Wie der Digitalverband Bitkom herausgefunden hat, ziehen 55 Prozent der Internet-User zumindest hin und wieder Online-Bewertungen heran, um sich vorab über Arztpraxen, Kliniken, Pflegeheime oder andere Einrichtungen des Gesundheitssektors zu informieren. Zudem sollen bereits 17 Prozent wenigstens einmal eine Bewertung zu Ärzten oder medizinischen Einrichtungen abgegeben haben. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung unter 1.144 Menschen in Deutschland ab 16 Jahren.
Den Angaben zufolge erkundigt sich jeweils ein Drittel anhand von Bewertungen auf Portalen wie Jameda, DocInsider oder Sanego, bevor es zum Arzt oder in ein Krankenhaus geht. Über medizinische Praxen, zum Beispiel für Physiotherapie oder von Heilpraktikern, informiert sich gut ein Fünftel im Netz (22 Prozent). 17 Prozent studieren Online-Bewertungen über Reha-Kliniken und 13 Prozent über Pflegeeinrichtungen.
Patienten sollten mehrere Quellen heranziehen
Auf den Plattformen lesen sie über die Erfahrungen, die andere Patienten mit Ärztinnen und Ärzten sowie medizinischen Einrichtungen gemacht haben. "Online-Bewertungen sorgen für mehr Transparenz und können den Menschen helfen, eine gute Wahl zu treffen. Das gilt längst auch für den Gesundheitsbereich", kommentiert Malte Fritsche, Referent Health & Pharma beim Digitalverband Bitkom. Dabei sei wichtig, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher die Urteile kompetent einschätzen könnten. Je zahlreicher die Bewertungen, desto realistischer das Gesamtbild.
Zweifel sind laut Fritsche dann angebracht, wenn Lob allzu überschwänglich oder Kritik zu harsch formuliert ist. "Um einen verlässlichen Eindruck zu erhalten, sollte man mehrere Quellen heranziehen", rät der Bitkom-Mann. Das wissen viele Besucher der Portale auch: 42 Prozent geben an, den Online-Bewertungen grundsätzlich nicht zu vertrauen. Auf der anderen Seite haben die Urteile Dritter aber für 57 Prozent eine sehr große oder große Bedeutung. Bei Krankenhäusern liegt dieser Wert bei 65 Prozent und bei Pflegeeinrichtungen sogar bei 87 Prozent.
Viele Ärzte fühlen sich wehrlos ausgeliefert
In der Ärzteschaft kommen die Portale naturgemäß nicht immer gut an, wie ein Beitrag im Ärzteblatt zeigt. Manche Mediziner kritisieren die manchmal harte, nahezu immer anonym geäußerte Kritik, die mitunter an Rufschädigung grenze. Die Mediziner können nicht Stellung nehmen, weil sie nicht wissen, wer da spricht - und weil sie an die Schweigepflicht gebunden sind. Zudem sind Onlinebewertungen anfällig für Manipulationen: Praxen könnten sich selbst positiv bewerten oder eine Agentur beauftragen, die das im großen Stil für sie übernimmt.
Es kommt laut Ärzteblatt sogar vor, dass Patienten ihre Ärzte zu erpressen versuchen, nach dem Motto: "Sie bescheinigen mir jetzt meine Arbeitsunfähigkeit, oder sie erleben morgen auf Jameda Ihr blaues Wunder." Ebenso schreiben Menschen negative Kritiken, obwohl sie nie behandelt wurden. Sie sind enttäuscht, weil sie nicht angenommen wurden oder keinen Termin bekommen haben.
Auch die Bewertungskriterien stehen in der Kritik, vor allem, wenn es um deren Gewichtung geht: Ist beispielsweise eine kurze Wartezeit genauso wichtig, wie eine gute Behandlung? Die Subjektivität der Wahrnehmung ist ebenfalls ein Problem: Die Einschätzung, wann jemand "freundlich" oder "arrogant" wirkt, ist individuell, und auch die Antennen für Humor sind unterschiedlich ausgerichtet. Gerade kranke Menschen können sehr sensibel reagieren.
Hinzu kommt, dass Ärzte auch unangenehme Wahrheiten mitteilen müssen, die beispielsweise Körpergewicht, Hygiene, Ernährung oder fehlende Disziplin bei der Einnahme von Medikamenten betreffen. Psychotherapeuten sind sogar erst dann gut, wenn sie ihre Patienten auch mit unbequemen Fakten konfrontieren. Wenn es dumm läuft, erhalten sie dann auf Jameda und Sanego die Quittung.
Behandeln Portale zahlende Ärzte besser?
Über ein anderes Problem berichtete vor ein paar Jahren “Die Zeit”: Auf einigen Plattformen können sich Ärzte Premium-Profile kaufen und Anzeigen schalten. Die Wochenzeitung hat den Bewertungsdurchschnitt von 3.770 Profilen verglichen und festgestellt, dass Ärzte mit einem bezahlten Profil kaum schlechte Noten haben. Von ihnen werden 95 Prozent mit der Note 1 bewertet. Der Notendurchschnitt liegt hier bei 1,2 gegenüber 1,7 bei den nicht zahlenden Ärzten. Der Verdacht liegt also nahe, dass die Portale zahlende Ärzte besser aussehen lassen als andere. (hv)