Um große Veränderungen in Unternehmen sprachlich zu erfassen, verfügen wir über verschiedene Begriffe. Die radikale Version lautet Disruption. In ihr geht es um nicht weniger als den revolutionären Bruch, um das Zerstören überlebter Muster. Ungleich eleganter klingt der soziologisch anmutende Begriff Transformation. Er beschreibt zwar auch einen fundamentalen Wandel, leugnet aber nicht das evolutionäre Band zwischen der alten und der neuen Welt. Der dritte Begriff Change ertönt eher harmlos. Im Sinne von, Wandel findet ohnehin und immer statt, c'est la vie. Trotz oder gerade wegen dieses altbackenen Klangs dominiert der Terminus Change bis heute unsere Unternehmenswelt.
Für ihre Veränderungsprozesse haben Unternehmen Change Management zu einem umfassenden Ansatz mit jeder Menge Werkzeugen ausgebaut. Change ist steuer- und kontrollierbar, vorausgesetzt man geht das Thema systematisch an. Das steht ganz in der Tradition der mechanistisch tickenden Industriegesellschaft. Dass diese Logik im Change nicht funktioniert, zeigt sich jedoch in vielen Projekten an allen Ecken und Enden. Denn im Wandel geht es nicht um perfektionistisches Vorgehen, sondern um Menschen, die sich von Ängsten und Sorgen leiten lassen.
Zudem erzeugen Organisationen Eigendynamiken, die sich jedem Reißbrett entziehen. Diese - zugegeben - trivialen Erkenntnisse bedeuten jedoch keineswegs, dass Unternehmen ihre Change-Management-Pakete aufgeschnürt, mit Mustern gebrochen und sich auf Neuland begeben haben. Vielmehr meiden sie nach wie vor Risiken und die Gefahren (wie auch Chancen) unberechenbarer Pfade.
Kein Change-Erfolg ohne fundierte Analyse
Doch in den Modellen des klassischen Veränderungsmanagement liegt einiges im Argen. Wo fängt man am besten an? Sinnvollerweise bei der Art und Weise, wer die zentralen Change-Pflöcke in Organisationen einrammt, also den Managern auf der höchsten Hierarchieebene, die dafür verantwortlich zeichnen, dass Wandel vonnöten ist. Dass Topmanager damit eigene Fehler kaschieren, sei hier nur am Rande erwähnt.
Es geht um Anderes, nämlich um ein Dilemma, das sich kaum überwinden lässt: Die Topgremien einer Organisation denken in großen Bildern. Das kostet einen (unvermeidlichen) Preis. Der Grund: Meist fehlen ihnen Detailkenntnisse aus den Niederungen der betrieblichen Realität. Das wäre zu verschmerzen, wenn sie sie einer umfassenden Analyse genügend Zeit und Wert zubilligen würden. Ein solche Analyse würde aufzeigen, an welchen Stellschrauben es zu drehen gilt, um vom alten Zustand A zur Zielvorstellung B zu gelangen. Je besser die Untersuchung ist, umso höher steigt die Wahrscheinlichkeit, an den richtigen Change-Themen zu arbeiten.
Doch leider diskutieren viele Topmanager lieber auf der Basis aggregierter Kennzahlen über ihr Zielbild. Ohne tieferes Wissen, was sich hinter den Daten für eine stoffliche Realität verbirgt und teils mit Hilfe externer Berater, die von den qualvollen Mühen der Ebene wenig wissen und mehr in unverständlichen Floskeln denn in Kundenspezifika sprechen. Gleichwohl passt dieser Berater-Singsang perfekt in ihre eigene Klangmelodie, benötigen sie doch für Gespräche mit Stakeholder große Narrative.
Projektmanager scheuen das Risiko
Wird die fachliche Expertise aus den Tiefen der Organisation nicht in die Analyse und die Ziele eingebunden, entsteht eine schwer zu kittende Diskrepanz zwischen Wunschbild und schnöder Wirklichkeit. Empirische Studie zeigen: Projekte scheitern, weil die Zielbilder nicht mit dem Status quo der Organisation korrespondieren. Alles digitalisieren, lässt sich schön sagen.
Viele IT-Landschaften bewegen sich jedoch nicht auf dem Niveau, so mir nichts dir nichts digitale Lösungen einzubauen. Doch nur wenige Projektmanager trauen sich, eigenes Risiko einzugehen und schlechte Nachrichten zu überbringen. So durchlässig sind die Kulturen vieler Unternehmen nicht, dass schnell nach oben rückgemeldet wird, der Change sei in Schieflage. Schönreden ist eher die Regel.
Jenseits der politischen Dimensionen tut sich ein weiterer Graben auf. Wenn es um die eigentliche inhaltliche Ausrichtung geht, sitzen die potenziellen Gewinner und vermeintlichen Verlierer des Change in einem Boot und müssen sich in vielen Meetings darüber verständigen. Dass dies in dieser Konstellation mehr als schwierig ist, versteht sich von selbst. Statt Klartext zu sprechen, laufen Grabenkämpfe und Blockaden im Hintergrund ab. Wenn die obere Etage darüber nicht informiert wird und die Konflikte deshalb nicht par ordre du mufti entschieden werden können, schwelen sie weiter. Irgendwann wird das Change-Projekt je nach Kräftespiel der Akteure als Erfolg etikettiert. Erreicht ist jedoch wenig bis nichts, Konflikte wirken weiter.
