Frau Rath, die jüngste Studie von McKinsey "Woman in the Workplace" zeigt, dass Frauen in Führungspositionen derzeit mehr denn je ihren Job kündigen. Wie dramatisch ist die Lage?
Roxane Rath: Es ist wichtig anzumerken, dass die McKinsey-Studie, die Sie hier nennen, sich auf den amerikanischen Raum bezieht und das Thema Resignation in Amerika insgesamt ein Phänomen ist, das alle Arbeitnehmenden betrifft.
Hat sich die Situation zugespitzt?
Roxane Rath: Der Trend der Resignation hat sich für Frauen insbesondere in der COVID-19-Pandemie verschärft. Frauen mussten während der Pandemie häufiger als Männer ihre Arbeit unterbrechen oder aufgeben, um Pflege- und Fürsorgearbeit zu leisten.
Trifft das auch auf den deutschen Raum zu?
Roxane Rath: Ja. Dem "Gender Care Gap" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zufolge wenden Frauen pro Tag durchschnittlich 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer. Da immer mehr Frauen erwerbstätig sind, Männer aber nicht äquivalent mehr unbezahlte Arbeit erledigen, steigt die Gesamtarbeitszeit von Frauen an. Es bleibt also schlichtweg manchmal keine Zeit übrig für die bezahlte Erwerbstätigkeit und eine Karriere.
Gibt es konkrete Gründe dafür, warum Frauen hinwerfen?
Roxane Rath: Natürlich hat jede Frau ihre eigene Perspektive und eigene Gründe, warum sie aus ihrer Karriere aussteigt. Aber einer der messbaren Hauptgründe ist ein Mangel an Arbeitsflexibilität. Oft fehlt es an flexiblen Arbeitszeiten und Unterstützung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, was zu einem frühen Ausstieg aus der Karriere führen kann.
Darüber hinaus sind Frauen oft Mikro-Aggressionen, Diskriminierungen und stereotypischen Vorteilen ausgesetzt, die ihre Autorität und Kompetenz untergraben und ihnen signalisieren, dass es für sie schwieriger sein wird aufzusteigen. Die Konsequenz daraus ist, dass sie ihre Karriere beenden oder stagnieren oder den Arbeitsplatz wechseln, um bessere Karrieremöglichkeiten beziehungsweise Arbeitsbedingungen zu haben.
- Kenza Ait Si Abbou, KI-Expertin und CTO bei Fiege
Sie tanzt mit Algorithmen und zähmt Roboter: Kenza Ait Si Abbou ist nicht nur KI- und Robotik-Expertin - inzwischen als CTO im Vorstand bei Fiege - sondern auch Kinderbuchautorin und Spiegel-Bestseller-Autorin. Sie beherrscht das Kunststück, "AI for everyone" erklären zu können. In unserem Podcast (siehe Link) erklärt sie anschaulich anhand eines IKEA-Möbelstücks den Unterschied zwischen deterministischen und nicht-deterministischen Algorithmen in der KI. - Julia Freudenberg, Hacker School
"Jedes Mädchen sollte einmal programmiert haben, bevor sie sich für einen Beruf entscheidet", sagt Julia Freudenberg, Geschäftsführerin der Hacker School aus Hamburg. Die gemeinnützige GmbH bietet Programmierkurse an, damit Mädchen und Jungen in die Welt der IT hineinschnuppern können. Mädchen und Frauen für die IT zu gewinnen, das liegt ihr besonders am Herzen. - Claudia Plattner, BSI-Präsidentin
Die Mathematikerin, von 2021 bitte Mitte 2023 Generaldirektorin für Informationssysteme bei der Europäischen Zentralbank (EZB), ist seit Juli 2023 Präsidentin des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). - Haya Schulman, Cyberspezialistin
