsetzen, um neue Services einzuführen, die das Reiseerlebnis für die Millionen von Passagieren neu gestalten."

Dafür will sich auch die Star Alliance zu einer datengesteuerten Organisation entwickeln. Die Basis sollen verschiedenste AWS-Dienste bilden, darunter Datenbanken wie Amazon Relational Database Service (Amazon RDS), der AWS-Serverless-Dienst Athena sowie die Business-Intelligence-Services rund um Amazon QuickSight. Das Ziel: die künftige Reisenachfrage und die Trends besser erkennen und vorhersagen zu können.

Dabei helfen soll unter anderem die Migration von Legacy-Datenbanken auf Amazon Aurora. Die Kundenservice-Teams der Star-Alliance-Mitglieder könnten so datenbasiert bessere Entscheidungen treffen, hieß es - beispielsweise um Präferenzen der Passagiere zu berücksichtigen oder personalisierte Reiseerlebnisse zu bieten.

Darüber hinaus plant auch Star Alliance, einen Data Lake auf Amazon S3 einzurichten. Dort soll der Datenzugriff für die zur Allianz gehörenden Fluggesellschaften zentralisiert werden, um so die Entwicklung von Unternehmensanwendungen und Kundenfunktionen beschleunigen zu können. Entwickler und Data Scientists sollen mit AWS-Services in die Lage versetzt werden, Modelle für maschinelles Lernen auf die im Data Lake konsolidierten Daten erstellen, trainieren und bereitstellen zu können.

Cloud-Migration: Mehr Möglichkeiten, mehr Komplexität

Die Beispiele von BMW, Siemens, Star Alliance und Zalando lassen zwar durchaus erkennen, dass der Weg in die Cloud mehr Flexibilität gerade hinsichtlich der Kosten und Möglichkeiten im Umgang mit Daten eröffnet. Gleichzeitig lässt sich aber auch erahnen, wie komplex kommende IT-Landschaften sein werden. Gerade die Verzahnung von internen On-premises-Ressourcen mit verschiedenen Cloud-Diensten, aber auch die unzähligen Kombinationen von unterschiedlichsten Services in einer Cloud dürften nicht so leicht wieder zu lösen sein. In der Folge können sich neue Abhängigkeiten entwickeln, die Anwenderunternehmen bei aller Cloud-Begeisterung nicht aus den Augen verlieren sollten.