Smart-City-Projekte

Vom Hype zum Rohrkrepierer?

14.09.2020
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Smart Cities gelten als hip und modern. Doch viele Smart-City-Projekte kommen über das Pilotstadium nicht hinaus. Wir zeigen, wo die Fehlerquellen liegen.
Viele Leuchtturm-Projekte in Sachen Smart City kommen nicht über das Pilotstadium hinaus. Lesen Sie, woran das liegt.
Viele Leuchtturm-Projekte in Sachen Smart City kommen nicht über das Pilotstadium hinaus. Lesen Sie, woran das liegt.
Foto: JossK - shutterstock.com

Homeoffice-Skeptiker haben in der Coronakrise einen schweren Stand, hat doch gerade die Pandemie gezeigt, dass diese Form des Arbeitens auch im großen Stil funktioniert. Eine Demonstration, die noch eine weitere Konsequenz hat: Viele Remote Worker spielen mit dem Gedanken, ob sie nicht weiter ins Grüne ziehen sollen und statt der Wohnung in Arbeitsplatznähe jetzt einem größeren Häuschen mit Garten den Vorzug geben.

Smart City Reality Check 2020

Gedankenspiele, die bereits Stimmen laut werden lassen, die davon überzeugt sind, dass die Städte im Zuge der Coronakrise an Attraktivität verlieren. Pessimisten sprechen bereits von einer drohenden Verödung der Cities. Andere wiederum sind überzeugt, dass die Städte nichts von ihrer Anziehungskraft verlieren werden und die Zahl der Menschen, die dort leben, von heute 3,5 Milliarden bis 2030 auf rund 5 Milliarden anwachsen wird. Allerdings unter der Prämisse, dass die Städte smarter werden.

Die Smart City könnte dann mit intelligenten Straßen, Mobility on demand, digitalisiertem Healthcare, smarten Quartieren, intelligenten Ladengeschäften etc. punkten und dabei noch nachhaltig sein. Die Technik dazu ist zumindest vorhanden, so die Protagonisten dieser Idee.

Mit einer Vielzahl an smarten Services könnten Smart Cities auch nach Corona ihre Anziehungskraft behalten und zudem nachhaltiger werden.
Mit einer Vielzahl an smarten Services könnten Smart Cities auch nach Corona ihre Anziehungskraft behalten und zudem nachhaltiger werden.
Foto: NTT Ltd.

In der Theorie klingt das Klasse, doch wo stehen die Smart Cities heute wirklich, wenn wir an die vor einigen Jahren gefeierten Pilotstädte wie Barcelona etc. denken? Wer sich zum Reality Check aufmacht, findet zwar die intelligente Straßenbeleuchtung, die smarte Mülltonne oder digitale Parkplätze, die automatisch ihre Verfügbarkeit melden. Doch meist sind sie über das Pilotstadium nicht herausgekommen und es gibt lediglich eine Handvoll smarter Mülltonnen, einen intelligent beleuchteten Straßenzug und gerade einmal vier bis fünf smarte Stellplätze.

Warum Smart-City-Konzepte scheitern

Ist das Konzept der Smart City also gescheitert? So weit würden Sylvia List, Vice President Go-to-Market & Innovation Germany, und Marcus Giehrl, Senior Manager Digital Transformation, von NTT nicht gehen. Allerdings räumen sie ein, dass durchaus Fehler gemacht wurden.

Silodenken

So kritisieren sie etwa das noch immer stark vorhandene Silodenken, das besonders bei Smart-City-Projekten auftrete, bei denen der Einspargedanken im Vordergrund stehe. Hier müsse übergreifend gedacht werden, also wo die gewonnenen Daten noch an anderer Stelle einen Mehrwert generieren können. Ein weiterer Fehler sei, dass sich die Kommunen häufig keine Gedanken über die Auswirkungen gemacht hätten. So sei zwar Geld für ein Projekt vorhanden, reiche aber nicht aus, um hinterher die laufenden Betriebskosten zu decken.

Die NTT-Experten empfehlen hier nicht gleich in stadtweiten Strukturen zu planen, sondern mit kleineren Projekten - etwa auf Stadtteilebene - zu beginnen, da sich hier ein ROI schneller darstellen lasse. Des Weiteren sollte etwa die Wirtschaft ins Boot geholt werden, um so einen Teil der Kosten einspielen zu können.

Keine Transparenz

Einen weiteren Kardinalfehler sehen List und Giehrl darin, dass nicht transparent mit den Bürgern kommuniziert werde und Projekte dann an deren Datenschutzbedenken scheitern. Dabei müssten Datenschutz und etwa mehr Sicherheit durch Videoüberwachung gar nicht im Widerspruch stehen. Es gebe bereits Videokameras, die Analytics on the edge auf dem Chip durchführen und so nur Daten weiterleiten, die keine Identifikation einer Person, eines Fahrzeugs etc. erlauben. Die Technik sei also vorhanden und müsse nur eingesetzt und entsprechend kommuniziert werden.

