Floskeln wie "Daten sind das neue Öl" oder "Jede Firma ist eine Softwarefirma" sind den meisten mehr als geläufig. Doch wie weit sind die meisten Unternehmen von diesen Ansprüchen noch entfernt? Immerhin: Die Studien, die COMPUTERWOCHE und CIO seit Jahren zu datenzentrierten Themen herausgeben, zeigen dass es Fortschritte gibt. Eine Tendenz zu mehr Data Literacy ist klar erkennbar, die Betriebe gehen ihre Datenbewirtschaftung fundierter an und diskutieren ihre Szenarien nahe am Business Case.
Oft ist die Rede vom "Data-driven Enterprise". Gemeint ist ein ganzheitlicher Ansatz, mit dem ein Unternehmen seine Daten strategisch optimal nutzt. Mit einem zeitnahen Zugriff auf die richtigen Daten an möglichst allen Arbeitsplätzen könnten sich die Betriebe in die Lage versetzen, ihre Produkte und Dienstleistungen besonders schnell an Kunden- und Marktbedürfnisse anzupassen. Daten ermöglichen eine höhere Flexibilität und bieten Chancen, zukünftige Entwicklungen genauer vorherzusagen.
Ob das datengetriebene Unternehmen immer noch eine schöne Utopie oder bereits greifbar ist, darüber diskutierten die Experten einer Roundtable-Diskussion von COMPUTERWOCHE und CIO-Magazin. Die geladenen Technologieanbieter und Beratungshäuser konstatierten spürbare Fortschritte. Sie sehen einen neuen Status quo erreicht, von dem aus sich veränderte Fragestellungen ergeben.
Mit BI oder Data Warehouses ist noch nichts erreicht
"Viele Unternehmen haben in den vergangenen Jahren eine starke Basis gelegt, indem sie die wichtigsten Bausteine einer Datenarchitektur - zum Beispiel Data Warehouses oder Data Lakes - implementiert haben", stellt Hardy Groeger von IBM fest. "Die massive Zunahme von Datenquellen und die gestiegene Veränderungsrate von Daten haben aber neue Herausforderungen geschaffen, insbesondere im Bereich der Datenintegration und -aufbereitung für analytische oder explorative Zwecke."
Datenkompetenz führt dazu, dass immer mehr Daten analysiert werden - was zu einer weiter steigenden Datenkompetenz führt. Um sich nicht in dieser Spirale zu verlieren, sollten Unternehmen grundsätzlich darüber nachdenken, wo sie Daten brauchen und was sie damit anfangen wollen. In vielen Fällen ist die technologische Basis mittlerweile etabliert. Jetzt braucht es die richtige Datenkultur, um die oft neuen und nicht selten überdimensionierten Werkzeuge sinnvoll nutzen zu können.
- Thomas Weyand, Contentsquare
"Without Data, it´s just another opinion. Doch Daten erzählen auch nicht immer die ganze Wahrheit. Business Intelligence hängt auch sehr von der individuellen Interpretation ab und dafür braucht es das nötige Wissen auf der individuellen Ebene." - Stefan Haertlein, Cisco
"Unser Eindruck ist gerade noch, dass viele Unternehmen mit angezogener Handbremse fahren. Indem wir Schritt für Schritt die Infrastruktur segmentieren, minimieren wir die Angst vor dem Verlust der Datenhoheit und ermöglichen eine Annäherung an das Thema." - Carsten Schröder, Haufe X360
"Es ist empfehlenswert, sich zunächst Teilprojekten zu widmen, die einen “Quick Win” herstellen, um die Toleranz weiter zu fördern. Wenn ich innerhalb von 3 Monaten Ergebnisse sehe, dann gehe ich mit dem Thema Daten ganz anders um." - Hardy Groeger, IBM
"Das Stichwort lautet immer wieder: Balance! Ich muss die spezifischen Use Cases, die organisatorische und methodische Vorgehensweise sowie den technologischen Unterbau ausbalancieren, damit sie lang-, mittel- und kurzfristig zu meinen Unternehmenszielen passen." - Boris Michel, INFORM DataLab
"Wenn ich die verschiedenen Quellsysteme mit einer beliebigen Analytics-Lösung verbinde, habe ich noch lange keine Datenkultur geschaffen. Die richtige Basis schaffe ich nur, wenn ich die ganzen existierenden Silos auflöse." - Felix Hoffmann, LeanIX
"Es kann schon helfen, das C-Level “anzutriggern”, aber immer nur in Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen. Es gibt nämlich nichts Schlimmeres, als eine erstickte Graswurzelbewegung. Das bedeutet, keine Hauruck-Aktionen und nicht zu viel auf einmal, sondern Schritt für Schritt und immer mit Blick auf das Ziel." - Florian Weigmann, PlusServer
"Das Ziel eines “Data Fabric Layers” ist es, konsistente und qualitativ hochwertige Daten zu generieren und nutzbar zu machen. Jede technologische Transformation sollte in der Absicht erfolgen, in der Zukunft datengetriebene Entscheidungen treffen zu können."
