Nach mehreren Jahrzehnten, in denen die Kommunikation im Netz auf der Übertragung von (immer größeren) Bit-Blöcken beruht, stellen sich immer mehr Menschen die Frage, ob das nicht auch besser - beziehungsweise vertrauenswürdiger - geht. Für viele heißt die Lösung dafür Web3 - auch wenn davon keine allgemeingültige Definition existiert - vielmehr hat jeder wohl eine etwas andere Vorstellung davon, was dieses Akronym bedeutet. Der Basiskonsens: Die besten Ideen der Kryptowährungs-Welt auf das Web zu übertragen.
In gewisser Hinsicht ist das nur der nächste logische Schritt: Die bekanntesten Kryptowährungen, Bitcoin und Ether, sind seit mehr als einem Jahrzehnt in Arbeit. Dabei wird seit vielen Jahren davon gesprochen, die Blockchain-Technologie auch für nicht-monetäre Tasks einzusetzen. Datenbank-Anbieter wie Oracle haben entsprechende Funktionen bereits integriert.
Doch auch bei diesem Thema gibt es stets skeptische Stimmen, die spitze Einwände vorbringen. Zum Beispiel, dass Kryptowährungen den Betrug im Netz nicht beseitigt, sondern lediglich neue Betrugsformen ermöglicht haben. Das ist eine Sache, solange ein paar Eiferer in einer Nische experimentieren. Wenn dieselben Algorithmen Teil unsereres Alltags werden sollen, sieht die Sache anders aus.
Wir haben sieben Gründe zusammengestellt, die für - und gegen - Web3 sprechen.
1. Dezentralisierung
Pro: Dezentralisierte Kontrolle hilft uns allen
Verantwortung zu teilen, war einer der wichtigsten Beweggründe für die Erfindung von Bitcoin. Auch das Internet war einst als dezentralisiertes Netzwerk geplant. Web3 macht sich diese Idee zu Eigen und stellt sich gegen die Idee, dass einzelne Personen oder Organisationen als Gatekeeper für Transaktionen fungieren.
Die Vision von dezentralisierter, geteilter Kontrolle würde so gut wie allen Markt- und Lebensbereichen guttun. So mancher mag das Konzept für etwas so "Triviales" wie das Internet übertrieben halten. Selbst ein flüchtiger Blick auf die jüngste Geschichte zeigt jedoch, dass Machkonzentrationen äußert problematische Folgen nach sich ziehen können.
Kontra: Dezentralisierung ist ein Wunschtraum
Während die Algorithmen voller theoretischer Versprechen stecken, halten die realen Implementierungen nicht immer, was versprochen wurde. So wird etwa das Bitcoin-Mining von einer Handvoll Mining-Pools beherrscht, weil die Kosten dafür exorbitant hoch sind. Die Vorstellung, dass die ganze Welt "Kumbaya" anstimmt und gemeinschaftlich jeden neuen Block absegnet, ist extrem weit von der Realität entfernt. Wenn schon die prominenteste Kryptowährung in der Hand einiger weniger liegt, welche Hoffnung gibt es dann noch für kleinere Nischen?
2. Energieverbrauch
Pro: Bessere Web3-Protokolle, weniger Energieverbrauch
Nur weil Bitcoin-Mining viel Energie verbraucht, gilt das nicht zwingendermaßen für Web3. Schließlich gibt es eine Vielzahl von Konsensmechanismen, die weniger energieintensiv sind - etwa Proof-of-Stake. Dieses neurale, dezentrale Protokoll ist nicht perfekt, könnte sich aber zu einem angemessenen Modell für Teile des Web3 entwickeln. Auch die Idee einer Blockchain, die von einer Koalition mehrerer, vertrauenswürdiger Instanzen gemanagt wird, steht dabei im Raum: Dieses Modell wäre in der Theorie nicht dezentral - könnte aber (wenn die Koalition groß genug und der Prozess offen ist) zu einem deutlich energieärmeren Betrieb führen.
Kontra: Web3 als Energiefresser
Krypto-Verfechter sind davon überzeugt, dass es keine wirkliche Alternative zum energiehungrigen Proof-of-Work-Verfahren gibt, wenn Web3 erfolgreich sein soll. Behalten die Vertreter dieses Lagers recht, wird der Aufbau massiv Energie verschlingen.
