Energie im Überfluss, ohne CO2-Emissionen oder schwer handhabbare Nuklearabfälle - die Kernfusion könnte die Lösung aller Energieprobleme der Menschheit sein. Nur die Sache hat einen Haken: In den 70 Jahren, in denen jetzt an der Kernfusion geforscht wird, gelang es bislang nicht, aus der Fusion mehr Energie zu gewinnen, als hineingesteckt wurde.
Bislang, denn der 5. Dezember 2022 markiert einen Wendepunkt in der Erforschung der Kernfusion. An diesem Tage gelang es Forschern des Lawrence Livermore National Laboratory, eine Kernfusion mit einem Nettoenergiegewinn zu initiieren. Bei bisherigen Versuchen musste immer mehr Energie in den Anstoß der Fusion gesteckt werden, als später durch die eigentliche Energie gewonnen werden konnte. Arati Prabhakar, Wissenschaftsberater im Weißen Haus, bezeichnete die Leistung der Forscher als "ein wunderbares Beispiel für eine realisierte Möglichkeit, als einen wissenschaftlichen Meilenstein auf dem Weg zu neuenMöglichkeiten für saubere Energie".
Bei der Präsentation der Forschungsergebnisse sprach US-Energieministerin Jennifer Granholm euphorisch von "einer der beeindruckendsten wissenschaftlichen Leistungen des 21. Jahrhunderts". Damit sei man dem von US-Präsident Joe Biden ausgegebenen Ziel, innerhalb eines Jahrzehnts in die Ära der kommerzielle Kernfusion einzutreten, ein entscheidendes Stück näher gekommen.
Die Energieausbeute
Bei näherem Hinschauen relativiert sich allerdings der vom US-Energieministerium ausgerufene "monumentale Meilenstein in der Kernfusionsforschung". Um die Kernfusion zu starten, mussten die Forscher des Lawrence Livermore National Laboratory ein Wasserstoffpellet mit einer Energie von 2,05 Megajoule beschießen. Die dann stattfindende Kernfusion setzte eine Energie von etwa 3,15 Megajoule frei. Zum Vergleich: 3,6 Megajoule entsprechen in etwa einer Kilowattstunde Strom. Das Verbrennen von einem Kilogramm Steinkohle setzt eine Energiemenge von 29,3 Megajoule frei.
Die Technik
Zudem mussten die Forscher einen großen Aufwand betreiben, um den Fusionsprozess in Gang zu setzen. So benötigten sie einen der weltweit größten Laser der National Ignition Facility, um das gefrorene Wasserstoff-Pellet aus Deuterium und Tritium mit 192 Lasern zu beschießen. Dabei werden die Wasserstoffatome auf Temperaturen von über 180 Millionen Grad Fahrenheit erhitzt und unter einen Druck gesetzt, der mehr als das 100 Milliardenfache der Erdatmosphäre beträgt. Unter diesen extremen Bedingungen entsteht ein Materiezustand, der als Plasma bezeichnet wird, in dem Wasserstoffatome verschmelzen und dann enorme Mengen an Energie freisetzen. Der gleiche Prozess treibt auch die Sonne und andere Sterne an.
Meilenstein oder Mogelpackung?
Bezieht man jetzt die indirekte Energieverwendung des verwendeten Lasers mit ins Kalkül, so relativiert sich das Ergebnis weiter: Für den Betrieb des Lasers mussten nämlich, wie spektrum.de berichtet, insgesamt 500 Megajoule an Energie aufgewendet werden. Um mit Hilfe der Kernfusion irgendwann einmal Elektrizität zu produzieren, so heißt es in dem Bericht weiter, müsste aber die doppelte Menge an Energie bei der Fusion herauskommen. Schließlich müsste die Wärme der Fusion noch in Energie umgewandelt werden, wobei wieder Energie verloren ginge.
Nur eine Warnung an Putin?
