Beyond Quiet Quitting

Warum Frauen in Führungspositionen kündigen

12.04.2023
Von 
Karen Funk ist freie IT-Fachjournalistin und Autorin. Bis Mai 2024 war sie Redakteurin beim CIO-Magazin und der COMPUTERWOCHE (von Foundry/IDG). Zudem leitete sie 17 Jahre lang den renommierten IT-Wettbewerb CIO des Jahres. Funk setzt sich seit vielen Jahren für mehr Frauen in der IT und für digitale Bildung ein. 2024 erschien ihr Buch "Hack the world a better place: So gestalten Unternehmen die Zukunft", das sie mit Julia Freudenberg, Geschäftsführerin der Hacker School, zum Thema Corporate Volunteering geschrieben hat.
Mehr Frauen denn je beenden derzeit ihr Arbeitsverhältnis. Roxane Rath, Senior Behavioral Scientist bei CoachHub, erklärt die Gründe und was Arbeitgeber tun können.
Roxane Rath ist Behavioral Scientist bei CoachHub, einem globalen Anbieter von digitalem Coaching.
Roxane Rath ist Behavioral Scientist bei CoachHub, einem globalen Anbieter von digitalem Coaching.
Foto: CoachHub

Frau Rath, die jüngste Studie von McKinsey "Woman in the Workplace" zeigt, dass Frauen in Führungspositionen derzeit mehr denn je ihren Job kündigen. Wie dramatisch ist die Lage?

Roxane Rath: Es ist wichtig anzumerken, dass die McKinsey-Studie, die Sie hier nennen, sich auf den amerikanischen Raum bezieht und das Thema Resignation in Amerika insgesamt ein Phänomen ist, das alle Arbeitnehmenden betrifft.

Hat sich die Situation zugespitzt?

Roxane Rath: Der Trend der Resignation hat sich für Frauen insbesondere in der COVID-19-Pandemie verschärft. Frauen mussten während der Pandemie häufiger als Männer ihre Arbeit unterbrechen oder aufgeben, um Pflege- und Fürsorgearbeit zu leisten.

Trifft das auch auf den deutschen Raum zu?

Roxane Rath: Ja. Dem "Gender Care Gap" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zufolge wenden Frauen pro Tag durchschnittlich 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer. Da immer mehr Frauen erwerbstätig sind, Männer aber nicht äquivalent mehr unbezahlte Arbeit erledigen, steigt die Gesamtarbeitszeit von Frauen an. Es bleibt also schlichtweg manchmal keine Zeit übrig für die bezahlte Erwerbstätigkeit und eine Karriere.

Gibt es konkrete Gründe dafür, warum Frauen hinwerfen?

Roxane Rath: Natürlich hat jede Frau ihre eigene Perspektive und eigene Gründe, warum sie aus ihrer Karriere aussteigt. Aber einer der messbaren Hauptgründe ist ein Mangel an Arbeitsflexibilität. Oft fehlt es an flexiblen Arbeitszeiten und Unterstützung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, was zu einem frühen Ausstieg aus der Karriere führen kann.

Darüber hinaus sind Frauen oft Mikro-Aggressionen, Diskriminierungen und stereotypischen Vorteilen ausgesetzt, die ihre Autorität und Kompetenz untergraben und ihnen signalisieren, dass es für sie schwieriger sein wird aufzusteigen. Die Konsequenz daraus ist, dass sie ihre Karriere beenden oder stagnieren oder den Arbeitsplatz wechseln, um bessere Karrieremöglichkeiten beziehungsweise Arbeitsbedingungen zu haben.

Hüter der gläsernen Decke

Viele Unternehmen tun sich schwer, Führungspositionen mit Frauen zu besetzen. Warum ist das so?

Roxane Rath: Es gibt eine Reihe verschiedener Faktoren. Eine der größten Hürden sind Vorurteile und Stereotype, sowohl bewusste als auch unbewusste. Diese Vorurteile hindern Frauen daran, eine erfolgreiche Karriere in einer Führungsposition aufzubauen. Die Studienlage zeigt, dass viele Männer solche Vorbehalte hegen und teilweise unbewusst als "Hüter der gläsernen Decke" fungieren. Diese Vorurteile nehmen Einfluss auf alle Personalprozesse, Auswahlkriterien für Führungskräfte, Personalauswahlentscheidungen, Beförderungen etc.

