Arbeitswelt im Umbruch

Was für und gegen New Work spricht

Kommentar  11.12.2020
Von 

Frank Schabel ist freiberuflicher Senior Advisor. Zuvor war er bei SAP, CSC Ploenzke sowie Hays in leitendender Funktion in den Bereichen Marketing und Kommunikation tätig.

New Work hat gute Ansätze. Doch diese bergen Risiken, weil sie – Stichwort Ambidextrie – stark mit tradierten Organisationsformen konkurrieren und Mitarbeiter noch kontrollierbarer werden.
Ob mit New Work wirklich freies Arbeiten entsteht, ist eine offene Frage. Digitale Technologien ermöglichen eine ungleich engmaschigere Kontrolle der Mitarbeiter.
Ob mit New Work wirklich freies Arbeiten entsteht, ist eine offene Frage. Digitale Technologien ermöglichen eine ungleich engmaschigere Kontrolle der Mitarbeiter.
Foto: Vasin Lee - shutterstock.com

New Work ist weder im Silicon Valley entstanden, noch wurde der Begriff von digital geprägten Nerds kreiert. Vielmehr liegt der Ursprung von New Work im Rostgürtel der USA. Ins Leben gerufen hat ihn der Philosoph Frithjof Bergmann in den 80er Jahren im Kontext einer auch damals kriselnden, tayloristischen Automobilindustrie. Ihm ging es um nicht weniger als die Selbstverwirklichung der Menschen in ihrer Arbeit. Klassische Lohnarbeit, so Bergmann, verhindere, dass Menschen ihre Potenziale frei und selbstbestimmt entfalten. Sein Credo lautete: "New Work ist die Arbeit, die ein Mensch wirklich will." Dass New Work seit einigen Jahren eine Renaissance erlebt, liegt an zwei wesentlichen Gründen:

  1. Zum einen an der Digitalisierung, die neue Formen der Vernetzung und dadurch einen ungleich höheren Flexibilisierungsgrad eröffnet. Mitarbeiter entscheiden selbst, wann und wo sie arbeiten.

  2. Zum anderen forciert die intensiv geführte, ethische Diskussion, die Privatwirtschaft solle sich künftig am Gemeinwohl und nicht am Profit orientieren, den Hype um New Work. Gerade jüngere Generationen proklamieren in Anbetracht der drohenden Klimakatastrophe einen Wertewandel, der auch vor ihrer eigenen Arbeit nicht halten machen soll. New Work soll einen gesellschaftlichen Beitrag leisten und Sinn stiften.

New-Work-Bausteine

Doch bei allem Hype um "Purpose" dreht sich die gegenwärtige Diskussion über New Work primär um Methoden und Strukturen. Im Gegensatz zu Bergmanns philosophischen Auffassungen bewegt sie sich daher auf einer instrumentellen Ebene. Hier geht es um flexible Arbeitsformen, agile Methoden und demokratischere Organisationen, die einer neuen Rolle von Führung bedürfen. Auch wenn vieles das Label New Work trägt und von Beratern oder Evangelisten als solches verkauft wird, bilden die folgenden Themen die wesentlichen Bausteine:

  • Flexibilisierung der Arbeit: Feste Arbeitszeiten an einer im Vertrag definierten Betriebsstätte gibt es für Wissensarbeiter kaum mehr. Sie bestimmen selbst, wann sie ihre Aufgaben erledigen und ob sie dies von zu Hause, im Café oder im Büro tun. Dadurch lassen sich Arbeit und Privatleben sowie Familie besser ausloten - gerade für junge Menschen ist Work-Life-Balance wichtig. Ermöglicht wird diese Flexibilisierung durch einen hohen Grad an Konnektivität, die den Zugriff auf Systeme und Anwendungen des Unternehmens von überall aus realisiert.

  • agile Methoden: New Work ist eng mit agilen Methoden wie Scrum, Kanban, Design Thinking oder Lean Startup verwoben. Sie zeichnet aus, dass sie sich von starren Projektplanungen verabschieden und stattdessen auf iterative Herangehensweisen setzen. Das bedeutet, Arbeit wird nicht mehr top-down über klassische Führung gesteuert, sondern direkt in selbstorganisierten und eigenverantwortlichen Teams verhandelt. Das erfordert ein hohes Maß an offener und transparenter Kommunikation.

  • Demokratisierung der Organisation: Wenn Teams agil arbeiten, wirkt sich dies auf die gesamte Organisationsstruktur aus. New Work wird folglich zur Metapher für flachere Hierarchien und eine Organisation, die nicht mehr von "Command" und "Control" oder von Standards, sondern von selbstbestimmter Arbeit der Mitarbeiter geprägt ist.

