Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

Was das LkSG fordert

26.01.2024
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Nach einem Jahr LkSG ziehen die Unternehmen eine gemischte Bilanz. Zwar sorgt das Gesetz für mehr Transparenz in den Lieferketten. Doch die Herausforderungen bleiben groß.
In weit verzweigten Lieferketten ist es gar nicht so einfach, den von der Regulatorik geforderten Überblick zu behalten.
In weit verzweigten Lieferketten ist es gar nicht so einfach, den von der Regulatorik geforderten Überblick zu behalten.
Foto: Travel mania - shutterstock.com

Es gehört zu den längsten Wörtern im deutschen Sprachgebrauch und dürfte so manchem Manager hierzulande nach wie vor schlaflose Nächte bereiten. Auch ein Jahr nach Einführung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) tun sich viele Unternehmen hierzulande schwer, den Regularien nachzukommen - zumal sich der Kreis der betroffenen Betriebe zuletzt noch einmal drastisch erweitert hat. Unterlagen bei Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 2023 Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden und Sitz in Deutschland dem Gesetz, sind es seit Beginn des Jahres 2024 alle hierzulande ansässigen Betriebe ab 1.000 Beschäftigten.

Das LkSG formuliert Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Einhaltung von Menschenrechten, an die sich Unternehmen im eigenen Geschäftsbereich, aber auch in ihren Lieferketten halten müssen. Dabei geht es unter anderem um Schutz vor Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Diskriminierung sowie um Aspekte wie Arbeitssicherheit, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit, die Zahlung angemessener Löhne sowie Umweltaspekte.

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Künftig müssen alle betroffenen Unternehmen in Form von Jahresberichten gegenüber dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) darüber Rechenschaft ablegen. In den kommenden Monaten werden die ersten Berichte für das vergangene Jahr 2023 fällig.

Komplexe Lieferkettengeflechte schwer zu durchdringen

Nach einem Jahr LkSG ziehen die hiesigen Betriebe eine gemischte Bilanz. Zwar sehen zwei Drittel der Unternehmen in dem Gesetz einen Hebel, um ihre Lieferkette nachhaltiger zu gestalten. Allerdings klagen viele Firmenverantwortliche auch über zahlreiche Herausforderungen und Schwierigkeiten, gerade wenn es darum geht, komplexe Strukturen und Geflechte in den eigenen Lieferketten zu durchdringen. Das hat eine Umfrage von IntegrityNext, einem Anbieter von Cloud-Lösungen für das Lieferkettenmanagement, und dem Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) ergeben. Für die Studie wurden im Herbst vergangenen Jahres 244 Unternehmen in Deutschland befragt.

Angesichts des wachsenden regulatorischen Drucks verwundert es nicht, dass immer mehr Unternehmen Nachhaltigkeitsberichte veröffentlichen. Lag die Quote 2021 noch bei etwa einem Viertel, waren es im vergangenen Jahr bereits knapp die Hälfte (46 Prozent).

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Dabei lassen sich jedoch große Unterschiede hinsichtlich der Firmengröße feststellen. Während von den größeren Betrieben mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden bereits im vergangenen Jahr 80 Prozent angaben, entsprechende Berichte vorweisen zu können, waren es bei den Unternehmen zwischen 1.000 und 2.999 Angestellten lediglich 44 Prozent, und bei den kleinen Firmen mit weniger als 1.000 Beschäftigten sogar nur 18 Prozent.

Volle Transparenz bleibt die Ausnahme

Insbesondere kleinere Firmen hätten noch großen Nachholbedarf und sollten sich zeitnah damit beschäftigen, Datenerhebungs- und Analyseprozesse einzurichten, heißt es in der Studie. Generell gibt es an bestimmten Stellen noch deutlich Luft nach oben - gerade was die Tiefe der Einblicke in die Lieferkettenstrukturen angeht.

Volle Transparenz durch ihre gesamte Lieferkette haben die wenigsten Unternehmen.
Volle Transparenz durch ihre gesamte Lieferkette haben die wenigsten Unternehmen.
Foto: IntegrityNext/BME

Nur eines von hundert Unternehmen glaubt, vollständige Transparenz bis zu den Sub-Lieferanten zu besitzen. Weitere neun Prozent gaben an, zumindest teilweise weiter verzweigte Geflechte in den eigenen Lieferketten durchschauen zu können. Immerhin elf Prozent erklärten, vollständige Transparenz über die unmittelbaren Lieferanten zu besitzen, 65 Prozent sprechen von einer teilweisen Transparenz. Gar keinen Durchblick zu haben, gaben 14 Prozent der Befragten zu.