Keine Daten ohne Mehrwert

Das Gleiche gelte, wenn persönliche Daten erfasst werden, etwa für den Login in ein kostenloses WLAN einer Smart City. "Hier wundert es mich immer wieder, dass es dann Bedenken gibt, gleichzeitig aber die gleichen Daten an Google freiwillig herausgegeben werden", stellt Giehrl fest. Er erklärt sich das Phänomen damit, dass Google den Usern einen klaren Mehrwert im Gegenzug für die Datenpreisgabe offeriere. Smart-City-Betreibern rät er deshalb, sich an Google ein Beispiel zu nehmen und den Usern ebenfalls einen klaren Mehrwert oder zusätzliche Services zu bieten und dies auch offensiv zu kommunizieren.

Kein Masterplan

Einen weiteren Grund dafür, warum das Thema Smart Cities nicht vorankommt, sehen die Experten darin, dass zwar häufig Leuchtturm-Projekte initiiert würden, aber im Hintergrund ein Master-Plan fehle. Was will die Stadt als Smart City erreichen? Welche Player sollen kurz- bis langfristig mit ins Boot? Wie können die Silos durchbrochen werden? Wie sehen die Schnittstellen (APIs) aus, um Daten an anderer Stelle nutzen zu können?

Egal ob Smart Waste oder andere Services - es sollten auch die späteren Betriebskosten bedacht werden, wenn das Projekt nicht scheitern soll.
Egal ob Smart Waste oder andere Services - es sollten auch die späteren Betriebskosten bedacht werden, wenn das Projekt nicht scheitern soll.
Foto: Mikhail Zahranichny - shutterstock.com

Ein Konzept könne es sein, eine Plattform Smart City zu kreieren, bei der die Kommune als Betreiber fungiere. Andere könnten daran andocken und auf der Plattform etwa einzelne smarte Services betreiben und offerieren. Eine Idee, die beispielsweise die Stadt Linz umgesetzt hat.

Investition ohne Strategie

Grundsätzlich sind List und Giehrl davon überzeugt, dass die Technik aus IT-Sicht heute kein Problem mehr darstellt und verfügbar ist. "Auch die Rahmenbedingungen für eine Smart City sind auf politischer Ebene vorhanden", ergänzt Giehrl. Was er vermisst, ist eine vernünftige Lenkung der Geldflüsse, um nachhaltige Investitionen in die Zukunft zu erreichen. Beispiele für solche Investitionen die Wirtschaft und Leben einer ganzen Region veränderten, sind für Giehrl etwa die Olympischen Spiele 1972 in München oder der Bau des Münchner Flughafens im Erdinger Moos.

Experten raten, mit Smart-City-Projekten kleiner auf Stadteilebene zu beginnen.
Experten raten, mit Smart-City-Projekten kleiner auf Stadteilebene zu beginnen.
Foto: Deutsche Telekom

Ferner bemängelt der Manager, dass bei Smart-City-Projekten häufig eine saubere Positionierung - was ist mein Ziel? - fehle und die weiteren Konsequenzen nicht durchdacht sind. "Häufig werden Smart-City-Projekte angegangen, weil es gerade Fördergelder gibt und es hip ist, aber es wird nicht langfristig über den Nutzen nachgedacht", bemängelt Giehrl. Er fordert, das mehr darüber nachgedacht wird, welcher Nutzen aus den gewonnenen Daten gezogen werden kann - sowohl monetär als mit Blick auf bessere Services.

Bürokratische Hürden

Mit Blick auf das Thema Smart Cities weist Deutschland in den Augen von List noch ein besonderes Manko auf: unsere bürokratischen Abläufe. "Sie stehen uns beim Umsetzen großer Projekte unheimlich im Weg, so dass wir beim Umsetzen unheimlich langsam sind", kritisiert die Managerin, "während die technische Entwicklung auch bei den Smart Cities unheimlich schnell ist. Wenn wir in Deutschland ein Projekt nach zehn bis zwanzig Jahren vollendet haben, dann ist die verwendete Technik längst veraltet und der Bedarf hat sich massiv verändert."

Sorgenkind Connectivity

Ein Herzensanliegen ist der Managerin die vielbeschworene Konnektivität bis zur Milchkanne, denn ohne diese kann es für List keine funktionierende Smart City geben. Dabei ist ihr egal, ob dies per 5G oder über das Festnetz mit Glasfasern erfolgt, entscheidend sei, dass endlich mit dem Ausbau der Infrastruktur begonnen wird. "Hier könnte sich Deutschland am Oman ein Beispiel nehmen. Bei Straßenbauarbeiten werden automatisch Leerrohre für Glasfasern verlegt, so dass fast jede Sanddüne mit Gigabit-Geschwindigkeit versorgt werden könnte", bemängelt sie das Vorgehen in Deutschland.

Die sprichwörtliche Connectivity bis zur Milchkanne ist für NTT-Managerin Sylvia List eine Voraussetzung für eine funktionierende Smart City.
Die sprichwörtliche Connectivity bis zur Milchkanne ist für NTT-Managerin Sylvia List eine Voraussetzung für eine funktionierende Smart City.
Foto: Anda Mikelsone - shutterstock.com

Und zu guter Letzt fordert List auf, weiterzudenken, "denn nach Corona geht die Globalisierung weiter". Dann genüge es nicht, so die Managerin weiter, nur in Smart-City-Kategorien zu denken, vielmehr seien dann smarte Lebensräume - also Smart Countys - gefragt.