Die israelische Expertin für Netzwerk- und Computersicherheit Haya Schulman ist Professorin am Lehrstuhl für Informatik der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und hält eine LOEWE-Spitzen-Professur. Sie leitet seit einigen Jahren am Fraunhofer-Institut für sicherere Informationssysteme SIT in Darmstadt die Abteilung für Cybersicherheit, Analytik und Verteidigung sowie das Security Operations Center. 2021 erhielt sie den deutschen IT-Sicherheitspreis. - Anna Kopp, CIO Microsoft Deutschland
Die gebürtige Schwedin startete ihre berufliche Karriere einst in der Touristikbranche, wechselte dann in den Sales bei Silicon Graphics - ohne einen blassen Schimmer von IT zu haben - und arbeitete sich beharrlich und mutig weiter vor in der IT-Branche über Stationen wie Sun Microsystems und Coremedia, bis sie 2004 bei Microsoft landete. Welchen Einfluss die Rockmusik auf ihre Karriere hatte, erzählt sie in unserem Podcast. - Elsa Kirchner, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz
Elsa Kirchner, Forscherin am DFKI, verbindet künstliche Intelligenz und Neurowissenschaft. So werden Patienten nach einem Schlaganfall früher beweglich. Ein Exoskelett hilft weiter. - Mina Saidze, Data Evangelist und Gründerin
Mina Saide, Data Evangelist und Gründerin von Inclusive Tech, setzt sich für mehr Diversity in der IT-Branche ein. Vom Wirtschaftsmagazin Forbes wurde sie in die berühmte "30-Under-30"-Liste aufgenommen. Sie will Big Data und künstliche Intelligenz demokratisieren, indem sie eine Brücke zwischen Tech und Business schafft. - Katharina Knötel, CIO Coca-Cola Europacific Partners
Katharina Knötel ist seit Mitte 2021 IT-Chefin von Coca-Cola Europacific Partners in Deutschland. Sie hat Wirtschaft studiert, bevor sie eine Karriere in der IT begann. Ihr liegen besonders die Themen Vielfalt und Talentförderung am Herzen. Sie ist überzeugt: "Am wichtigsten ist, dass man eine große Leidenschaft hat für das, was man tut." - Linda Kramer, Siemens Energy und Sidepreneurin
Nebenberuflich gründen: Wie das geht und warum ihr Hauptarbeitgeber Siemens Energy auch davon profitiert, das erzählt Linda Kramer in unserem Podcast. - Jessica de Lafuente Torres, Otto Group IT
Jessica de Lafuente Torres kam auf Umwegen in die IT bei Otto. Sie macht sich heute für Frauen in der IT stark und hat die Initiative "develop<HER>" des Handelskonzerns mitgegründet. Dadurch sollen Frauen für MINT-Karrieren begeistern werden. - Karin Gräslund, Professorin Rhein-Main-Hochschule
Karin Gräslund ist Wirtschaftsinformatikprofessorin an der Rhein-Main-Hochschule. Sie war zudem lange Zeit im Vorstand der Deutschen SAP-Anwendergruppe (DSAG) sowie Sprecherin der "Women@DSAG"-Gruppe. Sie setzt sich generell für mehr Frauen in der IT ein und verrät in unserem Interview (Link unten) Tipps und Tricks, wie Frauen mit dem Thema Macht umgehen und es positiv nutzen können.
Hüter der gläsernen Decke
Viele Unternehmen tun sich schwer, Führungspositionen mit Frauen zu besetzen. Warum ist das so?
Roxane Rath: Es gibt eine Reihe verschiedener Faktoren. Eine der größten Hürden sind Vorurteile und Stereotype, sowohl bewusste als auch unbewusste. Diese Vorurteile hindern Frauen daran, eine erfolgreiche Karriere in einer Führungsposition aufzubauen. Die Studienlage zeigt, dass viele Männer solche Vorbehalte hegen und teilweise unbewusst als "Hüter der gläsernen Decke" fungieren. Diese Vorurteile nehmen Einfluss auf alle Personalprozesse, Auswahlkriterien für Führungskräfte, Personalauswahlentscheidungen, Beförderungen etc.