Der Umgang mit Daten muss einer Strategie folgen
In Sachen Datenkultur sehen die Diskussionsteilnehmer den größten Nachholbedarf - und zwar über alle Bereiche hinweg: Technik, Governance, Management und Mitarbeiterausbildung bilden im Zusammenspiel die Basis für ein datengetriebenes Business. "Eine Datenkultur ist in vielen Unternehmen höchstens als Gespenst vorhanden", unkt Florian Weigmann von Plusserver. Zwar stehe das Thema auf der Agenda vieler Vorstände, doch viele Entscheider rätselten noch, wie sie in die Umsetzung gehen sollen.
Für Weigmann steht fest, dass eine klare gemeinsame Vision und eine ausgearbeitete Datenstrategie die wichtigsten Bausteine der Datenkultur sind. Dabei sieht er Unternehmen mit flachen Hierarchien besser aufgestellt. Die Einbindung aller Abteilungen in die Erarbeitung der Strategie sei hier noch viel wichtiger, als bei anderen Themen. "Eine Datenstrategie muss dort formuliert werden, wo sie später auch umgesetzt wird: im Unternehmen und zusammen mit den Mitarbeitenden statt auf irgendwelchen Führungs-Klausurtagungen im Luxushotel. Die Zukunft ist iterativ und kollaborativ."
Die Mitarbeiterbeteiligung sorgt für eine Verknüpfung von strategischen und "realen" Themen, das abstrakte Datenthema wir zu einem konkreten. Für Carsten Schröder von Haufe X360 ist es daher besonders wichtig, die Datenstrategie direkt mit dem Kerngeschäft zu verknüpfen. "Das heißt auch, dass ich möglichst genau auf greifbare Vorteile in Sachen Umsatz und Kosten schauen sollte. Wenn ich IT-Themen mit konkreten betriebswirtschaftlichen Zielen verbinde, fördere ich das Verständnis dafür."
Boris Michel von Inform Datalab kann das nur bestätigen. Er beobachtet in vielen Unternehmen das immer gleiche Muster: "Berater gehen hinein und helfen dort, die BI und Data Analytics aufzubauen. Dann gehen sie wieder raus - und die Leute fangen sofort wieder damit an, Excel zu öffnen und so wie bisher weiterzuarbeiten. Was ich damit sagen will: Die Technologie ist immer nur der Enabler. Nur, wenn Firmen die konkrete Nutzung im Alltag berücksichtigen, wollen die Leute wirklich damit arbeiten."
Studie "Data-driven Enterprise 2023": Sie können sich noch beteiligen! |
Zum Thema Data-driven Enterprise führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Regina Hermann (rhermann@idg.de, Telefon: 089 36086 161) und Manuela Rädler (mraedler@idg.de, Telefon: 089 36086 271) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF). |
Alles eine Frage des Mindsets?