Laut den Studienautoren gilt es allerdings zu bedenken, dass die bedeutendsten Nachhaltigkeitsrisiken, zum Beispiel im Bereich der Zwangs- und Kinderarbeit oder bezüglich der Umwelt, in vielen Branchen auf den unteren Lieferkettenebenen anzutreffen seien. Dementsprechend sei ein umfassendes Wissen über indirekte Lieferanten eine Grundvoraussetzung dafür, zielgerichtet Risiken identifizieren und mindern zu können - und damit letztlich auch die Gesetze einzuhalten. Das bleibe eine der größten Herausforderungen, die Unternehmen angehen müssten.

Hoher zeitlicher und organisatorischer Aufwand

Insgesamt stellt das LkSG die Unternehmen jedoch vor einige Probleme und Herausforderungen. Für bereits betroffene wie auch für erst künftig unter die Regulatorik fallende Betriebe, stehen der zeitliche sowie der organisatorische Aufwand an vorderster Stelle. Die Firmen, die bereits Berichte erstellt haben, bezeichneten auch die Datenqualität als eine der größten Herausforderungen (50 Prozent). Darin scheinen die noch nicht von der Berichtspflicht betroffenen Betriebe weniger ein Problem zu sehen (33 Prozent).

Dagegen werden Fragen rund um Kosten und Budget weniger problematisch wahrgenommen. Zwar sieht ein Drittel der Betriebe, die das LkSG erst künftig umsetzen müssen, darin einer Herausforderung. Diejenigen, die bereits konkret berichten, nennen diesen Punkt nur zu 13 Prozent als große Herausforderung.

Viele Unternehmen haben bereits ein Risikomanagementsystem implementiert oder zumindest in Planung, um Nachhaltigkeitsrisiken in ihrer Lieferkette zu identifizieren - vor allem größere Unternehmen sind hier aktiv.
Viele Unternehmen haben bereits ein Risikomanagementsystem implementiert oder zumindest in Planung, um Nachhaltigkeitsrisiken in ihrer Lieferkette zu identifizieren - vor allem größere Unternehmen sind hier aktiv.
Foto: IntegrityNext/BME

Viele Unternehmen haben der Studie zufolge bereits ein Risikomanagementsystem implementiert oder zumindest in Planung, um ihre Lieferketten besser durchleuchten und so Nachhaltigkeitsrisiken genauer identifizieren zu können. Um sich abzusichern, bauen die Betriebe laut Umfrage allerdings weitestgehend auf sogenannte präqualifizierende Maßnahmen. Dazu zählen Kontrollmechanismen wie Selbstauskünfte (75 Prozent) beziehungsweise vertragliche Zusicherungen der Zulieferer (67 Prozent). Proaktive Maßnahmen, um Risiken in der Lieferkette abzuhelfen, wie zum Beispiel Vor-Ort-Audits (27 Prozent) oder Schulungen bei den Zulieferern (17 Prozent) werden allerdings deutlich seltener eingesetzt.

LkSG stiehlt Zeit für andere wichtige Aufgaben

Der Druck auf den Firmen, ihre Lieferketten transparent und nachhaltig zu gestalten, ist überall groß, sagte Helena Melnikov, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME). Angesichts der Vielzahl von Aufgaben, um die eigenen Lieferketten neu auszurichten, sei es verständlich, dass manche Unternehmen noch mit der Umsetzung des LkSG haderten.

"Denn: Inmitten wirtschaftlicher Stagnation müssen diese erst einmal auf die Weiterentwicklung ihrer Produkte schauen und für mehr Effizienz und Innovation sorgen", konstatiert Melnikov. "Doch dafür fehlt ihnen häufig die Zeit." Schließlich müssten sich die Firmen mit Berichten zu Transparenz und Nachhaltigkeit ihrer Supply Chains beschäftigen, mögliche Risiken prüfen, Lieferanten schulen, alle erforderlichen LkSG-Daten zusammentragen und ihre Dokumentation für die Kontrollbehörden vorbereiten.