Und die Frauen selbst? Stehen sie sich manchmal auch auf den Füßen?

Roxane Rath: Genau, die Forschung zeigt, dass Frauen häufig gegenüber sich selbst und gegenüber anderen Frauen Vorurteile haben und sich zum Teil sehr viel weniger zutrauen als Männer.

Was können also Arbeitgeber tun, um Frauen mehr zu fördern?

Roxane Rath: Es gibt eine Vielzahl von Maßnahmen, die Unternehmen ergreifen können, um Frauen mehr zu fördern und ihnen den Zugang zu Führungspositionen zu erleichtern. Hier bieten sich Maßnahmen auf struktureller und prozessualer Ebene sowie auf kultureller Ebene an. Unternehmen können ihre Personalpolitik so gestalten, dass sie Geschlechtergerechtigkeit fördert und diskriminierende Praktiken vermeidet.

Haben Sie Beispiele?

Roxane Rath: Dazu gehören etwa die Beseitigung von Gehaltsunterschieden, flexible Arbeitszeiten und eine Arbeitsplatzgestaltung, die es Frauen wie Männern ermöglicht, Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Besonders wirksam sind auch die Einführung einheitlicher Standards für die Auswahl und Besetzung von Führungspositionen, die strukturierte Identifikation von (kulturellen) Hemmnisfaktoren beispielsweise durch Interviews und Mitarbeitendenumfragen sowie die Festlegung von Kennzahlen (Frauenrepräsentanz, Beförderungsstatistiken etc.) zur quantitativen Erfolgskontrolle. Erst durch die Analyse HR-bezogener Daten kommen Missstände ans Licht und Unternehmen wissen, wo sie ansetzen müssen.

Selbstwirksamkeit stärken

Und was raten Sie Frauen, die führen wollen?

Roxane Rath: Wenn es darum geht, Führungspositionen anzustreben und wirksam in einer zu sein, dann wissen wir aus der Wissenschaft, dass viele Frauen kritisch im Umgang mit sich selbst sind und an mancher Stelle weniger einfordern als Männer und sich weniger zutrauen. Hier sollte man auf Individualebene anzusetzen und sich selbst reflektieren, die Selbstwahrnehmung erhöhen, Stärken ausarbeiten, limitierende Glaubenssätze identifizieren und die Selbstwirksamkeit stärken. Besonders wirkungsvoll kann hier ein geführter Coachingprozess sein.

Eine weitere Hürde stellt der Gender-Pay-Gap dar, der in Deutschland 2022 bei 18 Prozent lag. Sie haben schon erwähnt, dass Arbeitgeber Gehaltsunterschiede beseitigen sollten. Was können denn Frauen selbst für eine faire Bezahlung tun?

Roxane Rath: Es ist es wichtig sicherzustellen, dass eigene Leistungen und Beiträge anerkannt werden und ein angemessenes Gehalt und entsprechende Vergütung einzufordern. Auch sich zu zeigen und sich zu positionieren und das zu machen, worin man Expertise hat oder aufbauen möchte, kann die eigene Selbstwirksamkeit erhöhen und sich positiv auf die eigene Arbeitsrealität auswirken.

Zur Person

Roxane Rath ist Senior Behavioral Scientist bei CoachHub mit einem Hintergrund in Wirtschaftspsychologie und einer umfangreichen Erfahrung in der Personalberatung bei EY. Bei CoachHub arbeitet sie im Coaching Lab und trägt dazu bei, die Wissenschaft des Coachings und der Verhaltensänderung voranzutreiben. In Ihrer Rolle berät sie Organisationen weltweit bei der Entwicklung und Evaluierung von Coaching-Programmen, die verhaltensorientierte Lösungen für organisatorische Herausforderungen und Veränderungen bieten.