  • Transformationale Führung: Auf diesem Boden entstehen neue Führungsmodelle, in denen es mehr um Coaching und Moderation sowie Storytelling geht. Einige Unternehmen, gerade Startups, gehen sogar noch einen Schritt weiter und wählen ihre Führungskräfte basisdemokratisch auf Zeit oder führen holokratische Organisationsmodelle ein: In ihnen entscheiden die Mitarbeiter in ausgeklügelten Prozessen über den Kurs des Unternehmens.

  • Hippe Büros: Das Büro entwickelt sich von einer funktionalen, auf Effizienz ausgerichteten Fläche hin zu einer Spielwiese. In ihr gibt es Räume für konzentriertes Arbeiten genauso wie Orte für spontane Treffen oder Team-Büros, die für Design-Thinking-Arbeiten ausgestattet sind. Ganz zu schweigen von den berühmt-berüchtigten Kickertischen oder anderen Dingen, die den Büroalltag versüßen (oder Menschen an den Arbeitsort binden).

New-Work-Risiken

Auf dem Papier klingen die New-Work-Ansätze gut. Gleichwohl bergen sie Risiken. New Work findet nicht auf einer grünen Wiese statt. So kollidieren gelebte New-Work-Modelle in der IT oder kreativen Unternehmensbereichen mit den tradierten Organisationsformen. Denn letztere dominieren nach wie vor den Alltag vieler Unternehmen. Im alltäglichen Geschäft stehen Prozessoptimierung, Effizienzsteigerung oder der Ausbau des Kerngeschäfts nach wie vor ganz oben auf der Agenda, während sich die Implementierung selbstorganisierter Teams oder der Abbau von Hierarchien hinten anstellen müssen. Hier kommt es zu kulturellen Konflikten, die belastend sind. Das wird heute so schön als Ambidextrie bezeichnet, also Beidhändigkeit.

Kontrolle ist auch das zweite kritische Stichwort zu den Verheißungen von New Work. Ob ein Reich der Freiheit entsteht, ist eine - Stand heute - offene Frage. Digitale Technologien ermöglichen eine ungleich engmaschigere Mitarbeiterkontrolle. Neue Tools, die in den letzten Jahren implementiert wurden, erfassen, was sie tun (oder nicht tun). Nicht der Vorgesetzte könnte künftig die Arbeitsleistung monitoren, sondern die Black Box. Mit Kickern ist es dann nicht mehr weit her, die agile Welt der Freiheit entpuppt sich als ihr Gegenteil.

Im letzten Punkt geht es um die Flexibilität der Arbeit. Ja, sie ermöglicht, Familie, Freizeit und Arbeit nach eigenem Gusto auszuloten. Doch die Kehrseite lautet, dass die Grenzen zwischen Arbeit- und Privatleben verschwimmen. Auf einmal hat Arbeit keinen zeitlichen Endpunkt und keinen dezidierten Raum mehr. Sie findet latent immer statt. Das belastet Mitarbeiter. Die steigende Zahl an Menschen mit Burnout oder psychischen Erkrankungen spricht Bände. Die vielbeschworene Achtsamkeit umfasst mehr als Meditation und Yoga für das eigene Wohlergehen, sie bedarf klarer Regeln.

Neue Prämissen in der Arbeitswelt

Halten wir fest: New-Work-Ansätze verändern die Arbeitswelt nachhaltig, wenn sie realisiert sind. Allerdings stoßen sie auf eine Welt, in der andere Prämissen gelten. Dadurch entstehen zwangsläufig Paradoxien, deren Auflösung ein schwieriges Unterfangen ist. Dazu bedarf es ebenfalls Spielregeln.

Gleichzeitig gilt es, Mitarbeiter in ihrer Resilienz, ihrer Ambiguitätstoleranz und ihrer Veränderungsbereitschaft zu unterstützen. Dazu tragen vielleicht die Digitalisierung und Automatisierung bei, denen wir in nicht allzu ferner Zeit eine radikale Arbeitszeitverkürzung verdanken könnten. Dies wiederum würde den Kreis zu Bergmanns Vision schließen: Statt Lohnarbeit arbeiten wir dann mehr für das Gemeinwohl und für unsere Selbstverwirklichung. Dann reden wir nicht mehr von alter oder neuer Arbeit, sondern einem anderen Begriff von Arbeit.