Drei Tage brüteten Mitarbeiter von itdesign über der Frage: Was macht uns aus? Während in anderen Firmen die Geschäftsführung Vision und Werte festlegt, war es dem Tübinger IT-Unternehmen wichtig, dass sich alle aktuellen Mitarbeiter beteiligen. "Junge Bewerber fragen selbstbewusst und interessiert nach dem Sinn unseres Unternehmens und welchen Beitrag wir für die Gesellschaft leisten", erzählt Personalchef Andreas Günzel. Längst arbeiten viele Mitarbeiter der IT-Branche nicht mehr allein für die regelmäßige Überweisung des Gehalts. Wichtig ist ihnen: Wofür arbeite ich? Kann ich mitgestalten? Und habe ich Spaß an meiner Arbeit? "Wenn Unternehmen Mitarbeiter langfristig für sich gewinnen wollen, müssen sie auf diese Fragen individuelle Antworten geben können", findet der 34-jährige Diplomkaufmann, der seit zwölf Jahren bei itdesign arbeitet. Nicht nur, dass die Tübinger zum zweiten Mal von Great Place to Work als einer der besten deutschen Arbeitgeber ausgezeichnet wurde, 30 Prozent der neuen Kollegen kommen aufgrund von Mitarbeiterempfehlung. Kontinuierlich verbessert das Unternehmen seine Arbeitskultur. "Wenn sich Mitarbeiter einerseits wohl fühlen und andererseits wachsen und weiterentwickeln können, bleiben sie im Unternehmen", so Günzel.
Nach Einschätzung des Branchenverbandes Bitcom bedroht der Fachkräftemangel zunehmend die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen. Verbandspräsident Achim Berg sagt, dass es an Spezialisten quer durch alle Fachgebiete fehle. Ende vergangenen Jahres waren etwa 82.000 Stellen unbesetzt: "Das bedeutet geringeres Wachstum, gedrosselte Wertschöpfung, Verlust an Innovationen und Rückstand im Standortwettbewerb". Die Klage ist zu pauschal und spiegelt die Realität nicht wider, stellt dagegen die aktuelle Hays-Studie "Fachkräftemangel in Deutschland" heraus. Während Unternehmen der Industrie oder Gesundheitsbranche in der Opferhaltung verharren, lieber auf die Versäumnisse der Politik zeigen und die Aufgaben im eigenen Haus nicht erledigen, steht der IT-Zweig relativ gut da.
Der Fachkräftemangel wird heißer gekocht...
Der Fachkräftemangel existiert - allerdings wird er von Verbänden und Medien größer geredet als er tatsächlich ist, lautet ein Ergebnis der Mannheimer. So konstatieren zwar 58 Prozent der 1000 befragten Führungskräfte für die gesamte Wirtschaft einen Mangel an geeigneten Mitarbeitern. Wenn sie allerdings auf das eigene Unternehmen schauen, sehen lediglich noch 54 Prozent die Lage kritisch und wenn qualifizierte Mitarbeiter für die eigene Abteilung gesucht werden nur noch 52 Prozent. Der Realitätscheck zeigt: Je intensiver sich die Befragten mit dem Problem beschäftigen, desto weniger dramatisch ist es.
Die Führungskräfte aus der Gesundheitsbranche erleben die Auswirkungen des Fachkräftemangels am kritischsten. Die Hälfte bestätigt, dass Stellen länger unbesetzt bleiben. Werden Positionen besetzt, konnten sie die Hälfte nicht optimal besetzen. Und mehr als ein Drittel stellt fest, dass deshalb die Arbeitsbelastung ihrer Mitarbeiter steigt. Kaum besser sieht es bei den Maschinen- und Anlagenbauern aus: 45 Prozent klagen über länger unbesetzte Stellen und 37 Prozent sagen, dass die Stellen nicht wunschgemäß besetzt sind.
"Überraschend ist, dass die IT-Branche, der man allgemein den größten Fachkräftemangel unterstellt, weit weniger Sorgen hat", sagt Frank Schabel. Der Hays-Marketing-Chef schiebt gleich eine Erklärung nach: Die Informations- und Kommunikationsindustrie sei schon länger mit dem Fachkräftemangel beschäftigt und habe sich den Herausforderungen des veränderten Arbeitsmarktes gestellt und bessere Antworten entwickelt. Das belegen auch die empirischen Daten.