Helena Melnikov, Hauptgeschäftsführerin des BME, fordert die Unternehmen in Deutschland auf, auch die europäische Regulatorik nicht aus dem Blick zu verlieren.
Helena Melnikov, Hauptgeschäftsführerin des BME, fordert die Unternehmen in Deutschland auf, auch die europäische Regulatorik nicht aus dem Blick zu verlieren.
Foto: BME

Dennoch werde das LkSG ein zentrales Thema bleiben, mahnt die BME-Chefin und verweist auf die Bemühungen hinsichtlich einer gesamteuropäischen Regulatorik. Mitte Dezember 2023 haben sich der Rat und das Europäische Parlament zur Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) geeinigt.

Die Direktive gilt für große Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von über 150 Millionen Euro. Das Regelwerk sieht auch Unternehmen ab 250 Beschäftigten und einem Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro in der Pflicht, sofern mindestens 20 Millionen Euro in bestimmten Sektoren generiert werden. Dazu zählen etwa die Textilherstellung, Landwirtschaft, Mineralressourcen und das Bauwesen.

Immer mehr Unternehmen müssen über Nachhaltigkeit Rechenschaft ablegen

Darüber hinaus existiert mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) ein weiteres EU-Regelwerk. Dieses ist seit dem 5. Januar 2023 in Kraft und muss bis Mitte 2024 von den EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. Damit werden künftig deutlich mehr Betriebe Rechenschaft darüber ablegen müssen, wie nachhaltig sie wirtschaften.

Die Berichtspflicht gilt für Geschäftsjahre beginnend ab dem 1. Januar 2024 zunächst für Unternehmen von öffentlichem Interesse mit mehr als 500 Mitarbeitenden. In den folgenden Jahren soll sie sukzessive auf alle anderen bilanzrechtlich großen Unternehmen sowie kapitalmarkt­orientierte Mittelständler ausgeweitet werden.

Im Rahmen der CSRD müssen diese Firmen künftig umfassender und nach einheitlicheren Maßstäben über ihre Nachhaltigkeit berichten. Standards und Kennziffern, die von der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) entwickelt werden, sollen dafür sorgen, dass die Angaben genau messbar und vor allem vergleichbar sind.

Die verpflichtenden Berichte zur Nachhaltigkeit sollen in Zukunft den gleichen Stellenwert besitzen wie die klassische Finanzberichterstattung. Darüber hinaus sehen die Regularien der EU-Kommission externe Prüfungen der Nachhaltigkeitsberichte vor.

Viele Betriebe haben CSDDD noch nicht auf dem Schirm

Mit Blick auf die kommende EU-Regulatorik kann das LkSG durchaus hilfreich sein. Rund 86 Prozent der von dem Gesetz betroffenen Studienteilnehmenden sehen in diesem Kontext einen Mehrwert darin, das deutsche Gesetz umzusetzen, um sich auf die kommende CSDDD vorzubereiten.

Allerdings unternimmt derzeit erst jeder zehnte Betrieb bereits Schritte zur Vorbereitung auf die CSDDD. Zahlreiche Firmen verfolgen bis dato einen eher passiven Ansatz, indem sie die aktuellen Entwicklungen beobachten (38 Prozent) oder Informationen zum Thema einholen (31 Prozent). Mehr als ein Viertel (27 Prozent) der Betriebe befassen sich allerdings noch überhaupt nicht mit der CSDDD.

Konkrete Schritte hinsichtlich der kommenden EU-Regeln durch die CSDDD unternehmen erst wenige Betriebe.
Konkrete Schritte hinsichtlich der kommenden EU-Regeln durch die CSDDD unternehmen erst wenige Betriebe.
Foto: IntegrityNext/BME

Das Thema auf die lange Bank zu schieben, ist aus Sicht der Studienautoren bedenklich. Auch Unternehmen mit weniger Beschäftigten würden sich den Anforderungen der CSDDD nicht entziehen können. Außerdem würden sich kleinere Firmen vielfach indirekt durch ihre größeren Kunden mit der CSDDD beschäftigen müssen, wenn diese entsprechende valide Auskünfte für ihr eigenes Reporting verlangten. Aus diesen Gründen lohnt es sich für alle Unternehmen, schon heute aufmerksam die Entwicklungen der europäischen Lieferkettenrichtlinien zu verfolgen und, wo möglich, in bestehende und künftige Geschäftsprozesse zu integrieren.