Dementsprechend scheiden sich die Geister an der Bewertung des Experiments. Während die einen es als Durchbruch und Meilenstein feiern und in zehn bis 20 Jahren mit ersten Kernfusionsreaktoren für die Stromerzeugung rechnen, gehen andere davon aus, dass dies frühstens der Generation unserer Enkelkinder in 50 bis 60 Jahren gelingen wird. Noch pessimistischere Stimmen warnen wiederum, an den ursprünglichen Zweck der National Ignition Facility zu denken. Sie wurde 2009 eigentlich gebaut, um Kernwaffenexplosionen ohne ober- oder unterirdische Kernwaffentests zu simulieren. Diese Stimmen sehen in dem Experiment und seiner öffentlichkeitswirksamen Ausschlachtung primär einen Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Präsident Putin und seine fortlaufenden Drohungen mit Kernwaffen. Eine Theorie, die nicht ganz von der Hand zu weisen ist, zumal auch Energieministerin Granholm in ihrer Rede nicht müde wurde, auf die Bedeutung der Ergebnisse für das amerikanische Kernwaffenforschungsprogramm hinzuweisen.
Energie der Sonne
Welches Potenzial in der Kernfusion steckt, hatten erst im Februar diesen Jahres Forscher im britischen Culham bei Oxford demonstriert. Sie erzeugten in der weltgrößten Fusionsanlage Jet stabile Plasmen mit 59 Megajoule Energieausbeute. Angaben dazu, wieviel Energie jetzt im Lawrence Livermore National Laboratory gewonnen wurde, gibt es nicht. Eine Sprecherin der Forschungseinrichtung lehnte es ab, sich zu Einzelheiten der Forschung zu äußern- die experimentellen Daten würden noch ausgewertet.
ITER - Europas Fusionsreaktor
Soweit die Theorie, doch bis zum ersten Fusionskraftwerk ist es noch ein weiter Weg. Die Schwierigkeit liegt nicht nur darin, beim Fusionsprozess einen Nettoenergiegewinn zu erzielen, sondern auch darin, diese Energie wirtschaftlich weiter verwenden zu können, etwa für die Stromerzeugung. Dass dies möglich ist, soll etwa 2025 im südfranzösischen Kernfusionsreaktor ITER demonstriert werden. Das über 20 Milliarden Euro teure Leuchtturmprojekt, dessen Startschuss 1988 fiel, soll zeigen, dass ein Kernfusionsreaktor über längere Zeit genug Energie erzeugen kann, um ein fusionsfähiges Plasma aufrechtzuerhalten. Zudem soll ITER in der Lage sein, die erzeugte Energie, die hunderte Millionen Grad Celsius erreicht, sicher abzuführen. An ITER sind neben der Europäischen Union auch China, Indien, Japan, Südkorea, Russland und die USA beteiligt. Die EU zahlt mit 45,6 Prozent den größten Anteil der Kosten. Die anderen Partner beteiligen sich mit jeweils 9,1 Prozent.
Doch nicht nur von staatlicher Seite wird in die Erforschung der Kernfusion investiert. Nach Angaben der Fusion Industry Association sind in den letzten Jahren mehr als 5 Milliarden Dollar an Finanzmitteln in private Fusionsfirmen geflossen. Mit von der Partie sind dabei prominente Investoren wie Bill Gates, Jeff Bezos, Peter Thiel und andere.
Deutsche Startups
Doch auch hierzulande gibt es seit einigen Jahren, wie der Deutschlandfunk berichtet, eine Reihe von Startup-Unternehmen im Bereich Kernfusion. Das sind beispielsweise Fusion aus München, oder Focused Energy aus Darmstadt. Diese wollen innerhalb von zehn bis 15 Jahren erste kommerzielle Laser-Fusionskraftwerke bauen. Das ist zwar ein sehr optimistischer Plan, aber die Erfolgsmeldung aus den USA dürfte diesen Start-Ups bei der Suche nach neuen Investoren helfen.