Und die Frauen selbst? Stehen sie sich manchmal auch auf den Füßen?
Roxane Rath: Genau, die Forschung zeigt, dass Frauen häufig gegenüber sich selbst und gegenüber anderen Frauen Vorurteile haben und sich zum Teil sehr viel weniger zutrauen als Männer.
Was können also Arbeitgeber tun, um Frauen mehr zu fördern?
Roxane Rath: Es gibt eine Vielzahl von Maßnahmen, die Unternehmen ergreifen können, um Frauen mehr zu fördern und ihnen den Zugang zu Führungspositionen zu erleichtern. Hier bieten sich Maßnahmen auf struktureller und prozessualer Ebene sowie auf kultureller Ebene an. Unternehmen können ihre Personalpolitik so gestalten, dass sie Geschlechtergerechtigkeit fördert und diskriminierende Praktiken vermeidet.
Haben Sie Beispiele?
Roxane Rath: Dazu gehören etwa die Beseitigung von Gehaltsunterschieden, flexible Arbeitszeiten und eine Arbeitsplatzgestaltung, die es Frauen wie Männern ermöglicht, Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Besonders wirksam sind auch die Einführung einheitlicher Standards für die Auswahl und Besetzung von Führungspositionen, die strukturierte Identifikation von (kulturellen) Hemmnisfaktoren beispielsweise durch Interviews und Mitarbeitendenumfragen sowie die Festlegung von Kennzahlen (Frauenrepräsentanz, Beförderungsstatistiken etc.) zur quantitativen Erfolgskontrolle. Erst durch die Analyse HR-bezogener Daten kommen Missstände ans Licht und Unternehmen wissen, wo sie ansetzen müssen.
Selbstwirksamkeit stärken
Und was raten Sie Frauen, die führen wollen?
Roxane Rath: Wenn es darum geht, Führungspositionen anzustreben und wirksam in einer zu sein, dann wissen wir aus der Wissenschaft, dass viele Frauen kritisch im Umgang mit sich selbst sind und an mancher Stelle weniger einfordern als Männer und sich weniger zutrauen. Hier sollte man auf Individualebene anzusetzen und sich selbst reflektieren, die Selbstwahrnehmung erhöhen, Stärken ausarbeiten, limitierende Glaubenssätze identifizieren und die Selbstwirksamkeit stärken. Besonders wirkungsvoll kann hier ein geführter Coachingprozess sein.
Eine weitere Hürde stellt der Gender-Pay-Gap dar, der in Deutschland 2022 bei 18 Prozent lag. Sie haben schon erwähnt, dass Arbeitgeber Gehaltsunterschiede beseitigen sollten. Was können denn Frauen selbst für eine faire Bezahlung tun?
Roxane Rath: Es ist es wichtig sicherzustellen, dass eigene Leistungen und Beiträge anerkannt werden und ein angemessenes Gehalt und entsprechende Vergütung einzufordern. Auch sich zu zeigen und sich zu positionieren und das zu machen, worin man Expertise hat oder aufbauen möchte, kann die eigene Selbstwirksamkeit erhöhen und sich positiv auf die eigene Arbeitsrealität auswirken.
Zur Person
Roxane Rath ist Senior Behavioral Scientist bei CoachHub mit einem Hintergrund in Wirtschaftspsychologie und einer umfangreichen Erfahrung in der Personalberatung bei EY. Bei CoachHub arbeitet sie im Coaching Lab und trägt dazu bei, die Wissenschaft des Coachings und der Verhaltensänderung voranzutreiben. In Ihrer Rolle berät sie Organisationen weltweit bei der Entwicklung und Evaluierung von Coaching-Programmen, die verhaltensorientierte Lösungen für organisatorische Herausforderungen und Veränderungen bieten.