Eine neue Kultur zu etablieren war schon immer schwierig. Geht es um Data Literacy wird es noch einmal komplizierter, weil hier das fundamentale Denken und Handeln der Menschen berührt wird. In vielen Branchen bedeutet es, mit über Jahrzehnten erlernten Herangehensweisen an Probleme und Fragestellungen zu brechen. Thomas Weyand von Contentsquare glaubt, dass hier schon an der universitären Ausbildung angesetzt werden sollte.
"Mitarbeitende der Generationen X, Y und Z sind auf klassisches wissenschaftliches Arbeiten gepolt", konstatiert Weyand. "Sie formulieren Hypothesen, um diese dann empirisch zu testen und gegebenenfalls ihre Fragestellung anzupassen. Die Arbeit mit unstrukturierten Daten funktioniert aber oft genau andersherum. Anhand von Daten werden Muster erkannt, daraus dann Hypothesen abgeleitet. Diese werden verifiziert oder falsifiziert und danach wird der Prozess weiter iteriert." Weyand ist sicher, dass Unternehmen, die in dieser veränderten Reihenfolge arbeiten, mehr aus den technologischen Möglichkeiten machen können.
Das alles klingt groß und kompliziert. Felix Hoffmann von LeanIX schlägt vor, einfach mal anzufangen. Unternehmen mit einem geringen Reifegrad könnten die ersten Schritte gehen, ohne sich gleich in der Kategorie eines Data Lake zu bewegen. "Data Analytics ist oft recht banal", so Hoffmann. "Schon das Wissen, welcher Service von welchem Provider erbracht wird, fällt im weitesten Sinne unter Daten. Auch die Entscheidung, zum Beispiel statt fünf Videokonferenz-Tools nur noch drei zu nutzen, ist in diesem Kontext eine Datenoptimierung."
Er empfiehlt Unternehmen, die sich dem Thema Schritt für Schritt annähern wollen, erstmal dafür zu sorgen, dass jeder Mitarbeitende Zugang zu den Daten erhält, die für ihn oder sie relevant sind. Nur wer anfängt, aktiv mit Daten zu arbeiten, bekomtm laut Hoffmann ein Gefühl dafür, welche Chancen und Optimierungspotenziale darin schlummern.
Demokratisierung durch Visualisierung
Die Demokratisierung von Daten kann laut Hoffmann aber nur durch Transparenz geschaffen werden, und die setzt Einfachheit voraus. "Wenn Sie sehr viele Daten in die Wertschöpfungskette überführen, steigt die Komplexität automatisch. Dann kommen Fragen zum Tragen wie: Welche Regularien gelten überhaupt? Wie ist der Datenfluss? Wo werden die Daten erzeugt oder verändert? Darf ich diese Daten löschen? Erst nachdem all diese Fragen beantwortet sind, ist eine hinreichende Transparenz überhaupt möglich."
Demokratisierung braucht außerdem Visualisierung. Je nachdem, ob der Empfänger zum Beispiel Data Scientist oder in einer Fachabteilung beschäftigt ist, stellt er ganz unterschiedliche Erwartungen an Daten. Eine Excel-Tabelle kann Glücksgefühle oder Albträume auslösen, je nachdem, wen man fragt. "Das Lesen langer BI-Reports ist für Mitarbeiter keine angenehme Aufgabe", warnt Florian Weigmann. "Reports werden dann einfach nicht gelesen und der Effekt verpufft. Die Darreichungsform ist deswegen ganz entscheidend: Nur wenn ich meine Daten erlebbar mache, werden sie intern angenommen und können die notwendigen Veränderungen anstoßen."
Bei der Erlebbarkeit kommt wiederum Technologie ins Spiel: "Ein Data-Fabric-Layer ermöglicht den Mitarbeitern einen kontrollierten Zugriff auf die Daten und schafft gleichzeitig eine Self-Service-Mentalität", sagt IBM-Manager Groeger. "Die richtigen Daten sind so immer gleich zur Hand, was vor allem für nicht-technologieaffine Mitarbeiter-Rollen wichtig ist." Am Ende ist also auch die Kultur wieder eine Frage der Technologie.
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