Attraktivität für Erfolg
Denn während etwa die Industrie über den demografischen Wandel klagt, das träge Bildungssystem, die rasante technologische Entwicklung und die Globalisierung der Wirtschaft, haben IT-Unternehmen das in die Hand genommen, was sie in ihrer Verantwortung liegt: etwa ihre Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern, die Kompetenzen ihrer Mitarbeiter selbst zu entwickeln oder neue Wege der Rekrutierung zu gehen. "Viele Unternehmen nehmen sich selbst zu wenig in die Pflicht", stellt Schabel fest. Beispiel: Employer Branding - sieben von zehn Interviewpartnern glauben, dass die Positionierung des eigenen Unternehmens wichtig ist, um Mitarbeiter zu gewinnen. Davon sind weitere 95 Prozent überzeugt, dass eine moderne Arbeitskultur entwickelt werden sollte, die Selbstorganisation und Agilität unterstütze. Doch nur nicht mal die Hälfte geht das Thema tatsächlich an. Weiter: 92 Prozent glauben, dass flexible Arbeitszeiten und freie Wahl des Arbeitsortes wichtig sind, um neue Mitarbeiter zu gewinnen. Doch nur die Hälfte beschäftigt sich mit dem Thema. "Die Attraktivität des Arbeitgebers ist ein zentraler Erfolgsfaktor für die Rekrutierung", sagt der Mannheimer, "aber die Unternehmen schaffen es gegenwärtig nicht, ihren eigenen Anspruch zu erfüllen."
Flexibilität bei itdesign
Ganz anders bei itdesign - Stichwort flexibler Arbeitsplatz und flexible Arbeitszeit. "Entscheidend ist, dass sich die Teams gemeinsam organisieren und absprechen", sagt Andreas Günzel. Geschieht das, können sie den Standort wechseln oder von zuhause arbeiten. Die Mitarbeiter haben ausschließlich unbefristete Arbeitsverträge - allerdings gibt es Kollegen, die lediglich 20 Prozent arbeiten wollen. Günzel setzt das um. Wenn aus privaten Gründen die volle Arbeitszeit nicht zu leisten ist, bietet das Unternehmen zudem eine Arbeitsreduktion für einige Monate an. So geschehen bei einem Kollegen, der in die Pflege seiner Eltern involviert war und seine Tätigkeit zeitweise um 50 Prozent kürzen konnte.
Weil viele Mitarbeiter im Alter zwischen 30 und 40 Jahren sind und damit in der Freizeit und mit der Familie besonders aktiv, werden Überstunden vermieden. "Wir haben ein Arbeitszeitmodell, das 80 Überstunden und Fehlstunden zulässt", erzählt der Personaler. Die müssen mittelfristig "abgefeiert" oder nachgeholt werden. Damit erfüllte das Unternehmen einen Wunsch, der von mehreren in einer der regelmäßigen Mitarbeiterbefragungen geäußert wurde. Kränkelt eines der Mitarbeiterkinder oder ist die Betreuung zu Hause nicht zu organisieren, gibt es in dem fünfstöckigen Gebäude eine Spieleecke, in der die Kinder für ein paar Stunden gut aufgehoben sind.
Vom Reinigungspersonal bis zum Geschäftsführer pflegt itdesign ein freundlich-familiäres Verhältnis und eine Duz-Kultur. "Wirtschaftlicher Erfolg in unserer Branche und Freude bei der Arbeit gehen Hand in Hand", so die Grundeinstellung der Unternehmensführung. Es ist ein Geben und Nehmen, auch wenn es um die Entwicklung der Mitarbeiter geht. Jedem stehen jährlich bis zu vier Weiterbildungstage und 1500 Euro für Seminare, Tagung und Kongresse zur Verfügung, wo notwendig auch mehr. Jeden Freitag gibt es eine freiwillige Bildungsstunde - Themen können sein: Prozessoptimierung, Gesundheitsmanagement oder Scrum. Nach einem Projekt mit mehreren Partnern außerhalb des Hauses hat Günzel die Methode des 360-Grad-Feedbacks getestet: "Ausprobieren gehört zu unserer Grundhaltung".
So organisiert sich eine Einheit seit mehr als zwei Jahren nach der Holacracy-Methode. Etwa weil dem Team unklar war, wer in Projekten Teamleiter sein sollte, der Berater oder der Entwickler? Über die Weihnachtstage 2017 haben sich die Mitglieder deshalb ausführlich mit dem Thema Holacracy beschäftigt und entschieden: Klingt interessant und schlüssig für unsere Arbeit, lasst es uns probieren. Inzwischen verteilt das Team seine (Führungs-)Rollen unter sich und klärt gemeinsam operative sowie organisatorische Aufgaben ohne klassische Führungsposition. "Mitarbeiter wünschen sich heute vor allem Wertschätzung und Sinnhaftigkeit ihres Tuns", so Andreas Günzel, "wenn ein Unternehmen ihnen dazu noch Freiheit und Selbstverantwortung gibt, dann bekommt es qualifizierte Mitarbeiter und bessere Arbeitsergebnisse."