"Agiles Arbeiten kann man nicht verordnen", sagt Bettina Uhlich. "Die Entwicklung im Unternehmen muss von unten kommen." Dazu brauche es eine veränderte Mentalität der Mitarbeiter. Die CIO des Spezialchemiekonzerns Evonik sieht dabei vor allem die Führungskräfte in der IT in der Pflicht. Das Management-Team müsse neue Arbeitsweisen vorleben. Ihre eigene Rolle hat sie klar definiert: "Als CIO bin ich der Product Owner für die agile Transformation in der IT."
Bei Evonik kam der Anstoß für den entsprechenden Veränderungsprozess durch die bereits 2019 eingeführte produktorientierte IT-Organisation. Das Unternehmen verabschiedete sich von funktionalen "Silos" und setzte stattdessen auf eine "Ende-zu-Ende-Verantwortung" für IT-Produkte. Dazu definierte das Management fünf Product Lines, beispielsweise Digital Workplace oder Smart Production, die jeweils von Product Line Managern geführt werden. Diese verantworten mit ihren Teams den kompletten Lebenszyklus der Produktlinie, von der Entstehung über den laufenden Betrieb bis zum "End of Life."
Anders als in der klassisch aufgestellten IT, arbeiten in den Teams Experten aus unterschiedlichen Bereichen zusammen. Uhlich: "Wir brauchen flexible Teamstrukturen und müssen weg vom alten Silodenken." Um das zu schaffen, setzt die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin auf "agile Multiplier", die im Unternehmen Überzeugungsarbeit leisten. Auf einen internationalen Aufruf im IT-Bereich von Evonik, sich zu beteiligen, meldeten sich mehr als 100 Freiwillige. Heute gibt es konzernweit rund 800 solcher agiler Botschafter.
"Im ersten Schritt haben wir diskutiert, was agiles Arbeiten eigentlich für uns bedeutet", beschreibt Uhlich das Vorgehen. Daraus entstanden sind Arbeits- und Gestaltungsprinzipien, an denen sich künftig nicht nur die IT-Organisation orientieren soll. Die wichtigsten lauten:
Product over Project,
Process over Hierarchy,
Experience over Functionality,
Strategy over Governance.
Die agilen Multiplikatoren helfen dabei, solche Prinzipien ins Unternehmen zu tragen. Sie brauchen dazu Methodenwissen, müssen aber nicht alle ausgebildete Scrum Master sein, erläutert Uhlich. "Wichtig ist, dass sie die Prinzipien verstehen, ein Team führen können und im Konzern gut vernetzt sind."
Die agile Transformation steht in engem Zusammenhang mit der Strategie NexGen IT, die auch auf eine kontinuierliche Verbesserung der Abläufe zielt. Die zahlreichen Vorschläge dazu aus der Belegschaft würden überwiegend in agilen Teams bearbeitet, berichtet die IT-Chefin. Für sie geht es auch darum, das Topmanagement von den Potenzialen agiler Methoden zu überzeugen. Als Beispiele nennt sie eine schnellere Produktentwicklung und Vorteile, die sich durch Prozessautomatisierung mit Hilfe von IT ergäben. Gefragt sei künftig eine neue Art zu arbeiten, auch außerhalb der IT. Tatsächlich haben agile Methoden bei Evonik mittlerweile auch in anderen Bereichen Einzug gehalten.
ITler im Co-Working Space
Die produktorientierte IT-Organisation und neue Arbeitsweisen führten auch zu räumlichen Veränderungen. Schon vor der Corona-Pandemie arbeitete ein Team an neuen Arbeits- und Bürokonzepten. Am Standort Hanau entstand der "IT Cube" für rund 300 IT-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter. Den organisatorischen Rahmen für den neuen Gebäudekomplex bildet ein auf freiwilliger Basis eingeführtes Shared-Desk-Konzept. Statt Einzelbüros gibt es offene Flächen für Vernetzung und Zusammenarbeit, beispielsweise den großen Co-Working Space. Am Gebäude mit allen Gestaltungen haben Management, Mitarbeiter und Betriebsräte gemeinsam gearbeitet. Uhlich holte dazu mehrere Mitarbeiter aus den diversen IT-Teams und auch externe Change-Berater ins Boot.
In einer Umfrage sprach sich mehr als die Hälfte der ITler für das Shared-Desk-Konzept aus. Zwischenzeitlich wurde im Unternehmen eine Betriebsvereinbarung zu "#SmartWork" geschlossen. Sie enthält zum Beispiel Regelungen für alle Formen von mobilem Arbeiten, die alternativ zur Arbeit vor Ort zeitweise oder regelmäßig auch außerhalb vom Büro erledigt werden können. Arbeit im "Home-Office" ist dabei nur eine Form des mobilen Arbeitens.
"Es gibt bei uns heute keine Einzelbüros mehr, auch nicht für die CIO", betont Uhlich. Stattdessen seien verschiedene Arbeits-, Rückzugs- und Innovationsflächen für die Teams entstanden: "Wir haben damit auch räumlich die Voraussetzungen für offenes, vernetztes und kollaboratives Arbeiten geschaffen." Das neue Modell diene inzwischen auch als Praxisbeispiel im Konzern. Einziger Wermutstropfen: Wegen der anhaltenden Pandemie kann die IT-Mannschaft den neuen Gebäudetrakt noch nicht komplett nutzen.