3. Daten
Pro: Web3 produziert bessere Daten
Unser Leben hängt zunehmend von Daten ab. Jede Maßnahme, die dazu beiträgt, deren Genauigkeit zu erhöhen, ist also zuträglich - insbesondere, wenn die Informationen für die Entscheidungsfindung genutzt werden. Ein Nebeneffekt von robusteren Signaturen und Protokollen für jede Interaktion: mehr Struktur. Daten mit unzureichender Qualität werden zwar immer noch einen Weg in den Mix finden, aber Kryptografie zwingt den Algorithmen Präzision auf. Deswegen wird das Web3 zwangsläufig genauere und bessere Daten zur Verfügung stellen.
Kontra: Web3 ist zu spröde
Befürworter kryptografischer Algorithmen sprechen gerne davon, wie empfindlich diese selbst auf kleinste Veränderungen reagieren. Die Schattenseite dieser Empfindlichkeit: die Algorithmen sind spröde. Chips sind viel widerstandsfähiger, aber ebenfalls nicht perfekt. Die große Herausforderung für Web3 wird darin bestehen, einen Weg zu finden, minimale Abstufungen erkennen zu können, um unwichtige Nebengeräusche von Betrugsversuchen unterscheiden zu können.
4. Security
Pro: Web3 schlägt Zero Trust
Einige Sicherheitsteams streben danach, Zero-Trust-Prinzipien auf ihren Stack anzuwenden. Die Web3-Algorithmen gehen darüber hinaus, weil sie digitale Signaturen einbetten, die die Vollständigkeit und Richtigkeit der Daten überprüfen. Statt also jedem einzelnen Datenpaket blind zu misstrauen, können sich die Systeme auf das allgemeine Netzwerk der User verlassen, um die Daten zu kontrollieren. Web3 setzt die Zero-Trust-Prinizipien also nicht nur am Perimeter um, sondern durchgängig.
Kontra: Web3 ist zu komplex
Es gibt viele traurige Beispiele für Smart Contracts, die zum Albtraum geworden sind (siehe beispielsweise hier, hier, hier oder hier). Die Unveränderlichkeit der Blockchain weist an dieser Stelle eine dunkle Seite auf: Fehler müssen ausgebadet werden. Kluge Entwickler müssen - und werden - also einen Weg finden, einen Workaround einzubauen, der es ermöglicht, dumme oder versehentliche Entscheidungen rückgängig zu machen. Dabei wird und muss es allerdings auch Grenzen geben: Wenn die Datenstrukturen und das Web of Assurance einen echten Wert haben sollen, müssen sich die Benutzer an diese halten.
- PKI
Die PKI bietet durch Schlüsselpaare (öffentlicher und privater Schlüssel) eines jeden Teilnehmers die Möglichkeit, Daten oder Transaktionen zu ver- und entschlüsseln. Der öffentliche Schlüssel eines Teilnehmers (hier Empfänger), welcher dem gesamten Netzwerk bekannt ist, kann vom Sender zum Verschlüsseln von Daten beziehungsweise Transaktionen genutzt werden. Der private Schlüssel, welchen nur der Empfänger selbst kennt, ermöglicht es diesem, die Nachricht zu entschlüsseln und somit zu lesen. Dank der Einzigartigkeit des privaten Schlüssels ist auch die digitale Signatur eines Dokuments oder einer Transaktion möglich. Verschlüsselt eine Person mit ihrem privaten Schlüssel ein Dokument, so können Andere mittels des öffentlichen Schlüssels die Zugehörigkeit zu dieser Person verifizieren. - Hash-Werte
Um die Echtheit des Dokuments zu beglaubigen, kommen sogenannte Hash-Funktionen zum Einsatz. Diese können jede Transaktion in einen String bestimmter Länge – den Hash-Wert – verwandeln. Die Besonderheit dabei ist, dass die Funktionen nicht umkehrbar sind. Vom Hash-Wert allein kann nicht auf den Inhalt des Dokuments geschlossen werden. Ein unveränderter Inhalt hingegen generiert bei gleicher Hash-Funktion immer den gleichen Hash-Wert, sodass das Verfahren genutzt werden kann, unveränderte Daten zu verifizieren. - Blöcke
Nicht nur die Daten beziehungsweise Transaktionen an sich werden mittels Hash-Funktionen verschlüsselt, sondern auch eine Ansammlung derer, sogenannte Blöcke. Das Erstellen eines Blocks ist das Produkt des Konsensus-Algorithmus, bei welchem teilnehmende Netzwerkknoten, im Falle von Bitcoin spricht man dabei von Minern, versuchen, ein mathematisches Problem (Hash-Puzzel) am schnellsten zu lösen. Der Gewinner darf dann den Block erstellen und zur Validierung ins Netzwerk einspeisen. Durch das Einpflegen des Hash-Werts des vorherigen Blocks in den neuen Block und das anschließende Hashen, entsteht eine Verkettung der Blöcke über ihre Hashwerte. Dies gibt der Blockchain ihren Namen und schafft Sicherheit über die Unveränderlichkeit der gespeicherten Daten: Denn ändert sich der Inhalt nur eines einzigen vergangenen Blocks, so müssten sich alle Hash-Werte der darauffolgenden Blöcke ebenfalls ändern. Da diese Blockchain dann jedoch abweichend zu denen der anderen Netzwerkknoten wäre, flöge der Betrug auf.