Was in einer solch verwobenen Gemengelage kontraproduktiv wirkt, sind Hochglanzbotschaften, große Worte zur wunderschönen Welt des Change. Sie zu formulieren, ist meist Aufgabe von Change Managern, deren Rolle ohnehin eher bescheiden ist. Mit den Sprechblasen, die sie produzieren (müssen), fühlen sich viele Mitarbeiter für dumm verkauft. Zu groß ist die Kluft zwischen der verpackten und der wahrgenommenen Wirklichkeit. Dadurch verliert der Change, der Mitarbeiter ohnehin ihrer geliebten Sicherheit beraubt, weiter an Legitimation.
- Klar definieren, wer jetzt was zu tun hat
Mit dem Change geraten Zuständigkeiten und Rollen ins Fließen. Von Tag Eins an muss jeder Mitarbeiter wissen, was er jetzt im Moment zu tun hat. Bis sich das ändert und eine neue Ansage kommt. - Die Aufgaben nur skizzieren
Wer seine Mitarbeiter mitgestalten lässt, erreicht mehr. Deshalb ist es ratsam, eine grobe Skizze des Veränderungsprojektes zu zeichnen und das Team Vorschläge zur Ausarbeitung machen zu lassen, als einen schon komplett ausgereiften Plan zu präsentieren. - Die Team-Perspektive einnehmen
Wie betrifft der Change die Team-Mitglieder, was bedeutet die Initiative aus ihrer Sicht – wer diese Perspektive einnimmt, hat die Mitarbeiter auf seiner Seite. - Erfahrungen teilen
Erfahrungen teilen: Soweit möglich, sollten Mitarbeiter an konkreten Aktivitäten wie etwa Besuchen beim Kunden teilnehmen. Je näher sie den Change miterleben, umso besser. - Fragen zulassen
Fragen, die aus dem Team kommen, dürfen nie als Widerstand gelten. Ganz im Gegenteil. Ein Chef, der Fragen zulässt und sie beantwortet, kann schneller Teilverantwortungen an die Mitarbeiter übertragen. - Die Wirtschaftlichkeit darstellen
Neben viel Kommunikation mit dem Team geht es auch darum, Metriken und Kennzahlen für das Veränderungsprojekt zu entwickeln und diese deutlich zu machen. - Wissen, wo der Fokus ist
Innerhalb eines Changes ist viel Kleinteiliges zu klären und zu organisieren. Der Fokus darf darüber nicht vergessen werden. Regelmäßige Treffen müssen sich immer wieder auf diesen Fokus beziehen, eindeutige Metriken müssen deutlich machen, wo das Team gerade steht. - Teilziele updaten
Nicht jeder Meilenstein wird so zu erreichen sein wie ursprünglich geplant. Es ist daher wichtig, gemeinsam mit dem Team Teilziele regelmäßig auf den aktuellen Stand zu bringen. - Sich abstimmen
Gemeinsame Kalender für das Veränderungsprojekt und gemeinsam entwickelte Guidelines, die die Prioritäten festlegen: Das sind gute Wege, um die Arbeit der einzelnen Team-Mitglieder immer wieder aufeinander abzustimmen. - Commitment organisieren
Wer übernimmt die Verantwortung wofür und wie regelt das Team, dass diese Verantwortlichkeiten auch konkret ausgeführt werden? Solche Fragen sind gemeinsam zu klären. Die einzelnen Mitarbeiter müssen wissen, welchen Teil sie übernehmen, und sie müssen konkret formulieren können, was sie dafür von ihrem Chef brauchen. - Den Change in seine Geschichte einbinden
Das Team muss wissen, an welche früheren Punkte im Unternehmen der jetzige Change anknüpft und welche zukünftige Richtung sich damit abzeichnet.
Wege aus dem Change-Management-Dilemma
Folgende Tipps können dabei helfen, Change-Projekte erfolgreich zu managen:
Unternehmen sollten wesentlich mehr Zeit in die Analyse des Ist-Zustands investieren. Das beinhaltet, dass nicht nur Senior-Zirkel diskutieren, sondern sich der Kommunikationsprozess nach unten hin zu den eigentlichen Experten öffnet. Erst nach der Analyse entsteht ein Zielbild.
Die Verantwortung für das gesamte Change Management liegt in der Hand eines Geschäftsführers oder Vorstands. Damit werden Change-Projekte ganz oben verankert und Entscheidungen erleichtert. Die HR-Abteilungen sollte hingegen beim Change keine tragende Rolle spielen, zu sehr kämpfen sie mit ihrer Stellung in Organisationen.
Eine offene Kommunikation thematisiert ungeschminkt, um was es beim Change im Kern geht und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Mit Change-Verlierern wird dabei fair gesprochen. Die Kommunikation berücksichtigt zudem, wie wichtig Sicherheit für Mitarbeiter ist und findet dazu emotionale Ansprachen.
Change Manager sind nicht den Erwartungen ihres Auftraggebers, sondern dem Erfolg des Change-Projekts verpflichtet.
Change Management verabschiedet sich von mechanischem Denken. Stattdessen anerkennt und berücksichtigt es jederzeit die innere Dynamik und Komplexität von Systemen.
Auf einem anderen Blatt steht, ob Change Management noch in unsere Welt passt. Wenn Veränderungen die Regel bedeuten, bedarf es dann nicht eher einer ständig lernenden und offenen Kultur? Dann wäre Change nicht an dezidierte Projekten gekoppelt, sondern eine kollektive mentale Organisationshaltung. (pg)