5. Programmierung
Pro: Web3 zwingt, besser zu programmieren
Software zu programmieren, ist schwierig. So gut wir dabei auch sein wollen, in der Regel schleichen sich Fehler in unseren Code. Die Web3-Ideale fügen an dieser Stelle eine zusätzliche Ebene der Disziplin ein - was den Entwicklern mehr Arbeit macht, aber sie auch dabei unterstützen kann, bessere Arbeit zu leisten.
Kontra: Web3 ist Overkill
Im Gespräch mit dem CEO einer großen Bank schwärmte ich einmal davon, wieviel zusätzliche Sicherheit digitale Signaturen bieten. Seiner Meinung nach war eine gute Datenbank, die in den 1960er Jahren geschrieben wurde und auf einer Mainframe-Architektur aus dieser Zeit läuft, ausreichend. Warum alles verkomplizieren? Warum mehr Geld ausgeben und eine neue Baustelle aufmachen, indem man eine zusätzliche Sicherheitsebene hinzufügt?
6. Ethik
Pro: Web3 zieht Nutzer zur Verantwortung
Viele der Probleme des Internets beginnen mit Menschen, die keine Verantwortung für ihr Handeln tragen. Das ändert sich in der Web3-Welt, die auf Sicherheit aufbaut und deren Algorithmen nach "Namen" fragen (auch wenn es sich dabei um Pseudonyme handelt). Deshalb schaffen Web3-Implementierungen eine echte Verantwortlichkeit für den Nutzer. Selbst wenn das noch nicht perfekt ist - es ist eine Verbesserung des Status Quo.
Kontra: Web3-Garantien sind bloße Illusion
Eines der schwerwiegendsten Probleme mit digitalen Signaturen und der Blockchain: Was, wenn die allmächtigen Algorithmen Fehler machen? Einige Blockchain-Betreiber haben in solchen Fällen bereits Ausnahmen gemacht und die Vergangenheit "umgeschrieben". Das kann zur Überzeugung führen, dass es mit den hehren Prinzipien des Web3 im Grunde doch nicht so weit her ist.
7. Das große Ganze
Pro: Web3 schlägt die Alternativen
Kryptowährungen und Web3 werden vielleicht nicht die Probleme der Welt lösen. Eventuell werden sie auch niemals eine dauerhafte und absolut vertrauenswürdige Lösung bieten. Vielleicht reicht es aber auch einfach schon aus, wenn sie besser sind, beziehungsweise besser funktionieren als menschengemachte Institutionen wie Zentralbanken und Regulierungsbehörden.
Kontra: Web3 wird den Spaß verderben
Das Internet war einst ein wilder und freier Ort, der von der flüchtigen und unpersönlichen Abkopplung von der Permanenz lebte. Die Sicherheit und Dauerhaftigkeit der Blockchain bedeutet, dass Sie künftig nicht mehr behaupten können, das alles wäre nur passiert, weil jemand ihre Identität gestohlen oder Ihr Konto gehackt hat. Wenn jeder Klick in Stein gemeißelt ist, ist der Spaß vorbei und das große Schwitzen beginnt. (fm)
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Infoworld.